Porträt einer Pionierin
FCI-Trainerin Sabrina Wittmann: „Auf dem Platz mit meinen Jungs fühle ich mich am wohlsten“

13.07.2024 | Stand 14.07.2024, 10:46 Uhr |

Da geht’s lang: Trainerin Sabrina Wittmann gibt auf dem Platz klare Anweisungen. Foto: Imago Images

Der Hype um den einst kometenhaft in die Bundesliga aufgestiegenen FC Ingolstadt ist längst vorbei. Dass die ins Mittelmaß der 3. Liga abgetauchten Schanzer dennoch bundesweit in den Schlagzeilen bleiben, liegt mittlerweile vor allem an einer Frau: Sabrina Wittmann. Die 32-Jährige schickt sich an, als erste Cheftrainerin im Männer-Profifußball Karriere zu machen.



Sabrina Wittmann steht auf dem Trainingsgelände am Audi-Sportpark und verschafft sich Gehör. Sie spricht laut und schnell, erklärt und gibt Anweisungen, damit ihr rund 30 meist junge Männer auf dem Platz folgen. Da hilft’s, wenn man zwei Finger in den Mund stecken und pfeifen kann – das hat sich die 32-Jährige vor einiger Zeit mithilfe eines Youtube-Tutorials selbst beigebracht. „Ich muss auf meine Stimme aufpassen, ich werde schnell heiser“, sagt sie und überlegt, ob sie professionelles Stimmtraining machen soll.

Als Wittmann am 5. Juni beim FC Ingolstadt offiziell zur ersten Cheftrainerin im deutschen Männer-Profifußball ernannt wird, taucht sie in eine neue Welt ein. Plötzlich interessieren sich Menschen wie Markus Lanz für sie, es kommen viele Medienanfragen – der FCI und ihre Beratungsagentur blocken das in ihrem Sinne ab. Die junge Frau interessiert sich nämlich vor allem für eines: Fußball.

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„Auf dem Platz mit meinen Jungs fühle ich mich am wohlsten“, sagt sie und hat die braunen, schulterlangen Haare meist zu einem Dutt hochgebunden. Sie vereint eine burschikose und weibliche Art zugleich, macht aber aus dem Geschlechterthema keines – das wird von außen an sie herangetragen. Sie umarmt ihre Spieler ebenso herzlich und ungezwungen wie sie im nächsten Moment in der Sprache des Fußballs fordert: „Wir spielen den Ball nicht über diese Linie, weil wir uns einkacken, sondern weil hier die freien Räume sind.“ Dabei gestikuliert Wittmann nachdrücklich und entschlossen, als sie ihre Botschaft auf dem Platz vermittelt.

Weltmeister Klose gibt den entscheidenden Anstoß

In die Wiege wird ihr die Fußballkarriere nicht gelegt. Vielmehr gibt der damalige Lazio-Stürmer und spätere Weltmeister Miroslav Klose dem Schicksal einen kleinen Schubs. Als er die zwölfjährige Sabrina während eines Kalabrien-Urlaubs im Jahr 2003 mit ihrem fünf Jahre jüngeren Bruder Peter in einer Hotelanlage kicken sieht, spricht er die bis dahin wenig fußballaffinen Eltern Philomena und Peter auf das Talent ihrer Tochter an – und die Dinge nehmen ihren Lauf.

Erste Schritte beim SC Steinberg unweit des Elternhauses im beschaulichen Schelldorf, einem 700-Einwohner-Ort nördlich von Ingolstadt. Dann der Wechsel zum FC Ingolstadt, es geht von der Jugend bis ins Bayernliga-Team, anschießend folgen Stationen bei Greuther Fürth und Amicitia München. Parallel dazu erhält die Mittelfeldspielerin während eines Schüleraustauschjahres in Kentucky/USA den Anstoß, sich als Trainerin zu probieren, und setzt dies beim FCI fort. „Sie hat schon früh Verantwortung übernehmen wollen“, sagt ihre einstige Mitspielerin und jetzige Abteilungsleiterin der Schanzerinnen, Simone Wagner. Ihr früherer Ausbilder und Mentor, Roland Reichel, meint: „Ich bin wegen ihrer Kompetenzen im fußballerischen und menschlichen Bereich ein großer Fan ihrer Arbeit.“

„Ich weiß gar nicht, was möglich ist“

Doch es dauert, bis feststeht, dass Wittmann auch ihre berufliche Zukunft im Fußball sieht. Sie weiß früh: „Im Fußball kann man schnell aufsteigen, aber auch schnell fallen.“ Ihre Ausbildung zur Lagerlogistikerin macht sie noch bei Audi, wo auch ihr Vater beschäftigt war. Danach erwirbt sie auf der Berufsoberschule das Abitur, beginnt ein Jurastudium in Regensburg, entschließt sich aber bald, Sportwissenschaften in München zu studieren. Seither wohnt sie in Schwabing.

In der vergangenen Winterpause nach fast 19 Jahren im Verein, in dem sie mittlerweile für die sportliche Entwicklung im Nachwuchsleistungszentrum verantwortlich ist und im dritten Jahr die U19-Bundesliga-Mannschaft trainiert, tauchen erstmals Fragen auf. „Was will ich, und wo will ich eigentlich hin?“, erzählt Wittmann bei einem Cappuccino mit Hafermilch. Dann wird sie überraschend Interims-Cheftrainerin bei den Profis. Wittmann stellt fest: „Ich weiß gar nicht, was möglich ist.“

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Aber ein gutes Gespür hat die junge Trainerin, die mit der U19-Vizemeister in der Bundesliga Süd/Südwest hinter 1899 Hoffenheim wird, der größte Erfolg in der Geschichte der FCI-Nachwuchsarbeit. „Sie hatte uns das vor der Saison prophezeit. Ich habe mich gewundert, woher sie diese Überzeugung nimmt“, verrät die Mama und sagt: „Fußball ist ihre große Leidenschaft, sie lebt dafür. Und Durchsetzen kann sie sich auch.“ Die Tochter, auf die der Papa „mächtig stolz ist“, schätzt den Rückhalt in der Familie. „Das ist mir total wichtig“, sagt Sabrina und genießt ihr Elternhaus als Rückzugsort, pflegt regelmäßigen Kontakt. An eine eigene Familie denkt sie vorerst nicht, ihr Fokus gilt dem Fußball.

Geburtstag im Trainingslager

An diesem Sonntag nun fährt sie mit dem FCI-Tross erstmals ins Trainingslager nach Latsch in Südtirol und wird weiter daran arbeiten, ihr Team zu verbessern und zu formen, um letztlich selbst ihre Grenzen ausdehnen zu können. Denn ab jetzt geht es für Wittmann, die sich auch von Ex-Nationalspielerin Melanie Behringer oder dem mit ihr bekannten Benjamin Glück (Assistent von Bundestrainer Julian Nagelsmann) Rat holt, noch viel mehr um Ergebnisse als bisher. Die „Party“ zu ihrem 33. Geburtstag, der auf den Vorabend des wichtigen Testspiels gegen den italienischen Erstligisten FC Empoli fällt (Samstag, 20. Juli, 17 Uhr, Waldstadion in Kaltern), dürfte daher nicht ausufern.

Ihre Vorstellungen vom Fußball sind klar. „Ich will, dass sich die Jungs was zutrauen, dass sie mit Mut und Freude spielen und positive Energie ausstrahlen“, sagt Wittmann und erklärt ihre Herangehensweise: „Mir gefällt es, eine Gruppe für etwas zu begeistern und sie auf dem Weg mitzunehmen, damit sie einen Sinn dahinter sieht, was sie tut. Ich habe kein Problem damit, Spieler zu fragen, ob das okay ist, was wir machen. Ich will Erfolg und keine Alleinherrscherin sein.“ Daher habe sie sich aus mehreren Kandidaten bewusst für Ilia Gruev als Co-Trainer entschieden. „Ich habe keine Angst vor Qualität und einem starken Mann an meiner Seite“, sagt Wittmann über den 54-jährigen ehemaligen bulgarischen Nationalspieler, der reichlich Erfahrung im Profigeschäft mitbringt und auch über die Uefa-Pro-Lizenz verfügt, die Wittmann erst noch erwerben muss.

Träsch: „Sie identifiziert sich total mit dem Verein“

Es wird also für Wittmann auf eine gute Zusammenarbeit im Trainerteam mit Gruev und ihrem Vertrauten, Fabian Reichler, ankommen – und auf Rückendeckung im Verein. Denn mit Gruev stünde in einer sportlich schwierigen Phase ein potenzieller Nachfolger Wittmanns bereits parat. „Entscheidend wird sein, wie man zu ihr steht, wenn sie mal drei, vier Spiele verliert“, meint der ehemalige FCI-Profi und Ex-Nationalspieler Christian Träsch, der die Idee mit Wittmann grundsätzlich gut findet: „Sie ist jemand, die sich total mit dem Verein identifiziert und den Klub lebt. So oft hatte der FCI das bisher nicht.“

FCI-Geschäftsführer Dietmar Beiersdorfer, in dessen zweieinhalbjähriger Amtszeit drei Trainer gehen mussten, schätzt Wittmanns Eigenschaften. „Wir hatten sehr viel Zeit, uns zu überzeugen, wie sie arbeitet und auch mit Drucksituationen umgeht. Sie erfasst komplexe Situationen schnell und vermittelt Spielern zielgenau, was sie zu tun haben“, sagt der 254-fache, ehemalige Bundesliga-Profi. FCI-Kapitän Lukas Fröde bestätigt das: „Sie ist auf dem neuesten Stand und vermittelt ihre Inhalte total gut.“

„Wir müssen uns begeistern, damit wir andere begeistern können“

Letztlich wird die Praxis zeigen, ob die Zeit reif ist für eine Cheftrainerin im Männerfußball. Wittmann nimmt die Rolle der Pionierin an und lässt sich darauf ein, dass alle Augen auf sie gerichtet sind – künftig wahrscheinlich auch abseits des Fußballs. Dabei hat sie keine außergewöhnlichen Vorstellungen. „Wir müssen uns begeistern, damit wir andere begeistern können“, sagt sie, und: „Wir werden Fehler machen, dafür lasse ich mich auch in der Luft zerreißen. Aber mir geht es nicht nur um gute Ergebnisse, sondern auch darum, wie wir spielen. Die Leute sollen gerne ins Stadion kommen.“ Und zu guter Letzt: „Mein Wunsch ist es, eine Identifikation mit dem FCI zu erzeugen.“ Das ist astreine Trainersprache – könnte auch ein Mann gesagt haben.

Sabrina Wittmann über...

• ... Trainerkollegen, die sie bewundert: „Da gibt’s einige. Jürgen Klopp wegen seiner Art mit Menschen umzugehen und zu führen. Julian Nagelsmann hat mit seinem Trainerteam bei der EM in kürzester Zeit eine absolute Begeisterung und Hingabe in seiner Mannschaft ausgelöst. Thomas Tuchel mit seiner Art sich auszudrücken und wegen seiner Erfolge besonders mit dem FC Chelsea. Und bei Pep Guardiola die Besessenheit seines Strebens nach Perfektion. Ich könnte noch viele andere aufzählen.“

• ... Lieblingsspieler: „Da habe ich explizit keinen. Gut, in seiner Zeit beim FC Bayern hat mich Thiago begeistert. Aber meine Lieblingsspieler sind meine eigenen, das war schon immer so und wird auch so bleiben.“

• ... eigene sportliche Aktivitäten: „Die bleiben etwas auf der Strecke. Ein bisschen Fußball mal beim Geschäftsstellenkick oder mit Freunden beim SC Amicitia. Tischtennis spiele ich auch sehr gerne.“

• ... Ernährung und Freizeit: „Ich versuche Milch und Zucker zu vermeiden und esse gerne orientalisch oder auch italienisch. Schön ist, dass das Training bei den Profis nicht am Abend ist, so wie das bei der U19 der Fall war. Da komme ich dann auch mal früher nach Hause. Wenn Zeit bleibt, lese ich gerne Romane.“

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