Interview
Fast schon ein Groupie – OB Christian Scharpf

Der Ingolstädter OB und der Klarinettist und Bandleader Bernhard Ullrich über Swing-Legende Hugo Strasser

03.02.2023 | Stand 17.09.2023, 3:54 Uhr

Bewundernde Blicke: Christian Scharpf (rechts) und seine Frau Stefanie Geith ließen kaum ein Konzert mit Hugo Strasser aus. Der neue Bandleader Bernhard Ullrich (Bild unten links) ist wiederholt mit dem legendären Jazzmusiker zusammen aufgetreten. Fotos: privat

Ingolstadt – Für den Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Scharpf ist die Ballnacht der SPD am 18. Februar mit dem ersten Auftritt des Orchesters Hugo Strasser in Ingolstadt nach dessen Tod wahrscheinlich einer der Höhepunkte des Jahres. Denn Scharpf ist ein Fan der Swingmusik des 2016 gestorbenen Klarinettisten und Bandleader. Jahrelang hat der Oberbürgermeister zusammen mit seiner Frau kaum einen Ball von Hugo Strasser ausgelassen. Er selber nennt sich fast schon einen Groupie, für Gastspiele des legendären Musikers fuhr er sogar in andere Städte außerhalb Bayerns. Im Laufe der Jahre hat sich so eine persönliche Freundschaft zu Strasser entwickelt. Strasser, der 1922 in München zur Welt kam, war unserer Region sehr verbunden. Seine Eltern stammten aus Pfaffenhofen und Schrobenhausen, und der Klarinettist spielte unzählige Mal in Ingolstadt, kurz nach dem Krieg etwa im Schäffbräukeller. Nach seinem Tod hat Heinrich Haas junior das Strasser-Orchester übernommen, seit 2020 ist Bernhard Ullrich Orchesterleiter – ebenfalls ein begnadeter Klarinettist, den man oft als den „bayerischen Benny Goodman“ bezeichnet. Ullrich und Scharpf sind seit Jahren befreundet. Im Interview erläutern sie, welche Bedeutung Hugo Strasser für ihr Leben hat.
 
Herr Scharpf, Sie führen ein aufreibendes und geschäftiges Leben als Politiker. Kommen Sie überhaupt noch dazu, gelegentlich zur Klarinette zu greifen?
Christian Scharpf: Mittlerweile wirklich selten, was sehr schade ist. Aber die Zeit ist einfach nicht da. Außer an Weihnachten oder wenn ich einmal ein Gastspiel in einer Blaskapelle spiele.
 
Wir wollen uns über den großen Klarinettisten und Bandleader Hugo Strasser unterhalten. Am 18. Februar wird das Orchester Hugo Strasser bei der Ingolstädter Ballnacht der SPD im Stadttheater spielen. Sie werden mit Ihrer Frau auch dabei sein. Was wird Ihnen dabei durch den Kopf gehen?
Scharpf: Hugo Strasser war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Swing- und Jazzmusiker der ersten Stunde. Er stand mit seinem Orchester über 60 Jahre ununterbrochen auf der Bühne. Einen seiner letzten Auftritte – mit 93 Jahren – hatte er bei uns in Ingolstadt, kurz nach Weihnachten 2015, ein paar Wochen vor seinem Tod. Das Orchester begleitet mich seit meiner Jugend. Wie Generationen anderer Menschen habe ich zur Musik von Hugo Strasser das Tanzen gelernt in der damaligen Tanzschule Cecconi. Es gab ja keine Tanzschule von Flensburg bis Garmisch, wo nicht zu der jährlich veröffentlichten „Tanzplatte des Jahres“ von Hugo Strasser getanzt wurde, die er jahrzehntelang für den Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband eingespielt hat. Das hat mich geprägt. Ich habe den Ton seiner Klarinette niemals wieder aus den Ohren bekommen. Und das war auch der Grund, warum ich selbst angefangen habe, die Klarinette zu erlernen.
 Und worauf freuen Sie sich besonders bei dem Ball?
Scharpf: Das Hugo-Strasser-Orchester ist nach wie vor eines der weltweit besten Tanzorchester, und es ist toll, dass sie wieder einmal in Ingolstadt spielen. Ich habe Bernhard Ullrich schon vor Wochen eine ganze Liste mit Songs geschickt, die ich mir für den Ball wünsche. Das Orchester spielt ja immer wieder auch neue aktuelle Stücke ein, aber es gibt Klassiker wie den „Wild Cat Blues“ oder „Stardust“, die das Orchester einzigartig spielt. Und darauf freue ich mich.
 
Herr Ullrich, Sie sind erst seit 2016 Mitglied dieses Orchesters, also genau in der Zeit, als Strasser aufhörte. Was verbindet Sie mit dem großen Musiker?
Bernhard Ullrich: Ich war kein festes Mitglied des Orchesters, habe aber jahrelang als Aushilfe gearbeitet, in allen möglichen Positionen, auch am ersten Altsaxofon. Dadurch habe ich Hugo bereits recht gut kennengelernt. Ich habe seinen Sound immer bewundert, weil er wirklich einmalig ist. Vor allem auch, wie er ihn einbindet in den Klang des Orchesters. Es wäre sehr schade gewesen, wenn diese Tradition nicht weitergeführt worden wäre. Insofern habe ich mich auch sehr gefreut, als Bandleader Heinrich Haas Junior mich dann gefragt hat, ob ich die Stelle des Soloklarinettisten im Orchester übernehmen wollte.
 
Herr Scharpf, wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich entschlossen haben, die Klarinette zu lernen?
Scharpf: Meine Frau und ich haben früher in unserer Jugend Tanzsport betrieben in der damaligen Tanzsportabteilung des TSV Etting. Als wir später das Tanzen aufgegeben haben, ist mir Hugos Tanzmusik abgegangen. Meine Frau hat dann vorgeschlagen: Dann lerne doch selber Klarinette und fang an zu Musizieren. Da war ich schon 30 Jahre alt.
 
Das war sicher sehr schwer?
Scharpf: Das ging eigentlich ganz gut. Sicher, mit 30 wird man kein Solist mehr. Aber ich habe relativ bald in einer Big Band gespielt, später jahrelang in einer bayerischen Blaskapelle, und das hat narrisch Spaß gemacht. Später habe ich noch Saxofon dazugenommen, was von der Grifftechnik ein sehr ähnliches Instrument ist, vielleicht sogar ein bisschen leichter.
 
Teilte Ihre Frau eigentlich von Anfang an Ihre Begeisterung für Swing-Musik?
Scharpf: Meine Frau spielt Geige und Klavier und kommt von der Klassik. Aber was Swing- und Tanzmusik betrifft, sind wir beide absolut auf einer Wellenlänge.
 Herr Ullrich, wie sind Sie darauf gekommen, Klarinette zu lernen und Musiker zu werden?
Ullrich: Mir wurde das fast schon in die Wiege gelegt, da mein Vater Klarinettist und Saxofonist war. Er war Militärmusiker. Durch die relativ frühe Pensionierung hatte er noch Kapazitäten frei und hat hier in Grünwald eine Jugendblaskapelle aufgebaut und geleitet. Als ich zehn Jahre alt wurde, begann ich auch in dieser Blaskapelle zu spielen und habe mich nach und nach mit verschiedenen Instrumenten ausprobiert. Angefangen habe ich als Schlagzeuger.
 
Hat das Klarinettenspiel von Strasser einen ganz eigenen Charakter, den man lernen kann?
Ullrich: Da gibt es einen großen Unterschied zu den klassischen Klarinettisten, besonders im deutschen Raum. Man spielt hier mit starken Blättern und engeren Mundstücken, womit man einen sehr festen, warmen Ton erzeugt. Im Jazz bevorzugt man eher offene Mundstücke und leichtere Blätter, was dazu führt, dass der Ton flexibler ist, dass man mehr Spielraum hat, den Ton vibrieren zu lassen. Und das hat Hugo Strasser in ganz besonderer Weise kultiviert. Er hat mit sehr leichten Blättern gespielt und hatte ein starkes, aber sehr geschmackvolles Vibrato entwickelt. Er hat den Ton auch sehr sanft und leise gespielt. Der Ton war dennoch gut hörbar, weil er durch Mikrofone verstärkt wurde, während die Big Band ohne elektronische Verstärkung spielt. Das war sein Soundkonzept.
 
Herr Scharpf, swingen Sie auf der Klarinette oder spielen Sie in klassischer Form?
Scharpf: In der Blaskapelle muss man natürlich gerade und ohne Vibrato spielen. 
 
Herr Scharpf, wenn man sich die Biografie von Hugo Strasser durchliest, merkt man, dass er sehr unserer Region verbunden war, durch sein Elternhaus. Was für ein Mensch war er?
Scharpf: Hugo war ein ganz feiner Mensch, er war uneitel, und er ist trotz seiner großen Erfolge immer auf dem Teppich geblieben. Mit ihm konnte man privat wunderbar unterhaltsame Abende verbringen, wobei er keinen Tropfen Alkohol getrunken hat; da war er ausgesprochen diszipliniert.
 
Können Sie das so bestätigen, Herr Ullrich?
Ullrich: Absolut. Ich bin in späteren Jahren immer wieder mit ihm zusammen und mit anderen Swing-Legenden aufgetreten. Da sind wir auch zusammen im Auto zu den Konzerten gefahren oder wir sind hinterher noch zusammengesessen. Auf der Bühne war er immer entspannt und kommunizierte auf Augenhöhe, und er war nie arrogant oder unnötig bestimmend. Er war eigentlich immer ein Gentleman, den Kollegen gegenüber genauso wie gegenüber den Damen und dem Publikum. Er hat eigentlich immer gewusst, sich richtig zu benehmen.
 
Herr Scharpf, Sie sind ein kulturaffiner OB. Spielt das eine Rolle, wenn Sie politische Entscheidungen treffen?
Scharpf: Auf jeden Fall. Ich glaube, Kultur ist ein Grundbedürfnis des Menschen und hält die Gesellschaft zusammen. Deshalb ist mir das Thema hier in Ingolstadt auch so wichtig. Ohne Kultur ist ein Leben eigentlich kaum denkbar.
 
Wie muss man sich die Beschäftigung mit Musik in der Familie Scharpf vorstellen?
Scharpf: Inzwischen liegt der Fokus auf den Kindern, die auch an die Musik herangeführt werden. Der eine lernt Schlagzeug, die Tochter Klavier und Geige. Und auch der Kleinere tastet sich jetzt schon an das Klavier heran. Man muss sich aber nichts vormachen: Das ist natürlich in dem Alter noch mühsam. Die Kinder sind noch relativ klein, so dass wir mit Hausmusikkonzerten wohl noch etwas warten müssen. Mit meiner Tochter habe ich immerhin schon mal probiert, zusammen Klarinette und Klavier zu spielen. Ich würde mir wünschen, dass sich einer von ihnen vielleicht auch mal für ein Blasinstrument begeistern könnte. Aber dafür sind sie wegen der Kiefer- und Zahnentwicklung noch zu jung.
 
Ist Musik für Sie, oder ist Kultur überhaupt für Sie ein wichtiger Gegenpol zum unmittelbaren politischen Handeln?
Scharpf: Absolut. Ich höre zu Hause gerne am Abend Musik. Ich bin da sehr breit aufgestellt. Von swingender Big-Band-Musik über bayerische Blasmusik bis hin zu Klassik und Popmusik. Für mich ist Musik ein Lebenselixier, eine Möglichkeit, zu entspannen, zu mir zu kommen.
 
Wie ist das bei Ihnen, Herr Ullrich? Viele Musiker hören ja gar nicht so gerne Musik.
Ullrich: Ich höre Musik, aber außerhalb meiner Arbeit nicht allzu viel. Gerade bereite ich zum Beispiel die Saxofon Partie in „Werther“ von Jules Massenet vor, was ziemlich anspruchsvoll ist. Die Oper wird im Staatstheater am Gärtnerplatz aufgeführt. Außerdem schreibe ich Kompositionen und Arrangements und unterrichte ein paar Privatschüler. So habe ich den ganzen Tag mit Musik zu tun, auch wenn ich nicht auf der Bühne stehe. Beim Kochen höre ich zur Entspannung manchmal bestimmte Arten von Jazz. Aber als Musiker konsumiert man Musik nicht wie die meisten anderen Menschen. Ich höre mir oft dieselbe Passage immer wieder an, weil ich etwas herausfinden oder verinnerlichen möchte.  

DK



Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.


Die Ingolstädter Ballnacht findet am 18. Februar, 20 Uhr, im Stadttheater statt. Kartentelefon:  0178 6640428 oder 0173 2792686.