Ingolstadt
Video: Neue Dauerausstellung in der Alten Anatomie

23.10.2020 | Stand 02.12.2020, 10:17 Uhr
Den Seziertisch für Leichen hat Direktorin Marion Ruisinger ins Zentrum des anatomischen Hörsaals gestellt. Zu den beeindruckenden Exponaten in der neuen Ausstellung im Medizinhistorischen Museum zählen unter anderem die Eiserne Lunge (links oben), die Sauerbruch-Prothese mit der aufgenagelten Armbanduhr oder die Skelette der Siamesischen Zwillinge. Ab 3. November sind sie zu sehen. −Foto: Eberl

An diesem Sonntag wird die neue Dauerausstellung in der Alten Anatomie offiziell vorgestellt. Statt einer bloß chronologischen Darstellung setzt das Deutsche Medizinhistorische Museum auf die teils einzigartigen Objekte und das Gebäude selbst.

Geschichten erzählen. Das will Museumsdirektorin Marion Ruisinger mit der neuen Ausstellung. Aber sie will nicht selbst die Besucher unterhalten, sondern die Objekte sprechen lassen. So wie in der Reihe Mittagsvisite, in der seit zehn Jahren jede Woche eines der mehr als 15000 Stücke aus der Sammlung vorgestellt wird. Diesem Konzept folgend haben Ruisinger und Sammlungsleiter Alois Unterkirchner im Erdgeschoss der Anatomie um 21 ausgewählte Objekte respektive Objektgruppen kleine Ausstellungsinseln komponiert. Kurze, weiterführende Texte und diverse Begleitmedien lenken den Blick des Betrachters auf medizinische Phänomene - von "Atmen" bis "Zweifel". "26 sind es leider nicht geworden", bedauert Ruisinger: Für alle Buchstaben des Alphabets war der Platz zu klein.

Unter diesen 21 "starken Objekten", wie sie genannt werden, sind bekannte Exponate wie etwa die Sauerbruch-Prothese mit der angenagelten Armbanduhr. Oder die Eiserne Lunge, die für das Atmen steht. Wie sich die Brillen entwickelt haben, zeigen Zeichnungen und auch Exponate aus 400 Jahren. Büsten berühmter Ärzte werden unter dem Stichwort "Überhöhung" präsentiert - und diese gleichzeitig in Frage gestellt: Die Köpfe werden wie in einem Depot gezeigt. Und dann ist da noch der Teller mit dem Konterfei von Klaus-Jürgen Wussow alias Prof. Brinkmann aus der Serie "Schwarzwaldklinik"...

Zeit nehmen sollte man sich für den letzten Raum im Erdgeschoss, der Victor Frankenstein gewidmet ist: Laut Ruisinger "der berühmteste Student der Fakultät, der nie gelebt hat". "Wir wollten kein Gruselkabinett", betont sie. Stattdessen werden unter anderem die einzigen von Autorin Mary Shelley wohl noch autorisierten Illustrationen in der Romanausgabe von 1831 gezeigt oder eine Auswahl von Frankenstein-Verfilmungen, die älteste aus dem Jahr 1910.

Schließlich erblickt der Besucher die berühmte Pestmaske - und dazu gleich drei Erklärungen. "Welche richtig ist, wissen wir nicht", gibt Ruisinger unumwunden zu. An den Besucher ist dies am Schluss der Ausstellung die Aufforderung, seinen Verstand zu benutzen und kritisch zu bleiben. Denn das Erdgeschoss ist erst der zweite Teil der Ausstellung. Start ist im ersten Stock vor dem Panoramafenster im Neubau. Der Besucher erfährt, woher die Studenten der Medizinischen Fakultät kamen und dass nicht wenige Doktorarbeiten (einige werden gezeigt) von den Professoren geschrieben wurden. Im nächsten Schritt taucht er ein in den "Heilermarkt des 18. Jahrhunderts", so Ruisinger. Denn damals praktizierten nicht nur Ärzte, sondern auch Bader oder Zahnreißer. Die Medizin war zwar anders als heute, aber dennoch hilfreich für die Patienten.

Ihren Höhepunkt erreicht das Konzept der szenischen Ausstellung im Anatomiesaal. Hier wurde die frühere Architektur aufgegriffen, das Theatrum anatomicum. Die Vitrinen sind in einem Halbkreis angeordnet, wo früher die Studenten standen und auf den Seziertisch schauten, auf dem die Leichen geöffnet wurden. Der Tisch ist echt, aber nicht aus Ingolstadt.

Auf der Rückseite der Ränge war schon vor 1800 die Sammlung der Fakultät zu sehen. Dort kann der Besucher heute wieder seltene Objekte bewundern. So etwa das Ingolstädter Vesal von 1783, ein Lehrbuch mit anatomischen Abbildungen für bayerische Wundärzte in Landessprache, das Begriffe wie Gekrösdrüse für Pankreas benutzt. Gezeigt werden viele medizinische Geräte, darunter Knochensägen, eine Spritze für Nottaufen, Geburtszangen, ein Gehirnlöffel, Urinale für Männer und Frauen, Haarseilzangen, Schädelbohrer oder die Klistierspritze, mit der Tabakrauch in den Darm gepumpt wurde. Berührend wirken die Skelette der Siamesischen Zwillinge oder das Zyklopenschädelchen mit nur einem zusammengewachsenen Auge.

DK