Die Ausstellung trägt den Titel: „I don’t know what art is.“ Stimmt das, wissen Sie nicht was Kunst ist?
Martin Creed: Kunst ist kein definierter Begriff. Warum? Weil es mit Gefühlen zu tun hat und die können auch nicht so gut definiert werden. Aber Gefühle sind sehr mächtig. Es geht hier um Kategorien, um Abgrenzungen. Aber solche Grenzziehungen sind niemals wirklich hilfreich. Es bringt mir nichts, wenn ich weiß, was Kunst ist, wenn ich mit einem neuen Kunstwerk beginne.
Wenn das, was hier im Museum stattfindet, nicht unbedingt eine Kunstausstellung ist: Was ist es dann? Warum sollen Menschen kommen und sich das ansehen?
Creed: Es ist definitiv eine Ausstellung.
Aber was erwarten Sie von den Menschen, warum sollen sie herkommen?
Creed: Ich hoffe, dass Ihnen die Ausstellung Freude bereitet – etwa, indem sie ein Bad in den Ballons nehmen. Oder dass sie vor dem schönen Foto stehen mit dem großen und dem kleinen Hund. Es ist so ein fast familiärer Gedanke, große Familienmitglieder und kleine. Ein Archetyp.
Ist für Sie Kunst eine Form der Kommunikation mit dem Publikum?
Creed: Ich mache Kunst für mich selbst und dann hoffe ich, dass sich etwas überträgt. Aber ich stelle mir das nicht als direkte Kommunikation vor. Es ist eher etwas Gemeinschaftliches. Deshalb will ich so gerne den gesamten Raum füllen, etwa mit Luftballons. Wenn man hineingeht, dann bewegen sich alle Ballons, jede Bewegung überträgt sich auf alle anderen Menschen, man ist zusammen, im Kunstwerk verbunden. Wenn man etwas kommuniziert, dann ist es sehr schwierig zu verstehen, was für eine Botschaft man da weitergibt. Man weiß auch nicht, ob da vielleicht böse Intentionen verborgen dahinterstecken. Man weiß nie genau, was andere Menschen wirklich beabsichtigen, wenn sie kommunizieren.
Das geht ja noch weiter, wie Sie schon mal erläutert haben. Wir wissen nicht einmal viel von uns selbst und warum wir etwas kommunizieren.
Creed: Ja, so etwas in der Art habe ich gesagt. Kunst ist eine Möglichkeit, etwas über sich selbst herauszufinden. Wenn ich an Kunst arbeite, dann versuche ich zu kommunizieren, aber ich weiß natürlich nicht, wie das wirklich ankommt und was ich kommuniziere und wer ich bin.
Und Sie selbst sind auch so etwas wie ein Kunstwerk, wenn ich Ihre Kleider betrachte?
Creed: Ja. Das ist vielleicht noch wichtiger als die Kunst, die ich mache. Als ich zur Kunsthochschule ging, fiel mir auf, dass ich mich in einer bestimmten Weise bewege, wenn ich etwa ein Bild male. Bewegung macht uns als Menschen aus, wir bewegen uns eigentlich immer, wenn nicht, sind wir tot. Das ist wie eine Art Ballett, das man aufführt, wenn man ein Kunstwerk erschafft. Bewegung ist grundlegender als das Kunstwerk. Also habe ich mich der Bewegung zugewandt, Leute rannten durch mein Atelier zum Beispiel. Und dann ist mir bewusst geworden, dass es noch etwas anderes gibt. Meine Körperlichkeit und meine Kleider.
Warum wollten Sie überhaupt Künstler werden?
Creed: Wenn ich zurückblicke: Als ich Teenager war, habe ich wie elektrisiert gelesen und geschrieben. Ich habe aber auch Ausstellungen besucht und viele Konzerte. Als es darum ging, zur Universität zu gehen, hat mich vor allem Literatur interessiert, ebenso Architektur und Psychologie. Dann habe ich darüber nachgedacht und kam zu der Ansicht: Kunst ist das richtige. Denn die Definition von Kunst schließt all das ein. Ich habe darüber gesprochen, dass sich Kunst nicht so gut definieren lässt – und das genau ist gut daran und lässt so viel Freiheit zu.
Haben Sie Vorbilder?
Creed: Es gibt viele Künstler, die ich bewundere: Johnny Cash, Bob Dylan, Samuel Beckett, Andy Warhol und Picasso. Aber am meisten von allen: Shakespeare.
Warum?
Creed: Was macht Kunst wirklich herausragend? Gute Kunst ist wie ein Balkongitter. Man kann sich daran festhalten und gleichzeitig die Welt betrachten, die wie ein Dschungel uns umgibt. Es vermittelt Orientierung und Sicherheit. Es schützt einen davor, von Löwen gefressen zu werden.
Haben Sie Ingolstadt schon ein wenig kennengelernt?
Creed: Das ist bereits mein zweiter Besuch hier. Vor sechs Monaten habe ich das Museum schon besucht.
Was halten Sie von der Stadt?
Creed: Es ist schön hier, aber ich interessiere mich nicht für Sehenswürdigkeiten, falls es die hier gibt. Wichtig war für mich, dass die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, sehr freundlich sind.
Ihre Werke sind in einem Museum für Konkrete Kunst ausgestellt. Was halten Sie von Konkreter Kunst?
Creed: Der Begriff war völlig neu für mich, als ich das Museum zum ersten Mal besuchte. Aber als man mir hier erklärte, was Konkrete Kunst ist, da erinnerte ich mich plötzlich, wie begeistert ich als Teenager von Konkreter Poesie war. Wenn ich mit Sprache arbeite, dann hat das einige Verwandtschaft mit Konkreter Kunst. Ich habe von den Künstlern, die hier gezeigt werden, noch nie etwas gehört. Aber ich finde sie fantastisch.
Ihre Werke vermitteln immer ein besonderes Erlebnis. Etwa das Erlebnis der Enge, wenn man durch die vielen Luftballons geht. Kommt es Ihnen darauf an?
Creed: Ja. Ich hoffe, dass das der Fall ist. Aber darauf kann ich nicht vertrauen. Wenn ich ins Museum gehe und ein berühmtes Bild ansehe, dann ist der Eindruck unvorhersehbar. Vielleicht treffe ich mich mit einem Freund im Museum und das Bild ist gar nicht so wichtig, sondern vielmehr das Gespräch. Oder jemand betrachtet ein Kunstwerk und hat dabei Kopfschmerzen, oder er ist gerade sehr glücklich. Immer wieder wird das Kunstwerk anders auf ihn wirken. Das Kunstwerk existiert nicht völlig getrennt von den Personen, die es betrachten. Wenn ich ein Kunstwerk gestalte, dann hoffe ich, dass die Menschen, die es erleben etwas ganz spezifisch persönlich Eigenes entdecken. Menschen sind ja frei.
DK
Der Interview führte
Jesko Schulze-Reimpell.
ZUR PERSON
Martin Creed, der am heutigen Samstag 55 Jahre alt wird, ist Künstler, Musiker, Choreograph, Schriftsteller und Modedesigner und nutzt dabei unterschiedlichste Medien und Materialien. Er kam in Wakefield zu Welt und wurde 2001 mit dem Turner-Preis geehrt.
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