Theatervorschau
Der Kampf um die Deutungshoheit – Letzte Vorstellung des Musicals „Slippery Slope“

27.03.2023 | Stand 17.09.2023, 0:22 Uhr

Kunst und Macht: Enrico Spohn als Gustav Gundesson und Luiza Monteiro als Sky. Foto: Malinowski

Wer darf worüber sprechen? Und wer bestimmt, was diskriminierend, rassistisch, antisemitisch oder frauenfeindlich ist? Die aufgeregten Cancel-Culture-Debatten hat Yael Ronen zum Thema eines unterhaltsamen, tiefsinnigen und cleveren Musicals über Kunst und Macht gemacht. „Slippery Slope“ feierte am Berliner Gorki-Theater große Erfolge. Und es war ein Coup von Intendant Knut Weber, die Regisseurin für Ingolstadt zu verpflichten. Am Sonntag, 2. April, gibt es die letzte Gelegenheit, „Slippery Slope“ im Großen Haus zu sehen. Hauptdarsteller Enrico Spohn hat schon mit anderen Regiegrößen gearbeitet. Jüngst mit Claus Peymann in den „Nashörnern“. Und zuvor mit Johann Kresnik, der ihn danach für eine Produktion an die Berliner Volksbühne holte.

Herr Spohn, was mögen Sie lieber – die Premiere oder die Derniere? Und warum?
Enrico Spohn: Ich glaube die Derniere. Wir produzieren hier ja so viele Stücke. Wenn man dann große Rollen in parallelen Produktionen spielt, ist man manchmal froh, wenn man was aus seinem Kopf hat. In „Slippery Slope“ gebe ich Gustav Gundesson, in „Peter Pan“ den Hook und im „Sommernachtstraum“ werde ich den Puck spielen.

Nicht zu vergessen die „Nashörner“.
Spohn: Da war die letzte Vorstellung ein Geschenk. Es war toll. Peymann war noch mal da und hat geschwärmt, wie sich das Stück weiterentwickelt hat. Weil „Slippery Slope“ mir sehr am Herzen liegt, hoffe ich noch mal auf ein volles Haus. Da geht es auch um Energie. Gerade meine Figur arbeitet sehr viel mit den Reaktionen des Publikums.

Die letzte Vorstellung von „Slippery Slope“ ist am Sonntag. Was mögen Sie an der Produktion?
Spohn: Das Stück behandelt unglaublich aktuelle Themen, die gerade im Kulturbetrieb hochkochen, etwa kulturelle Aneignung, Rassismus und Machtmissbrauch, trotzdem kommt es sehr leichtfüßig daher. Es tut nicht weh, stellt aber die richtigen Fragen. Es verfügt über Witz und hat eine gewisse Tiefe.

Sie spielen Gustav Gundesson, der nach einem Cancelculture-Skandal sein Comeback feiert. Haben Sie Mitleid mit Ihrer Figur?
Spohn: Ich bin sehr auf Gustavs Seite. Ich sehe seine Geschichte natürlich so, wie er sie sieht. So will ich sie auch an die Leute verkaufen. Schon der Beginn birgt ja ein gewisse Tragik: Der Start in sein Comeback misslingt, weil ihn seine Geschichte einholt – die ganzen Vorwürfe von Sexismus und Cultural Appropriation. Ich habe mir überlegt, wie er sich in der Zeit, als er nach dem Skandal abtauchen musste, nach Schweden zurückgezogen hat und dort viel getrunken und geweint hat. Er fühlt sich ja zu Unrecht beschuldigt. Schließlich hat er den ethnischen Minderheiten eine Stimme gegeben. Und hat Sky entdeckt und ihre Karriere gefördert. Am liebsten mag ich die Stelle mit den Sprachnachrichten. Weil die so absurd sind. Vermutlich kennt jeder das Gefühl, wenn auf Anrufe keine Reaktion kommt. Aber hier wird das auf die Spitze getrieben. Gustav stellt sich vor, dass es ein Zugunglück gegeben hat, Überschwemmungen, Sky gekidnappt wurde. Im Original gab es auch noch Verwicklungen mit ihrer Mutter. Aber Yael Ronen ist ja nicht nur Regisseurin, sondern Autorin und hat nach dem Motto „kill your darlings“ noch mal stark gekürzt.

Witzig ist vor allem, wenn die Alben projiziert werden, die Gundesson aufgenommen hat – in den verschiedensten Stilrichtungen. Weil Sie auf jedem Album den entsprechenden Look haben – vom Klezmer-Album über Roma-Balladen bis zu Eskimo-Gesängen.
Spohn: Das mit dem Ethno-Kitsch hat echt Spaß gemacht – ob „Eye Of The Camel“, das Haiti-Voodoo-Projekt, „Borealis“ oder „Ha ne sha ma“. Dann gibt es da noch das Album mit Peter Gabriel und Sting auf der gemeinsamen World Tournee. Da sieht man mich mit der Originalperücke, die ich eigentlich hätte tragen sollen. Yael Ronen wollte, dass wir alle sehr künstlich aussehen. Aber diese Haare waren so viel, dass sie mir bei den Sprachnachrichten immer ins Gesicht gefallen sind. Also haben wir mit meinen echten Haaren gearbeitet – das sah so schlimm aus, dass die Regisseurin dachte, das sei eine Perücke und sich wunderte, dass ich sie sogar noch abends in der Bar Centrale trug. Nach der letzten Vorstellung werde ich die Haare ritualisiert abschneiden lassen.

Sie spielen auch Akkordeon.
Spohn: Ja, das war auch so eine Sache. In der Fassung des Gorki-Theaters spielt Gustav Akkordeon. Also habe ich nachgefragt, ob ich es lernen sollte. Ich hätte ja den Sommer über Zeit gehabt. Yael Ronen meinte zunächst, wir würden etwas anderes finden. Später war doch Akkordeon gefragt. Und Tobi Hofmann musste es mir ganz fix beibringen. Er hat sowieso super Arbeit gemacht. Er hat uns alle perfekt vorbereitet, so dass Yael Ronen in gerade mal zwölf Probentagen dieses Stück eingerichtet hat.

Wie war die Arbeit mit ihr?
Spohn: Zu kurz. Normalerweise entwickelt sie ja mit dem Ensemble ihre Stücke. Und so ein work in progress wäre schon sehr interessant gewesen. Weil sie eingesprungen ist, ging das hier nicht. Die Arbeit mit ihr? Sie weiß, was sie will. Und sie zählt nicht umsonst zu den aufregendsten Theatermacherinnen gerade.

DK

Die Fragen stellte Anja Witzke.



Karten für die Vorstellung am 2. April um 19 im Großen Haus gibt es unter Telefon (0841) 30547200. Einführung in Foyer um 18.30 Uhr.