Die Welt zu einem besseren Ort machen
Der Didaktikprofessor Jean-Pol Martin feiert seinen 80. Geburtstag

10.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:52 Uhr

Ein Himmel voller Ideale: Jean-Pol Martin steht unter einem Mobile mit Karten, auf denen seine sechs Neuen Menschenrechte abgedruckt sind. Foto: Schulze-Reimpell

„Wissen Sie“, sagt der emeritierte Didaktik-Professor Jean-Pol Martin, „ich habe eigentlich nur ein einziges Projekt – und das ist die Weltverbesserung.“

An diesem Montag wird der gebürtige Franzose, der seit Jahrzehnten in Bayern lebt, 80 Jahre alt. So quicklebendig wie er über die Straßen läuft, so blitzschnell wie er spricht, merkt man ihm sein Alter kaum an. Im Gegenteil: Es wirkt fast so, als wäre er mit seinen vielen Initiativen überhaupt erst mit dem Beginn seines Ruhestandes 2008 so richtig durchgestartet. Martin ist umtriebig wie kaum ein anderer Ingolstädter. Er gibt Führungen, war Mitglied der Grünen und engagiert sich im Café International bei Geflüchteten. Vor allem aber kämpft er für seine eigenen Theorien. Denn sie sollen die Welt zu einem besseren Ort machen.

Martin ist zwar keineswegs religiös – aber eine Aura des Missionarischen umweht ihn dennoch. Er ist kämpferisch, denn seine Theorien liegen ihm so am Herzen, dass er auf keinen Fall will, dass sie im papiertrockenen Diskurs der Wissenschaftler veröden. Sie sollen vielmehr wirken, in der Welt. „Ich bin nicht nur ein Mann der Bücher“, sagt Martin fast trotzig.

Lernen durch Lehren

Die eine Theorie, die ihn zumindest in der Fachwelt international bekannt gemacht hat, heißt „Lernen durch Lehren“. Auf die Idee kam Martin vor rund 40 Jahren in Eichstätt, wo er Didaktik lehrte. „Als ich dorthin kam, wollte ich zur Überraschung meiner Kollegen unbedingt auch eine Schulklasse unterrichten. Also war ich jahrelang der Lehrer einer Französisch-Klasse im Willibald-Gymnasium. Schon bald spürte er, was für ein zähes Handwerk es ist, Schüler zu motivieren. „Dann bin ich darauf gekommen, dass die Schüler sich gegenseitig unterrichten sollten – und das war eigentlich schon die ganze Idee.“ Schnell spürte Martin, dass sich die Schüler wesentlich glücklicher fühlen, dass sie Selbstbewusstsein entwickeln und sich fachlich schnell verbessern. Das neue Konzept zog weite Kreise, die Presse bis hin zum „Spiegel“ interessierte sich für die Theorie, eine umfangreiche wissenschaftliche Dokumentation über sieben Jahre hinweg wurde gedreht. Heute ist „Lernen durch Lehren“ eine anerkannte Lehrmethode.

Es dauerte noch ein paar Jahre bis Martin sein zweites Lebensthema fand. Nach der Emeritierung suchte er zunächst nach einem neuen Betätigungsfeld. Er engagierte sich bei der Freiwilligen-Agentur und begann autodidaktisch Philosophie zu studieren – nach seiner eigenen Methode, „Lernen durch Lehren“. Er gab Volkshochschulkurse, sagte aber gleich in der ersten Stunde, dass er eigentlich über Philosophie nichts wisse und sie mit den Teilnehmern zusammen studieren wolle. So lernte man zusammen. Das brachte ihn zur politischen Philosophie und schließlich zu den Menschenrechten. Die Theorie dahinter erschien ihm allerdings mehr als mangelhaft. „Freiheit, Würde, das sind eigentlich Leerformeln, keiner weiß wirklich, was damit gemeint ist.“

Theorie der „Neuen Menschenrechte“

Was fehlte, war eine umfassende Theorie, die die 30 Menschenrechte konzeptionell zusammenfügen würde. Das genau bietet seine Theorie der „Neuen Menschenrechte“. Bei Martin fußen die 30 Prinzipien nun nicht mehr auf diffuser Metaphysik, sondern vielmehr auf empirischen Erkenntnissen der Sozial- und Naturwissenschaften: Psychologie, Neurowissenschaften, Glücksforschung. Die neuen Menschenrechte sind genau den humanen Grundbedürfnissen angepasst – ausgehend von der Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow. Die hat Martin allerdings auf sechs erweitert: Denken, Gesundheit, Sicherheit, soziale Einbindung, Selbstverwirklichung und Partizipation, Sinn.

Vor rund sieben Jahren hat Martin seine Theorie erstmals publiziert, inzwischen wird viel über sie geredet – aber: Der Pädagogik-Professor würde sich wünschen, dass sie noch bekannter, dass sie noch stärker im Politikbetrieb eingesetzt wird, gerade auch in Ingolstadt. Dafür kämpft Martin und ist sich dabei durchaus der Endlichkeit seines Lebens bewusst.
So zielstrebig wie heute, war der Didaktiker keineswegs immer. Vielmehr benötigte er einige Lebenszeit, um seine Berufung zu finden. 1943 in Paris geboren, begann er zunächst ein Medizinstudium und konzentrierte sich dann auf Germanistik. Das führte ihn nach Erlangen, wo er zusammen mit anderen sein erstes Lehrbuch veröffentlichte, das bald eine Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren erreichte. Dort lernte er auch seine Frau kennen, mit der zusammen er vier Kinder aufzog . Er war Lehrer in Höchstadt/Aisch und ab 1980 Französischdidaktiker an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Nach seinem Geburtstag will Martin vor allem alle Menschen einladen und versammeln, die mit ihm an einem Strang ziehen, die sich ebenfalls für seine Theorien einsetzen. Ein Treffen der Weltverbesserer.
Unter dem Titel „Wie geht bedürfnisorientierte Erziehung?“ halten am 18. April Jean-Pol Martin und Nicole Kern Vorträge über die neuen Menschenrechte nach Martin. Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr in der Ingolstädter Montessori-Schule in der Johann-Michael-Seiler-Straße 7.