Klare, gemeinsame Gestaltungssprache
Das Trio Karénine beim Konzertverein Ingolstadt mit Werken von Clara und Robert Schumann

24.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:35 Uhr

Klangfusion der Extraklasse: Amanda Favier an der Violine, Paloma Kouider am Flügel und Louis Rodde am Violoncello. Foto: Schaffer

Sie haben sich nach Tolstois berühmter Roman-Titelheldin Anna Karenina benannt – mit dem Ziel, die humanistischen Werte jener starken Frauenfigur zum Klingen zu bringen. Wie sehr die drei Musiker des Trio Karénine ihrem selbst gesetzten Anspruch gerecht werden, zeigte sich bei ihrem Konzertvereins-Auftritt im Theaterfestsaal. Dabei standen Kompositionen des Ehepaares Robert und Clara Schumann im Fokus, um deren Ausstrahlung auf andere Komponisten zu beleuchten.

Schon beim eröffnenden „Allegro moderato“ des Klaviertrios in g-Moll op. 17 von Clara Schumann – jenem Werk, das sie ihrem Mann am siebten Hochzeitstag zum Geschenk machte, wird die langjährige Vertrautheit des Trio Karénines spürbar. Kammermusik begreifen die Musiker als besondere Kunstform, die sie essenziell kultivieren. Eng schmiegt sich der Klavierklang in den Streicherton der Geige und des Cellos hinein, der verschmelzend zurückstrahlt. Das Trio Karénine sucht die Klangfusionen, eine gemeinsame musikalische Gestaltungssprache. Tief tauchen Amanda Favier an der Violine, Louis Rodde am Violoncello und Paloma Kouider am Flügel ein ins Verständnis der Texturen, bringen deren Botschaft klar zum Vorschein.

Romantischer Gestus



In Clara Schumanns Musik zelebriert das Trio auch die freundschaftlichen Verbindungen zu bedeutenden Komponisten der Zeit. Das intime Andante mutet in seinem romantischen Gestus wie ein „Lied ohne Worte“ von Felix Mendelssohn an, auch das Finale erinnert in seiner Melancholie an ihn. Clara Schumanns melodischen Fluss belebt das Trio Karénine mit wachem Geist, schwungvoller Frische, robustem Profil, lässt aber ebenso gefühlvolle Wehmut, tänzerische Blumigkeit, elegisches Aufblühen und warme Weichheit walten.

Gegenseitig beeinflusst



Clara und Robert Schumann beeinflussten sich künstlerisch gegenseitig, ihre kompositorischen Ideen waren eng miteinander verflochten. Diese Bezüge legen die Musiker offen. Im Klaviertrio Nr. 3 g-moll Op. 110 von Robert Schumann – sein letztes Werk – offenbaren sich die Paradoxien der beiden von ihm erschaffenen, gegensätzlichen Fantasiefiguren Florestan und Eusebius in ihrer entrückten Gänze. Das Stück steht für sich selbst, gewährt tiefe Einblicke in Schumanns Psyche. Im ersten Satz erweist es sich als extrem dunkel, im zweiten als enorm sensitiv, sogar ein wenig sentimental, im dritten als wild und geisterhaft, im Finale als immens freudig, nahezu euphorisch. Das Trio Karénine hat den Mut, das interpretatorische Risiko dieser schwankenden Stimmungen kompromisslos auf sich zu nehmen. Die gewaltige Form, die aufwühlende Architektur, die gespenstische Struktur nehmen die Musiker als Ausgangspunkt für eine betörend losgelöste, tiefschürfende, mitunter nahezu faszinierend eskapistisch gestaltete Lesart.

Schumanns „Sechs Studien in kanonischer Form“



Dem voran stellt das Ensemble Schumanns „Sechs Studien in Kanonischer Form“ in Gestalt einer gelungenen Transkription seines Schülers und Freundes Theodor Kirchner: Kontrapunktische Bearbeitungen hochpräziser Themen von sehr unterschiedlichem Charakter. In dieser für Schumann recht ungewöhnlichen kleinteiligen Anlage lässt das Trio die reizvollen Behandlungen, die fein austarierten Führungen der Stimmen, die Ausdrucksvielfalt der Abfolgen an den drei Instrumenten metrisch-responsorisch deutlich aufscheinen, setzt pulsierende Akzente, weiß sie ungemein wohlklingend und ausgewogen betont herauszuarbeiten.

Übertragung Schumann‘scher Werke in die Moderne



Das irritierendste Werk des Abends ist sicherlich die „Fremde Szene III“ von Wolfgang Rihm. Nach dem Verständnis des Karénine-Trios geht der moderne Komponist hier ähnliche Wagnisse ein wie Schumann. Der Anfang beginnt beinahe ohne materielle Substanz, scheinbar aus dem Nichts. Höchste Lagen in den Streicherstimmen, dreifaches Piano. Doch dann entwickelt sich ein typisch romantisch orientierter Impetus: Der Versuch, etwas zu erreichen, ohne es jemals erlangen zu können. Bei aller Verfremdung lehnt sich Rihm dennoch an Schumanns Klanggrammatik und Artikulationsanweisungen an, transformiert dessen Ideen, seine drastischen Gefühle kosmisch-futuristisch ins 20. Jahrhundert. Am Ende verlangsamt sich der Rhythmus, alles kehrt in die fast lautlose Stille zurück und verschwindet schließlich dahin, woher es gekommen ist. Eine maximal ausgereizte Spannweite der Expressionspalette, repetitiv, flirrend, ruppig, eruptiv.

Ein gemeinsam schwingender Klangkörper



Und sogar hier beweist das Trio Karénine, dass es auf subtil abgemischte Balancen setzt, flexibel bleibt im Umgang mit den musikalischen Optionen. Da musizieren nicht drei Individuen, sondern ein einziger, in sich schwingender Klangkörper. Das macht die Spezifität eines „echten“ Klaviertrios aus.