Theatersaison 2023/24 in Ingolstadt
„Das Theater braucht eine neue Dringlichkeit“

Intendant Knut Weber über seinen letzten Spielplan

04.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:41 Uhr

Seit 2011 ist Knut Weber Intendant am Stadttheater Ingolstadt, bis Sommer 2024 ist er noch im Amt. Foto: Hauser

„Von Recht und Gerechtigkeit“ lautet das Motto der Ingolstädter Theatersaison 2023/24. Es ist die letzte Spielzeit von Intendant Knut Weber, der dann in den Ruhestand geht. Im Zentrum steht eine Überschreibung der „Orestie“, denn: „als Gründungstext ist sie ein zentraler Bestandteil der westlichen Zivilisation“. Eine Kooperation mit dem Georgischen Kammerorchester steht am Beginn der Spielzeit, am Ende dürfen wir unter freiem Himmel noch mal zur Musik von den Tiger Lillies träumen. Zudem ist Ingolstadt Gastgeber für die Bayerischen Theatertage von 29. Mai bis 16. Juni 2024.



Herr Weber, der letzte Spielplan für Ingolstadt – ist das ein besonderer Spielplan? Welche Gefühle haben Sie geleitet?

Knut Weber: Ich bin schon mit einem anderen Gefühl an die Planung herangegangen, aber herausgekommen ist ein ganz normaler Spielplan. (Er lacht.) Ich hatte schon lange den Wunsch, „Die Orestie“ zu realisieren. Die Geschichte der Geburtsstunde der Demokratie hat schließlich einen hohen kulturpolitischen Stellenwert. Den letzten Anstoß dazu hat Zinnie Harris’ Fassung „This Restless House“ gegeben. Das ist eine super Überschreibung. Ich habe sofort die Übersetzung in Auftrag gegeben – weil das Stück bisher nur auf Englisch vorliegt. Jochen Schölch wird Regie führen, ich werde die Dramaturgie dazu machen – was quasi die Rückkehr in meinen ursprünglichen Beruf bedeutet.

„Haus ohne Ruhe“ von Zinnie Harris schildert den Übergang vom Prinzip der individuellen Rache zur geordneten Rechtsprechung. Würden Sie das Stück als Schlüsselproduktion der Spielzeit bezeichnen?
Weber: Ja. Thematisch bringt die „Orestie“ das Motto der Spielzeit auf den Punkt. In gewisser Weise aber auch meine Zeit hier in Ingolstadt. Wir versuchen mit dem Theater immer auch eine kulturpolitische Setzung vorzunehmen. Als Gründungstext ist die Orestie ein zentraler Bestandteil der westlichen Zivilisation. Und die Überschreibung hat eine sprachliche und gedankliche Wucht, die ihresgleichen sucht. Zinnie Harris erzählt in drei Teilen von der Rückkehr des Agamemnon. Die Geschichte führt vom Mythos über den Ursprungstext ins Heute. Der letzte Teil spielt in der Psychiatrie. Aber der Mythos schimmert immer durch. Das erzählt uns auch die Geschichte einer unbewältigten Vergangenheit. Die sich eben – siehe Ukraine-Krieg – bis heute durch die Geschichte der Menschheit zieht.

Ist denn auch das Spielzeitmotto „Recht und Gerechtigkeit“ eine Reaktion auf den Ukraine-Krieg?
Weber: Das Thema Recht hat im Moment eine ungeheuere Brisanz in unserer Gesellschaft. Überall, wo man hinschaut, stellt sich die Frage: Ist das gerecht? Es gibt ja eine Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit. Eigentlich gehört auch Rache dazu. Das Thema durchzieht unser Leben in allen Facetten: soziale Gerechtigkeit, Widerspruch zwischen Reich und Arm, das Recht der Natur, das Recht der Tiere. Das alles prägt unsere Welt.
Zum Auftakt verschränken Sie Händels erstes Oratorium mit einem Text von Thomas Köck über das Verschwinden der Arten und damit auch der Menschheit. Eine Koproduktion mit dem Georgischen Kammerorchester. Sie führen selbst Regie. Was ist das für ein Projekt?
Weber: Die Zusammenarbeit mit Ariel Zuckermann und dem Georgischen Kammerorchester ist ein großer Wunsch von beiden Seiten. Wir haben mit dem GKO schon einige Projekt gemacht, etwa „Der Fuchs, der den Verstand verlor“ oder „Pimpinone“. Wir planen nicht die Gründung einer Sparte Musiktheater, aber wenn die beiden größten kulturellen Körper dieser Stadt zusammenfinden, dann ist das eine gute Idee. Wir haben ganz pragmatisch nach einer Oper gesucht, die besetzbar ist. „La Bellezza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno“ ist eine gute Wahl. Denn es geht um die Auseinandersetzung zwischen Schönheit und Vergnügen auf der einen Seite und Zeit und Erhellung auf der anderen Seite. Das berührt zentrale Fragen unseres Lebens. Wollen wir so leben, wie wir leben – dem Genuss und dem Luxus verpflichtet ohne Rücksicht auf Verluste? Dazu stellen wir den Text von Thomas Köck, in dem er fragt, warum wir nicht anders können, als auf Zerstörungskurs zu bleiben. Das wird ein großes Projekt: 37 Musiker, 4 Sänger, 4 Schauspieler. Ein Experiment.

Die Bayerischen Theatertage fallen in Ihre letzte Ingolstädter Spielzeit.
Weber: Das bedeutet zunächst mal eine große Herausforderung für das Haus. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine Auszeichnung und eine Ehre. Seit es einen neuen Modus gibt, dass das Festival kuratiert wird und nicht mehr jedes Theater selbst entscheidet, was es zeigt, hat es an Spannung gewonnen. Es ist tatsächlich zur Leistungsschau der bayerischen Bühnen geworden. Wir haben kein Motto, sondern wollen vor allem gutes Theater sehen, mit interessanten Inszenierungen – von freien Gruppen bis zu den Staatstheatern, das ist sehr reizvoll.

Warum „Der Sturm“ und nicht „Der Kaufmann von Venedig“?
Weber: „Der Kaufmann von Venedig“ ist ein schwieriges Stück, da gerät man schnell in ein antisemitisches Fahrwasser. Schon vor der Pandemie hatte ich den Tiger Lillies den Auftrag erteilt, den „Sturm“ zu vertonen. Das haben sie getan. Und das werden wir in einer Art von Szenischem Amusement aufführen.

Julia Mayr wird „Das achte Leben“ auf die Bühne bringen. In dem Roman spannt Nino Haratischwili den Bogen vom Georgien am Vorabend des Ersten Weltkriegs bis ins Deutschland zu Anfang des neuen Millenniums.
Weber: Erzählt wird die Geschichte von Georgien – daher passt es sehr gut zu Ingolstadt. Durch den Ukraine-Krieg hat das Buch eine unerwartete Aktualität bekommen. Aber es ist auch ein Familienepos, erzählt wunderschön und gefühlsstark von Liebe und Hass, Verrat und Widerstand, Anpassung und Überlebenswillen – und es gibt bereits eine Bühnenfassung davon. Trotzdem wird das für das Kleine Haus eine Herausforderung.

Gibt es neue Formate oder Spielstätten?
Weber: Ein neues Format wird sicher „All Tomorrow’s Parties“ von Niko Eleftheriadis. In dieser musikalischen Stückentwicklung mit digitalen und theatralen Mitteln lässt die Sparte X einen hybriden Raum entstehen, der nicht nur den Zeitgeist von Andy Warhols Factory nachempfindet, sondern auch unsere Gegenwart künstlerisch widerspiegelt. Da sind wir noch auf der Suche nach einem Spielort. Klar ist: Solche großen Projekte zur Spielzeiteröffnung wie „Die geheimen Gärten“, „Über den Dächern“ oder „Ins Offene!“ können wir nicht stemmen, wenn wir gleichzeitig Gastgeber für die Bayerischen Theatertage sind.

Sind wir eigentlich schon wieder in der Normalität angekommen – nach Corona?
Weber: Nein. Wir sind immer noch im Corona-Modus. Nicht, dass viele Verschiebungen und Ausfälle zu verkraften wären, aber unsere Arbeitsweise ist immer noch vorsichtig. Wir testen regelmäßig, es gibt nach wie vor Krankheitsfälle. Und vor allem haben die vergangenen Jahre Auswirkungen auf die Psyche. Was vor Corona als normales Arbeitspensum galt, ist jetzt schnell zu viel. Da ist einfach was passiert. Die Krisenzeit war sehr anstrengend, das hat Folgen.

Seit 2011 sind Sie Intendant in Ingolstadt. Hat sich das Theater in dieser Zeit verändert? Oder die Welt? Oder der Blick auf die Welt?
Weber: Es hat sich alles verändert. Nichts ist mehr so, wie es vor zwölf Jahren war. Die Stadt hat sich verändert. Mein Blick auf die Stadt hat sich nach der fatalen Entscheidung über die Kammerspiele verändert. Durch Corona, durch den Krieg hat sich die ganze Welt verändert – und der Blick des Theaters auf die Welt. Das Theater braucht eine neue Dringlichkeit. Das Theater stand nach Corona mit dem Rücken zur Wand, weil das Publikum zunächst weggeblieben ist.

Hat sich das geändert?

Weber: Die Zahlen zeigen: Wir sind noch nicht ganz auf Vor-Corona-Niveu, aber auf gutem Weg dahin. Aber das Theater muss sich und seine Existenzberechtigung mehr erklären. Wie sieht das Theater der Zukunft aus? Welche Visionen gibt es für die nächsten 30, 40 Jahre? Auf der anderen Seite gibt es gerade eine starke Rückbesinnung auf den Kern des Theaters, auf das pure Geschichtenerzählen. Und das ist das große Motiv der nächsten Spielzeit. Geschichten leben von denen, die sie erzählen. Dabei darf man natürlich nicht die Themen der Zukunft aus den Augen verlieren – ob das KI ist oder soziale Gerechtigkeit oder kriegerische Auseinandersetzungen. Dazu muss sich das Theater positionieren.

Was machen Sie eigentlich im Ruhestand?
Weber: Lesen und Wein anbauen.

Die Fragen stellte Anja Witzke.

Großes Haus

Spuren und Geister: Thomas Köck: und alle Tiere rufen: dieser Titel rettet die Welt auch nicht mehr (monkey gone to heaven), Sound und Musikalische Leitung: Malte Preuss/ Georg Friedrich Händel: La Belleza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno, Musikalische Leitung: Ariel Zuckermann, Regie: Knut Weber; Eine Koproduktion mit dem Georgischen Kammerorchester, Premiere: 5. Oktober 2023

Mord auf Schloss Haversham von Henry Lewis, Jonathan Sayer und Henry Shields, Regie: Christine Gnann, Premiere: 21. Oktober 2023

Das kalte Herz nach Wilhelm Hauff von Armin Petras
Regie: Katja Wachter, Musikalische Leitung: Tobias Hofmann, Premiere: 2. Dezember 2023

Cabaret, Musical von Joe Masteroff, Fred Ebb, John Kander. Regie: Philipp Moschitz, Musikalische Leitung: Tobias Hofmann, Premiere: 26. Januar 2024

Die Möwe, Schauspiel von Anton Pawlowitsch Tschechow, Regie: Eva Lemaire, Premiere: 9. März 2024

Haus ohne Ruhe von Zinnie Harris (DSE), eine Trilogie nach der Orestie von Aischylos, Regie: Jochen Schölch, Premiere: 29. Mai 2024

Kleines Haus

Bondi Beach (Uraufführung) von Rebekka Kricheldorf, Regie: Schirin Khodadadian, Premiere: 7. Oktober 2023
Wer hat Angst vor Virginia Woolf? von Edward Albee, Regie: Mona Sabaschus, Premiere: 1. Dezember 2023

Jonas Jagow von Michel Decar, Regie: Alexander Nerlich, Premiere: 17. Februar 2024

Das achte Leben von Nino Haratischwili, Regie: Julia Mayr, Premiere: 12. April 2024

Studio im Herzogskasten

In Ewigkeit Ameisen und Das Ende von Iflingen von Wolfram Lotz, Regie: Lisa Schacher, Premiere: 13. Oktober 2023

Old Friends, Songs aus einer gemeinsamen Zeit, Konzept und Regie: Nina Wurman, Premiere: 9. Dezember 2023

Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist, Regie: N. N., Premiere: 25. Januar 2024

Rivka von Judith Herzberg, Regie: Maaike van Langen, Premiere: 11. April 2024

Downtown

All Tomorrow’s Parties, Regie: Niko Eleftheriadis, Premiere: 2. Februar 2024

Freilicht im Turm Baur

Dreamtime II, ein Theaterspektakel nach Motiven von William Shakespeares „Sturm“, Musik von Martyn Jacques (Uraufführung), Regie: Knut Weber, Musikalische Leitung: Tobias Hofmann, Premiere: 27. Juni 2024

Junges Theater

Frau Meier, die Amsel von Wolf Erlbruch, ab 4 Jahren, Regie: Momo Mosel, Premiere: 1. Oktober 2023

Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren, für die Bühne bearbeitet von Christian Schönfelder, ab 9 Jahren, Regie: Julia Mayr, Premiere: 28. Oktober 2023

Der Lebkuchenmann, Wintermärchen von David Wood, ab 6 Jahren, Regie: Ekat Cordes
Premiere: 18. November 2023, Großes Haus

Die Mitte der Welt von Andreas Steinhöfel, ab 14 Jahren
Regie: Niko Eleftheriadis, Premiere: 17. Dezember 2023

Tropfen triefen, Tropfen klopfen, mobile Projektentwicklung, ab 2 Jahren, Regie: Katharina Mayrhofer Premiere: 27. Januar 2024

Zum Glück! (Arbeitstitel), Tanzprojekt, ab 12 Jahren, Regie/Choreographie: Ives Thuwis, Premiere: 4. Mai 2024

Gastspiele

15 Years Alive, Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart feiert die ersten 15 Jahre, 10. bis 12. Dezember 2023

Spatz und Engel, Musical, Stadttheater Brünn, 4. bis 6. Januar 2024

Die Zauberflöte, Oper aus dem Staatstheater Meiningen
Musikalische Leitung: Harish Shankar, Regie: Achim Freyer
24. April und 7. Mai 2024

Triple Bills, Bayerisches Staatsballett, Stücke werden noch bekannt gegeben, zwei Vorstellungen am 30. Juni 2024