Von Heike Haberl
Ingolstadt – Für unzählige Menschen ist Bachs „Weihnachtsoratorium“ der unangefochtene musikalische Inbegriff der Adventszeit und des Christfestes. Auch Kirchenmusikdirektor Oliver Scheffels bezeichnet das gloriose Meisterwerk als „Weihnachtsstück par excellence“. Mit einem Jahr Verzögerung konnte er es nun endlich in der Kirche St. Matthäus zur Aufführung bringen.
Bereits am Nachmittag war dem Hauptkonzert eine Adaption für Kinder von Michael Gusenbauer vorausgegangen – mit Johannes Langer als Erzähler und Hausmeister, der mitten in die Aufführungssituation hineinplatzte. Der Schauspieler ging demnach sehr frei mit der Textvorlage um, spitzte sie situativ und szenisch humorvoll zu. Begeistert hing das junge Publikum an seinen Lippen, ließ sich gespannt die Weihnachtsgeschichte und die Instrumente erklären. Nicht nur bezog Langer die kleinen Zuhörer interaktiv ins Geschehen ein (wodurch er ihnen obendrein die drolligsten Antworten entlockte), sondern drückte auch gleich dem verblüfften Dirigenten vor dem ersten Einsatz ungefragt einen Kehrbesen in die Hand. So gab es von Anfang an viel zu entdecken, zu staunen und zu lachen.
Abends folgte dann die zusammenhängende Aufführung der Kantaten I-III auf die biblischen Verse zur Geburt Jesu. Hier wurde einmal mehr deutlich, warum Oliver Scheffels Bach in seiner zeitlos schönen, bildhaften Strahlkraft zu seinem eindeutigen Lieblingskomponisten, zu seinem künstlerischen „Zentralgestirn“ erkoren hat. Bis ins Kleinste lotete er sämtliche dynamischen Atmosphären und Schattierungen der genialen, hochbarocken Musik aus – zwischen pompösem Auftrumpfen und den innigsten, intimsten, zurückgenommensten Momenten. Der Kammerchor Ingolstadt griff die feinen Stimmungsschwankungen äußerst sensibel auf, folgte ihnen höchst aufmerksam und nuanciert, schwelgte in einer Sekunde in freudiger Virtuosität der festlichen Koloraturen, um im nächsten Augenblick zu Tode betrübt zu klingen. Insbesondere bei den harmonisch reich angelegten Chorälen ging Scheffels am Pult mit jeder Faser sein Körpers, jeder Regung seines Gesichtsausdrucks unmittelbar von der Vielschichtigkeit des Textgehalts aus, die er teilweise sogar bis ins Schmerzhaft-Unermessliche steigerte, bevor er zu sanfter Friedlichkeit zurückkehrte. Wie genau herausgearbeitet dieser gesangliche Spagat der Emotionen gelang, wie detailliert nachvollziehend der Chor ihn umsetzte, war bewundernswert.
Das Georgische Kammerorchester musizierte dazu in schwingendem Fluss, geschmeidig und wendig, mit viel Gespür für ausgewogene Proportionen der himmlischen und irdischen Sphären, ließ galanten Stil und pastorales Kolorit durchscheinen, aber auch satten Wohlklang nicht zu kurz kommen – inklusive wunderbarer Solo-Einlagen von Violine, Flöten und Oboen. Brillant intonierte, feierlich geschmetterte Fanfarenpracht brachten Trompeter Hans Jürgen Huber und sein Ensemble ins glanzvolle Spiel.
Vervollständigt wurde der wohl durchdachte, subtil strukturierte Gesamtklang durch ein äußerst wandelbares Solistenquartett: Magdalena Dijkstras engelsgleich leuchtender Sopran, Theresa Holzhausers glutvoll strömender Mezzo, Markus Zeitlers beweglicher, höhensicherer Tenor und Florian Denglers drahtig schlanker Bass erfüllten die eingängigen Arien und Duette sowie die kunstvollen Rezitative (hier transparent luftig begleitet von der Continuo-Gruppe um Cembalist Tobias Kraft) mit deklamatorischer Agilität, gestalterischem Tiefgang und affektgeladener Spannung.
Eine großartige Einstimmung auf die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage, die den immer wieder aufs Neue faszinierenden Magnetismus der erklingenden frohen Botschaft direkt auf das Publikum überspringen ließ.
DK
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