Ingolstadt
Besser als Fußball

Javier Perianes und das Georgische Kammerorchester spielen Beethovens 4. Klavierkonzert im Ingolstädter Festsaal

02.12.2022 | Stand 18.09.2023, 20:58 Uhr

Souveränes Klavierspiel: Javier Perianes und das GKO. Foto: Schaffer

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Der dritte Satz des 4. Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven strebt den letzten Takten entgegen. Die kurze Kadenz erklang bereits, die Bewegungen im Klavierpart sind nach wie vor heftig. Da blickt der spanische Pianist Javier Perianes unvermittelt vielleicht ein oder zwei Minuten verträumt ins Orchesterrund, als hätte er nichts weiter zu tun. Währenddessen formen seine Finger mit unbändiger Spiellust an den schwarz-weißen Tasten komplizierte Arpeggien, Melodiebögen, schlanke Läufe. Was ist nur los mit Perianes? Ist er unterfordert? Ist das alles viel zu leicht für ihn, so dass er auch schwierige Passagen praktisch blind spielen kann ohne einen Blick auf seine Hände? Wie souverän sollte ein Pianist eigentlich sein?

Kein Zweifel: Perianes, der an diesem Donnerstagabend das Klavierkonzert zusammen mit dem Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann interpretiert, bewegt seine flinken Finger mit atemberaubender Leichtigkeit und Mühelosigkeit über die Klaviatur. Kein schneller Lauf, keine kontrapunktische Teufelei scheint ihm jemals die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben. Es ist irgendwie alles easy.

Verliert diese Musik dadurch an Spannung, an dem, was gute Kunst auch ausmacht: das heftige Ringen darum, dass jeder Moment wirklich gelingt, die jederzeit spürbare Möglichkeit des Scheiterns?

Perianes Beethoven-Deutung strahlt eher Sicherheit aus und auch das vermag zu faszinieren. Bei den technisch einfachen und doch musikalisch so schwer zu spielenden leisen und langsamen Takten, mit denen das Konzert eingeleitet wird, trifft Perianes genau das Gleichgewicht zwischen fragilem Anschlag und naiver Melodienseligkeit, die dafür erforderlich ist. Aber so richtig blüht der Spanier auf, wenn er sich fast schon in den Kantilenen des zweiten Themas (des Kopfsatzes) verliert, wenn er die großen Linien prall und kraftvoll in den Saal singt. Das passt zu der opernhaften Programmatik dieses Konzerts.

Ariel Zuckermann und das GKO begleiten den Pianisten dabei feinnervig, ungemein flexibel und manchmal mit einer fast perkussiven Brillanz. Großartig!

Dennoch hat diese Darstellung auch Probleme. Wenn Perianes auf dem Flügel alle Register zieht, wenn er donnert und hämmert, dann hat das Orchester kaum noch eine Chance dagegen anzukommen. Dabei war die Besetzung des Orchesters schon ungewöhnlich groß, fast doppelt so viele Musiker agierten auf dem Podium als eigentlich festangestellt zum Orchester gehören. Also spielte das Orchester (wie zuletzt eigentlich fast immer) in Kammerphilharmonie-Stärke, zu der es in den nächsten Jahren möglicherweise einmal anwachsen soll. Und dennoch: Für ein Beethoven-Klavierkonzert wäre eine größere Streicherbesetzung angemessener.

Dafür klangen die anderen Werke des Abends mit diesem vergrößerten Klangkörper eindrucksvoll. Bei den fünf Sätzen aus Christoph Willibald Glucks Ballett „Don Juan ou Le Festin de Pierre“ integrierte Zuckermann als Gast noch einen Gitarristen bzw. Theorben-Spieler, der gerade in den ersten Sätzen der Musik perlende Glanzpunkte aufsetzte. Und Francis Poulencs „Sinfonietta“ aus dem Jahr 1947 dirigierte Zuckermann als einen großen Spaß voller Zitate und Anspielungen – von Haydn bis Tschaikowsky, von Volksmusik bis Filmmusik.

Es wird fast schon langweilig immer wieder zu betonen, dass das Georgische Kammerorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Ariel Zuckermann gerade einen Lauf hat. Das Publikum spürt das längst. Es kommt in immer größerer Anzahl – selbst ein Deutschland-Spiel während der Fußball-WM konnte sie nicht davon abhalten. Und besser gelaunt als die Fußballfreunde gingen die Besucher ohnehin nach Hause.

DK