Wie nimmt ein Tiefseetaucher seine Umwelt wahr? Und wie ein Astronaut das Weltall? Klingt Gelächter nicht ähnlich wie Möwenkreischen? Wie fühlt sich wohl Wäsche in der Waschmaschine? Zischt eine Schlange nicht so wie ein Fahrradreifen, dem die Luft ausgeht? Was unterscheidet Föhn und Sturm? Wie klingt ein Flügelschlag? Ein Steinflitschen? Ein Kuss? Benjamin Gottwald hat mit „Spinne spielt Klavier“ ein Bilderbuch ersonnen, das weitgehend ohne Text auskommt. Dafür ist das Publikum aufgefordert, selbst Geräusche zu den Bildern zu machen: quietschen, brüllen, summen, fauchen, schnurren. Das Junge Theater Ingolstadt bringt nach Motiven des Bilderbuchs nun eine neue mobile Produktion für Publikum ab drei Jahren heraus. „Spinne spielt Klavier“ hat am 1. Februar in der Werkstatt Premiere.
Herr Gottwald, Ihr Buch heißt: „Spinne spielt Klavier“. Die Spinne hat auch eine Band, wie man weiter hinten im Buch sehen kann. Was für Musik hatten Sie im Kopf, als sie das Bild gezeichnet haben?
Benjamin Gottwald: Auf jeden Fall etwas sehr Wildes. Vielleicht etwas Jazziges. Ich habe mir die Kinder vorgestellt, die diese Geräusche nachmachen, wenn sie das Bild sehen. Und das ist mit Sicherheit ein wildes, witziges Durcheinander, das keinem bestimmten Takt folgt. Das hört sich vielleicht eher nach einer Noise Band an. Und nach Krach.
Spielen Sie denn ein Instrument?
Gottwald: Ich habe ganz viele unterschiedliche Instrumente angefangen, aber kann keins richtig. Ich höre gern Musik und würde auch gern Musik machen. Aber ich zeichne ja schon. Da bleibt kaum Zeit für anderes. Manchmal höre ich beim Zeichnen Musik – querbeet von Oldies über Indie Rock bis Jazz.
Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buch?
Gottwald: Der Geistesblitz zu diesem Buch hat eine Vorgeschichte. Ich hatte schon vorher mit einem Kollegen, Julian Fiebach, unter dem Titel „Der Ausflug“ Comicabenteuer in wortlosen Sequenzen gezeichnet. Auch da muss man Geräusche verbildlichen. Gleichzeitig habe ich für mein Projekt „theillustratedmixtape.com“ für diverse Songs quasi „Fake Albencover“ gezeichnet und als Newsletter verschickt. Und dann bekam ich ein tolles Buch von Blexbolex in die Hände: „Jahreszeiten“. Darin werden charakteristische Details der verschiedenen Jahreszeit bildlich dargestellt. Alles zusammen hat mich auf die Idee zu diesem Buch über Geräusche gebracht.
Es ist ein Buch fast ohne Text. Man kann nichts herauslesen – sondern muss etwas hineinlesen.
Gottwald: Am Ende sind Geräusche nicht mehr als Bewegung, die man zeichnen muss. Das funktioniert ganz gut. Ich mache auch Workshops mit Kindern – und die legen sofort los, formieren sich beispielsweise zu einem Schwarm Hummeln. Sie kapieren gleich, dass die Bilder Geräusche von sich geben – ganz ohne Soundchip. Das machen sie beim „Lesen“ alles selbst. Mein Sohn wird jetzt zwei Jahre alt, und der kann das auch schon – mähen wie ein Schaf, das Gesicht verziehen, wenn er in eine Zitrone beißt. Was total cool ist: Das Buch wurde sogar schon von einer Logopädin eingesetzt – ein Anwendungsbereich, der mir bei der Konzeption überhaupt nicht in den Sinn gekommen ist.
Haben Sie beim Zeichnen die Geräusche denn auch selbst nachgemacht?
Gottwald: Ja, und es kann ziemlich lustig sein, wenn die anderen im Atelier einen etwas irritiert anschauen.
Was können Bilder besser als Wörter?
Gottwald: In diesem speziellen Fall: die Fantasie anregen. Denn es gibt ja viele verschiedene Facetten eines Geräusches. Vermutlich hat jeder bei der Spinne eine andere Musik im Kopf. Man kann dadurch ins Gespräch kommen. Bilder funktionieren unterschiedlich: Bei der Paarung Tischtennis und Pferd dachte ich zuerst an das Hufgeklapper, das ja an das Pingpong des Balls erinnert. Viele Kinder verbinden mit dem Pferd aber eher das Wiehern. Aber ich will das Bild nicht gegen das Wort ausspielen. Ich schreibe ja gerade an einem neuen Buch – diesmal mit Text.
Worum geht’s?
Gottwald: Um einen Vampir namens Hänk. Hänk hängt in einem Schloss und hat mit fiesen Monstern zu tun. Es geht um Vorurteile und wie sich die am Ende vielleicht auflösen. Erstmals schreibe ich auch den Text selbst – in gereimter Form. Das Buch soll im Herbst 2026 bei Carlsen erscheinen.
„Spinne spielt Klavier“ hat 160 Seiten mit ebenso vielen Geräuschen. Wie haben Sie gesammelt?
Gottwald: Das Sammeln hat am längsten gedauert. Ich habe auch viele Leute gefragt. Erst mal habe ich viele Geräusche gezeichnet, nebeneinander gelegt, neu komponiert. Es sollten ja komische Paare entstehen. Der finale Zeichenprozess geht dann recht schnell. Die Bilder sind ja bewusst einfach gehalten. Insgesamt hat es etwa zwei Jahre gedauert.
Wie haben Sie den Titel ausgewählt?
Gottwald: Es gab auch andere Ideen für den Titel: „1000 Geräusche“ oder – ein bisschen poetischer – „Klänge der Welt“. Aber ich habe damals viele Bücher von Nadia Budde angeguckt, die beispielsweise „Eins, zwei, drei, Tier“ oder „Traurige Tiger toastet Tomaten“ heißen. Und ich wollte einen Titel, der erzählerisch wirkt. Also habe ich meine Bilder daraufhin durchgesehen. Die Spinne fand ich passend. Spinne spielt Klavier. Da hört jeder was anderes. Und Spinne und Rumspinnen liegen ja sprachlich nah beieinander. Für die niederländische Variante hat man den Löwen für den Titel gewählt, für die slowakische das Ei. Die Italiener und Spanier sind bei der Spinne geblieben. Wofür sich die Amerikaner und die Chinesen entscheiden, weiß ich noch nicht.
Haben Sie Lieblingsbilder und -geräusche?
Gottwald: Leise Geräusche finde ich schön. Wie das Steinflitschen. Kürzlich habe ich einen Stein über einen zugefrorenen See geworfen. Das klingt so cool. Ich glaube, am liebsten mag ich das Bildpaar: Formel-1-Autos und Fliegen über einem Kackhaufen. Dieses Bild ist sehr früh entstanden. Ich hatte es zum Hamburger Bilderbuchpreis eingereicht und mir noch gedacht: Das ist ja kompletter Quatsch. Aber dann habe ich tatsächlich diesen Preis gewonnen.
Das Buch ist Ideengeber für eine Theaterproduktion des Jungen Theaters Ingolstadt für Publikum ab drei Jahren. Welche Bilder und Geräusche müssen denn unbedingt dabei sein?
Gottwald: Ich finde es so großartig, dass das Buch zu einem Theaterstück inspiriert, obwohl es nicht mal Text hat. Deshalb überlasse ich das alles voll und ganz den Theaterleuten. Ich lass mich überraschen.
DK
Die Fragen stellte Anja Witzke.
Benjamin Gottwald: Spinne spielt Klavier, Carlsen, 160 Seiten, 18 Euro, ab 3 Jahre.
Premiere im Jungen Theater Ingolstadt am 1. Februar:
Jedes Ding hat einen Klang. Jedes Tier macht sein ganz eigenes Geräusch. Jedes? Spinne ist sich da nicht so sicher und fragt sich: „Welches Pfeifen oder Johlen ist eigentlich mein eigenes? Welches Knacken oder Klicken ist besonders spinnisch?“ Spinne hört tief in sich hinein. Sind Spinnen etwa mucksmäuschenstill? Auf ihrer Suche nach dem richtigen Ton, trifft Spinne auf offene Ohren, findet neue Freunde und am Ende zu sich selbst. „Spinne spielt Klavier“ nach Motiven des gleichnamigen Bilderbuchs von Benjamin Gottwald ist die neue mobile Produktion des Jungen Theaters Ingolstadt für Publikum ab 3 Jahren. Premiere ist am 1. Februar um 16 Uhr in der Werkstatt. Regie führt Momo Mosel, es spielen Michael Amelung und Christina Völz.
DK
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