Aus Ingolstadts Geschichte
Beim IN-Campus: Vor 60 Jahren begann mit der Eriag das Raffinerie-Zeitalter

Die Eriag war erst Antreiber des Projekts, wurde dann aber ausgebremst

14.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:51 Uhr

Die Tanks wachsen schon: Luftaufnahme vom Bau der Eriag-Raffinerie zu Beginn der 1960er Jahre. Foto: DK-Archiv

Von Markus Schwarz

Ingolstadt – Und wieder wird wie wild gebaut: Östlich des Auwaldsees und des Gewerbegebietes Manchinger Straße wächst derzeit der IN-Campus in die Höhe und in die Breite (wir berichteten). Das Vorzeige-Projekt, für das sich die Stadt Ingolstadt und die Audi AG in einem Joint-Venture zusammengeschlossen haben, soll beispielgebend für die kommenden Jahrzehnte Forschung und Anwendung zusammenführen und dabei nachhaltig und energieautark konzipiert sein.

So zukunftsträchtig das Konzept ist, so historisch ist der Boden, auf dem der IN-Campus wächst: Vor 60 Jahren wurde hier mit dem Bau der Eriag-Raffinerie begonnen, die bis zum Jahr 2008 lief. Die Bedeutung des Geländes für den Wirtschaftsstandort Ingolstadt kann also nicht hoch genug veranschlagt werden. Und die Umstände zeigen auch: Ein bisschen wiederholt sich die Geschichte doch. Denn am Anfang der Entwicklung Ingolstadts zum Raffineriestandort standen damals schon die Energiepreise. Otto Schedl (CSU), von 1957 an über 13 Jahre lang bayerischer Wirtschaftsminister, hatte das Problem früh erkannt: „Bayern muss jede Möglichkeit, seine Energieversorgung zu verbilligen (...) wahrnehmen“, erklärte er 1960 vor dem Landtag. Wie der Historiker Thomas Schlemmer in seinem Buch „Industriemoderne in der Provinz“ vorrechnet, kostete damals eine Tonne Heizöl in München 106,56 Mark, in Düsseldorf 70,41 Mark und in Hamburg nur 64,69 Mark.

Um die bayerische Wirtschaft mit günstiger Energie anzukurbeln, warf man den Blick nach Italien. Innerhalb heute nicht mehr vorstellbar kurzer Zeit wurde eine Pipeline, die Central European Line (CEL) von Genua nach Bayern getrieben, die den Freistaat mit Rohöl versorgte. An die Errichtung der CEL schlossen sich die RDO (Rhein-Donau-Ölleitung), aus Karlsruhe kommend, und die größere TAL (Transalpine Pipeline), wieder aus Italien, an. Von ersten Gesprächen darüber bis zur Fertigstellung der letzten der drei Pipelines waren schließlich nur acht Jahre vergangen.

Genauso schnell ging es mit dem Raffineriebau in Bayern voran. Wobei am Anfang nicht ganz klar war, wo sich die bayerischen ölverarbeitenden Betriebe konzentrieren sollte. Schnell kristallisierten sich zwei Möglichkeiten heraus: Ingolstadt oder Regensburg. Minister Schedl, gebürtig in Sinzing bei Regensburg, neigte zwar zu seiner oberpfälzer Heimat; doch seine Lage an den Verkehrskontenpunkten von Straße (Autobahn München–Nürnberg und Bundesstraße 16) und Schiene ( die Zuglinien Regensburg–Augsburg und München–Nürnberg) gab schließlich den Ausschlag für Ingolstadt.

Dabei standen die städtischen Behörden dem Großprojekt zunächst „skeptisch bis ablehnend“ gegenüber, wie der DONAUKURIER 1963 rückblickend schreibt: „Eine ausgesprochene Industriestadt und zusammen mit der Umgebung zu einer Art ,Bayerisches Ruhrgebiet‘ zu werden, schreckte ab.“ Doch das Projekt, vorangetrieben auch vom damaligen Chef des italienischen Energiekonzerns Eni, Enrico Mattei, überzeugte schließlich auch die Ingolstädter.

Suche nach Grundstückenin Ingolstadt

Das für den Pipeline-Betrieb von der Eni mit Hilfe eines Bankenkonsortiums (darunter auch die Bank von Hitlers zeitweiligem Wirtschaftsminister Hjlmar Schacht) gegründete Tochterunternehmen Südpetrol AG suchte bereits um die Jahreswende 1959/60 nach Grundstücken für eine Raffinerie in Ingolstadt – Erdölraffinerie Ingolstadt AG, kurz Eriag, soll die Ingolstädter Raffinerietochter heißen. Fündig wurde man in der Gegend östlich des Auwaldsees. Auwald und vorgelagerte Magerwiesen seien keine schützenswerte Natur, da war man sich damals einig. So entstand auf dem heutigen Gelände des IN-Campus die einzige Raffinerie auf Ingolstädter Stadtgebiet.

Nur knapp nach der Eriag gingen die Shell und Esso an den Start. Auch diese Ölkonzerne wollten das nach Ingolstadt gepumpte Öl verarbeiten. Die Esso siedelte sich auf dem Gelände der ehemaligen Munitionsanstalt Desching an, Shell auf dem sogenannten Erlachfeld bei Großmehring – beide auf dem Gebiet des damaligen Landkreises Ingolstadt. Dazu kamen ebenfalls in den Jahren 1964 bis 1967 die BP in Vohburg und die ERN bei Neustadt.

In Stadt und Kreis Ingolstadt allerdings geriet die Eriag, obwohl Antreiber und Platzhirsch, erst einmal ins Hintertreffen. Im Frühjahr 1962 wurde bei allen drei Projekten, Eriag, Shell und Esso, mit dem Raffineriebau begonnen. Im November 1963 floss bereits Öl durch die RDO-Pipeline nach Ingolstadt. So konnten Shell und Esso, die über diese Pipeline versorgt wurden, noch im selben Jahr den Probebetrieb starten.

Probleme bei derTrassenführung

Bei er Eriag dagegen, deren Bau über 800 Arbeiter in den Jahren 62 bis 64 vorantrieben, mangelte es zum einen an Straßenanschlüssen, die später als geplant fertig wurden – aber vor allem an Öl. Wie der DONAUKURIER in der Zeit berichtet, kam es immer wieder zu Problemen mit der Trassenführung der CEL-Pipeline. Die waren auch noch nicht behoben, als die Eriag im Januar 1965 schließlich ihren Betrieb startete. Hilfe kam dabei von den konkurrierenden Kollegen von Esso: Durch 16 Tanklastwagen, die im Dauerbetrieb hin und her fuhren, versorgte die Esso fast das ganze Jahr 1965 über die Eriag mit Rohöl. Zum Jahreswechsel 1965/66 schließlich wurde auch die Eriag an die RDO angeschlossen. Einige Monate später ging schließlich auch die CEL in Betrieb.

Heute noch in Betrieb sind unter der Leitung von Bayernoil die Raffinerien in Vohburg und Neustadt und unter der Leitung von Gunvor die ehemalige Esso-Raffinerie. Auch die CEL wurde inzwischen abgeschaltet. Nach wie vor in Betrieb sind die TAL und die RDO; wobei die RDO inzwischen als Teil der TAL Öl vom Süden in den Norden weiterpumpt.

DK