Ingolstadt - Der Dialog der beiden war bühnenreif, und es sahen zum Glück auch ziemlich viele Leute zu: Im März 2018 besuchte Dieter Seehofer als Ehrengast die 60-Jahr-Feier der Ickstatt-Realschule.
Er hat sie absolviert; damals nannte man sie noch Staatliche Mittelschule für Knaben. Er hatte eines seiner Jahreszeugnisse dabei und las daraus vor: "Sein Verhalten war stets tadellos. " Den nächsten Satz wollte er nicht verschweigen: "Der Schüler zeigte zu wenig Ehrgeiz. " An der Stelle schaltete sich - unbefangen petzend - ein anderer Ickstatt-Absolvent und Ehrengast ein: Dieter Seehofers Bruder Horst. "In Religion hatte er nur ein befriedigend! " Damit nicht genug: "Eine Drei haben in unserer Klasse sogar die Letzten erreicht", ließ der bayerische Ministerpräsident wissen. Es war sein letzter öffentlicher Termin in diesem Amt.
Dieter Seehofer nahm die Spitzen lächelnd hin, unterließ es, zurück zu sticheln. Das entspräche nicht seinem Naturell. Bei seinem Bruder, mit dem er seit Jahrzehnten ständig verglichen wird, ist auch das zweifellos anders. Doch Dieter Seehofer stand nie im Schatten von Horst Seehofer. Er ist nicht nur "der Bruder von" oder - schlimmer noch - "der kleine Bruder von", das weiß jeder, der ihn kennt, sondern eine angesehene, beliebte und vor allem - daran hat er nie Zweifel gelassen - eigenständige Persönlichkeit. Am heutigen Montag wird Dieter Seehofer 70 Jahre alt.
Ein halbes Jahrhundert hat er für die Sparkasse gearbeitet: von der Lehre bis an die Spitze zweier Vorstände. 1989 ging er nach Oberfranken, wurde bei der Sparkasse Kulmbach Leiter der Kreditabteilung. 1995 stieg Seehofer dort zum Vorstandsvorsitzenden auf. 2001 kehrte er in seine Heimatstadt Ingolstadt zurück: als Vorstandsvorsitzender der Sparkasse.
Die entwickelte sich in Seehofers Zeit zu einer der erfolgreichsten Bayerns. 2005 wurde die neue Zentrale am Rathausplatz eröffnet. Den Blick auf die Zukunft gerichtet, hielt der Chef sein Haus immer auf der Höhe der Zeit, forcierte technische Entwicklungen. Er propagierte vor allem das Papierlose Büro und praktizierte es konsequent. Bei Seehofer war die Digitalisierung früh zu Hause.
Zum 1. Januar 2017 wurde die Fusion mit der Sparkasse Eichstätt vollzogen. Im Februar desselben Jahres ging Seehofer in den Ruhestand. Zu diesem Zeitpunkt wies die neue Sparkasse Ingolstadt-Eichstätt eine Bilanzsumme von fünf Milliarden Euro auf und beschäftigte rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieter Seehofers Sekretärin hatte Tränen in den Augen, als sie zum letzten Mal sein Büro betrat. So stand es damals im DK.
Er verschwand nicht von der Bildfläche. Dieter Seehofer, heißt es, ist ein gern gesehenes Mitglied im Ingolstädter Golfclub. Er engagiert sich unter anderem an der Seite seiner Frau Christine Seehofer für Unicef. Auch im Ruhestand scheint Seehofer einer Überzeugung zu folgen, die er 2017 am Endes seines Berufslebens formuliert hat: "Das habe ich erkannt: Welche Bedeutung der Mensch für den Erfolg eines Organismus hat. Der Mensch muss leuchtende Augen haben, dann ist er erfolgreich. "
sic
