Ingolstadt
Energie- und Betriebskosten enorm gestiegen: Ambulante Pflege bald ein Pflegefall?

Private Anbieter straucheln

02.08.2022 | Stand 22.09.2023, 20:22 Uhr

Zur Belastung der Pflegedienste durch die Corona-Pandemie kommen noch finanzielle Sorgen dazu. Beim Pflegedienst Ponzer etwa haben sich allein die Benzinkosten mehr als verdoppelt. Foto: Hammer

Private Pflegedienste schlagen Alarm: Weil sich die Pflege- und Krankenkassen in Bayern weigern, die enorm gestiegenen Energie- und Betriebskoten für ambulante Pflegedienste zu refinanzieren, fürchtet der Arbeitskreis Privater Pflegevereinigungen, dass die pflegerische Versorgung vielerorts zum Erliegen kommen könnte.



Allein die explodierenden Benzinpreise und die hohe Inflationsrate habe zu einer dramatischen Sachkostensteigerung von rund 14 Prozent geführt. Das sei mit den derzeitigen Vergütungen nicht refinanzierbar. Angesichts laufender Vergütungsverhandlungen fordert der Arbeitskreis – ein Zusammenschluss von sechs Pflegeverbänden in Bayern – den Bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf, auf die Pflegekassenverbände einzuwirken und „dafür Sorge zu tragen, dass die ambulante Pflege nicht wegbricht“.

Benzinkosten haben sich mehr als verdoppelt

„Wo sollen wir das Geld hernehmen?“, fragt Christian Ponzer, der in Gaimersheim seit 1996 einen gleichnamigen privaten Pflegedienst betreibt. Ponzers Dienst versorgt Menschen im Raum Gaimersheim, Hitzhofen und Ingolstadt bis hin nach Baar-Ebenhausen und Manching im Kreis Pfaffenhofen. Lag der Unterhalt für seine 15 Dienstfahrzeuge im Mai 2020 noch bei knapp 1500 Euro, stieg er ein Jahr später im selben Monat schon auf über 2400. Im Mai diesen Jahres musste der Pflegedienst knapp 3100 Euro Benzinkosten berappen. Die Energiekosten stiegen von rund 4800 Euro in der Abrechnung 2018/2019 auf 5300 in der Abrechnung des darauffolgenden Jahres. Und das war noch, bevor die Preise in Anbetracht des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sprunghaft nach oben schnellten. Als es bei den Verhandlungen mit den Kostenträgern im vergangenen Oktober um das Thema Benzinpreis ging, soll der Satz gefallen sein: „Schickt’s eure Mitarbeiter doch mit dem Fahrrad zu den Kunden“, erzählt Ponzer. Angesichts seines ländlichen Einzugsgebietes und des engen Zeitplanes der Pflegenden unmöglich.

Die Dachverbände der Pflegedienste müssen die Vergütungen mit den Kostenträgern jedes Jahr neu aushandeln. Immer fürs darauffolgende Jahr. Bei Gesprächen über die Refinanzierung der enormen Preissteigerungen sei das Ergebnis auf beiden Seiten gleich Null gewesen, heißt es von Seiten der Pflegeverbände. Als im vergangenen Jahr die derzeitigen Vergütungen ausgehandelt worden seien, habe die Preisentwicklung bei den Sachkosten niemand voraussehen können, kritisiert Kai A. Kasri, Landesvorsitzender des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). „Trotzdem bestreiten die Kassen diese Entwicklung und lehnen Verhandlungen zur Refinanzierung ab“, so Stefanie Renner, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) Südost.

Die von Wohlfahtsverbänden betriebenen Pflegediensten sehen die Lage etwas gelassener. Auch hier seien die Pkw-Kosten um rund 1000 Euro pro Monat gestiegen, wie Alexandra Rieß, Geschäftsführerin der Caritas-Sozialstation Ingolstadt sagte. Sie hofft aber auf noch anstehende weitere Verhandlungen. In der Tagespflege, sagt sie, seien ihnen die Kostenträger „sehr wohl entgegengekommen“.

Bis zu 30 Prozent überlegen ihren Betrieb einzustellen

Auch vor dem Hintergrund der ab September geltenden Tariflohnpflicht benötigen die ambulanten Pflegedienste Planungssicherheit. „Wir verstehen die ablehnende Haltung nicht, die die Pflege- und Krankenkassen den privaten Pflegediensten entgegenbringen“, sagt Pflegedienst-Chef Ponzer, Landesvorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege (B.A.H.). Gabriele Obermaier, Vorstandsmitglied des Landesverbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), verweist auf ihre Beratungen bei Pflegediensten: Bis zu 30 Prozent der Pflegedienste überlegten danach, ihren Betrieb einzustellen. „Dann werden es pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen noch schwerer haben, eine angemessene häusliche Versorgung zu organisieren.“

Die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen in Bayern (ARGE) verweist auf Anfrage unserer Zeitung auf derzeit mit den privaten Verbänden in der Pflege laufende Vergütungsverhandlungen. „Die neuen Vergütungen sollen ab Januar 2023 gelten. Neben gestiegenen Personalkosten werden dabei auch Preissteigerungen etwa durch höhere Energie- und Sachkosten betrachtet und bewertet.“ Zumindest fürs nächste Jahr scheint eine Lösung also in Sicht.

Kasse zahlt Stromkosten für Hilfsmittel

Was viele nicht wissen: Wer mit Strom betriebene ärztliche Hilfsmittel braucht, kann sich die Stromkosten dafür von seiner Krankenkasse erstatten lassen. Das gilt für CPAP-Geräte bei Schlafapnoe genau so wie für Inhalatoren, Elektrorollstühle oder Wechseldruckmatratzen, um einige Beispiele zu nennen. Treppenlifte gehören nicht dazu. Voraussetzung ist, dass das Hilfsmittel ärztlich verordnet wurde. Je nach Krankenkasse wird entweder eine Pauschale gezahlt oder anteilig nach Verbrauch abgerechnet. Eine einheitliche Regelung gibt es nicht.

Die Regelung geht auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes im Februar 1997 zurück. Damals hatte der BGH entschieden, dass der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V auch die für den Betrieb nötige Energie einschließt. Die Krankenkasse muss also nicht nur die Anschaffung und Instandhaltung finanzieren, sondern auch die Stromversorgung. Sollte die Kasse die Übernahme der Stromkostenerstattung verweigern, rät das Internetportal mitpflegeleben.de der Johanniter-Unfallhilfe dazu, Widerspruch einzulegen. Die Kostenerstattung kann rückwirkend für bis zu vier Jahre eingefordert werden.

Informationen zu diesem und anderen Themen geben auch Pflegestützpunkte.