Abgelehntes Kulturprojekt
Kammerspiele in Ingolstadt: Intendant findet „Ergebnis erschreckend“

25.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:44 Uhr

Nicht immer sachlich verlief die Auseinandersetzung vor dem Bürgerentscheid über den geplanten Bau der Kammerspiele an der Schutterstraße. Am Ende gelang es den Gegnern des Projekts, mehr Ingolstädterinnen und Ingolstädter zu mobilisieren als die Befürworter. Fotos: Hauser

Das Ergebnis - rund 60 Prozent haben den vom Stadtrat beschlossenen Bau der Kammerspiele an der Schutterstraße in Ingolstadt abgelehnt - sei „erschreckend“, findet Theaterintendant Weber. Die Enttäuschung ist groß.



Theaterintendant Knut Weber machte am Montagnachmittag zunächst keinen besonders niedergeschlagenen Eindruck. „Ich komme gerade aus einer sehr guten Probe“, erklärte er zu Beginn des Gesprächs mit der Heimatzeitung. Vielleicht rührte seine Gefasstheit auch daher, dass er damit gerechnet hatte, dass der Bürgerentscheid gegen den Bau der Kammerspiele an der Schutterstraße ausgehen wird. „Wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit.“ Das Ergebnis – 60,2 Prozent (15316 Stimmen) haben am Sonntag den vom Stadtrat beschlossenen Bau abgelehnt – sei dennoch „erschreckend“, findet Weber. „Weil das Prinzip der Solidargemeinschaft verlassen wird.

„Purer Populismus“

Die Stadt ist mehr als Partikularinteressen, nämlich die gemeinsame Interessenslage von vielen. Dass man hier die Kultur rausfiltert und ein Kulturprojekt infrage stellt, ist purer Populismus.“ Ein Bürger- oder Ratsbegehren sei ein „legitimes demokratisches Mittel“, betont Weber. „Aber es unterhöhlt die repräsentative Demokratie.“

Die Enttäuschung jedenfalls ist groß. Auch weil sich viele Kulturschaffende und kulturell Interessierte Ingolstadts nicht ernst genommen und wertgeschätzt fühlen. Das war am Sonntagabend vor dem Turm Baur zu spüren, wo viele Befürworter der Kammerspiele zusammengekommen waren. Es herrsche aber auch ein Gefühl von „Jetzt erst recht“, sagt Weber. Bei der Aufführung am Sonntagabend sei eine „immense Spielfreude“ zu spüren gewesen. Minutenlang habe das Publikum im Stehen applaudiert. „In diesem Geist werden wir weitermachen. Wir wissen, was wir können, und was wir wert sind. Aber die Kammerspiele sind tot. Diese einmalige Chance ist verspielt.“

„Signal ist nicht kulturfreundlich“

Weber fürchtet eine „verheerende Außenwirkung“. Die Ausschreibung für seine Nachfolge in zwei Jahren – dann geht Weber in den Ruhestand – läuft. Die Ablehnung der Kammerspiele werde Auswirkungen auf das Bewerberfeld haben, fürchtet er. „Dieses Signal ist nicht kulturfreundlich.“ Es werde noch dauern, bis sich die Gräben in der Stadtgesellschaft schließen. „Die Stadt ist populistisch aufgeladen. Es ist gut, dass jetzt erst einmal Ferien sind.“

Einige Gegner der Kammerspiele sind am Sonntagabend in der Grünanlage an der Schutterstraße zusammengekommen. Hier sollte das neue Kleine Haus gebaut werden. „Wir hatten keine Siegesfeier geplant“, sagt Hans Stachel, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Ingolstädter Stadtrat. „Es war ein ganz spontanes Treffen.“ Außer den Initiatoren des Bürgerbegehrens gegen die Kammerspiele seien auch einige Bürger gekommen. „Es war unglaublich, wie emotional berührt sie von dem Erfolg waren“, so Stachel. Er selbst neige dazu, in Sieg und Niederlage „eher auf die Bremse zu drücken“. Es müsse jetzt darum gehen, „mit dem Ergebnis gemeinsam konstruktiv umzugehen“. Es sei ein Versäumnis der Stadt, dass es für den Fall der Ablehnung der Kammerspiele offenbar keinen Plan B gegeben hat. „Obwohl wir den immer gefordert haben.“ Das verzögere das Verfahren jetzt. „Wir brauchen aber schnell ein Konzept für die Sanierung des Stadttheaters. Ein Zelt will keiner, wir müssen Alternativen finden.“

Außer dem neuen Kleinen Haus wurde am Sonntag auch der Bau einer Schule am Augraben abgelehnt. Franz Appel, einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens gegen die Kammerspiele, findet, dass die Stadtpolitik aufgerufen ist, sich Gedanken über Konsequenzen aus diesem Wahlverhalten zu machen. „Man sollte jetzt nicht an den Wählern zweifeln. Da macht man es sich zu einfach.“ Man müsse vielmehr überlegen, ob sich tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger in demokratische Prozesse eingebunden fühlten. „Das ist eine Frage, der wir uns stellen müssen“, ist er überzeugt. Den Vorwurf, der Bürgerentscheid gegen einen Stadtratsbeschluss untergrabe die repräsentative Demokratie, lässt Stachel nicht gelten. „Politik ist nicht dazu da, einfach nur zu regieren. Bei einfachen Fragen, können durchaus auch die Bürger entscheiden. Es ging ja nicht um das Wohl und Weh unserer Stadt. Es ging im Kern nur um ein Bauprojekt.“

DK