Ingolstadt
Zwischen Zorn und Zuversicht

Der Ingolstädter Tierarzt Rupert Ebner warnt in dem Buch "Pillen vor die Säue" vor einer mikrobiellen Apokalypse

30.03.2021 | Stand 23.09.2023, 17:44 Uhr
Der Ingolstädter Tierarzt Rupert Ebner erklärt in dem zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Eva Rosenkranz verfassten Buch "Pillen vor die Säue", warum Antibiotika in der Massentierhaltung unser Gesundheitssystem gefährden. Das Buch gibt es in Ingolstadt unter anderem in der Buchhandlung Stiebert in der Schrannenstraße. −Foto: Hauser

Ingolstadt - "Es ist, als liefen wir sehenden Auges in die Katastrophe." Gegenwärtig würden sicher mindestens 95 Prozent der Menschen dieses Zitat der aktuellen Situation in der Corona-Pandemie zuordnen.

 

Doch es geht um Agrarpolitik, Billigfleisch und dessen Folgen für Mensch und Tier, unser Kaufverhalten und um den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung und deren Auswirkung auf die Humanmedizin. Die Frage, warum Antibiotika in der Massentierhaltung unser Gesundheitssystem gefährden, beantworten der Ingolstädter Großtierarzt und frühere Umwelt- und Gesundheitsreferent in Ingolstadt, Rupert Ebner, und die im Raum München lebende Literaturwissenschaftlerin Eva Rosenkranz. Der Titel ihres gemeinsamen im klimaneutralen Oekom-Verlag erschienenen Buches: "Pillen vor die Säue".

Es ist eine besorgniserregende Zukunftsvorstellung, die die Autoren zeichnen. Ebner, der sich seit über 30 Jahren mit Antibiotika in der Nutztierhaltung beschäftigt und den Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft und innerhalb seines eigenen Berufsstandes entgegenstellt, und Rosenkranz, im Buch bezeichnet als "Bürgerin, die seit Jahrzehnten die Zerstörung im ländlichen Raum, in der oberbayerischen Scheinidylle, beobachtet". Dass die "Bürgerin" eine preisgekrönte Autorin ist, die sich seit langem für Insektenschutz und den Erhalt natürlicher Lebensräume einsetzt, sei nur am Rande vermerkt. Ebner und Rosenkranz warnen vor einer Zukunft, in der die einstige Wunderwaffe der Medizin, Antibiotika, nicht mehr wirkt.

Der Großteil aller Antibiotika in Deutschland wird in der Massentierhaltung eingesetzt. Nicht ein krankes Tier wird behandelt, sondern alle. Auch in der Humanmedizin wird immer noch zu oft Antibiotika verschrieben. Die Folgen sind Resistenzen, die frühere Wunderwaffe verliert ihre Kraft. Die Autoren warnen vor einem "postantibiotischen Zeitalter", in dem Menschen wie im Mittelalter an Zahnentzündungen und anderen leichten bakteriellen Erkrankungen sterben können und "Gesundheitseinrichtungen zu Krankheitsherden" werden. Schon jetzt sterben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jedes Jahr in Deutschland bis zu 20000 Menschen an multiresistenten Keimen. Artikel von "Killerkeimen in Krankenhäusern" gibt es immer wieder. "Die Resistenzen von Bakterien gegen verfügbare Antibiotika schreiten weltweit so schnell voran, dass wir uns bereits jetzt in der größten Gesundheitskrise unserer Zeit befinden", so die Autoren. Und diese Krise "heißt nicht Covid-19."

Zoonosen, die Übertragung von Infektionskrankheiten von Tieren auf den Menschen und umgekehrt, spielen eine immer größere Rolle. Corona sei "vielleicht nur ein Vorgeschmack auf eine drohende mikrobielle Apokalypse". Covid-19 enthülle, "wie schnell wir nicht mehr Herr des Geschehens sind". Die Pandemie sei eine weitere überdeutliche Warnung, die sich einreihe in SARS, MERS. EHEC, Ebola, HIV. "Sie bringt unsere Welt zum Stillstand wie einst die mittelalterlichen Seuchen, deren Wiederkehr wir nur noch in Romanen für möglich hielten".

"Zwischen Zorn und Zuversicht" schildern Ebner und Rosenkranz die mensch- und tierverachtenden Verhältnisse in Schlachthöfen und Fleischfabriken, brutale Tiertransporte und alltäglichen Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung als "Status quo eines Systems der Erzeugung von Lebensmitteln tierischer Herkunft, dass so nicht zukunftsfähig ist und nicht sein darf". Beispielhaft dafür ist der Einsatz des Reserveantibiotikas Colistin in der Geflügelhaltung. Reserveantibiotika, das sind jene Antibiotika, die nur bei schweren Infektionen mit multiresistenten Keimen eingesetzt werden, etwa bei MRSA. Eine Untersuchung der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Germanwatch 2019 zeigte: Von 59 Portionen Hähnchenfleisch aller großen Discounter war mehr als jede zweite Probe mit antibiotikaresistenten Erregern belastet. In jeder fünften fanden sich Keime, die gegen mehrere Antibiotika unempfindlich sind, bei jedem dritten Hähnchen Bakterien, die gegen für Menschen lebensrettende Antibiotika der letzten Wahl resistent sind. Zu denen gehört das bei Geflügelmästern beliebte Colistin.

"Pillen vor die Säue" gibt Einblicke in das "System Fleisch", zeigt "das kurze hässliche Leben eines Masthähnchens" genauso ungeschönt wie das für den Leser nur schwer erträgliche Tierelend in deutschen Schweineställen und Schlachthöfen und hält Verbrauchern den Spiegel vor. Es erklärt, wie Resistenzen entstehen. Und, dass auch in der Humanmedizin, was den Antibiotika-Einsatz anbelangt, noch Luft nach oben ist. Fazit: In Nutztierhaltung und Fleischindustrie, beim Verbraucher, und in der Tier- und Humanmedizin, muss sich dringend etwas ändern. Tier- und Menschengesundheit gehören zusammen.

Neben wissenschaftlichen und politischen Quellen beziehen sich die Autoren auf Bücher und Medienveröffentlichungen. Die 314 Quellenhinweise nehmen allein 13 Seiten ein - mehr, als manche Doktorarbeit. 

Kommentar

Das Buch kommt gerade zur richtigen Zeit. Dass, von der Corona-Pandemie vermutlich etwas beschleunigt, gerade eben ein Gesetzentwurf der Bundesregierung den Verkehr mit Tierarzneimitteln neu regeln soll, zeigt den Ernst der Lage.  Es zeigt, dass die Politik zumindest ein bisschen verstanden hat, dass es so nicht weitergeht. Und auch, wie recht Rupert Ebner mit seinem jahrzehntelangen Kampf gegen den Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer in der Massentierhaltung hat –  und  immer gehabt hat.   

Alle reden von Corona. Das ist richtig und wichtig. Gerade jetzt, wo die Pandemie durch Mutationen immer gefährlicher zu werden scheint. Doch einiges von dem Aktionismus, der jetzt in Bezug auf das Coronavirus durch die politischen Gremien geht, hätte man sich schon lange vor  der Corona-Pandemie gewünscht.  Beim Thema Artenschutz zum Beispiel, aber genauso beim Klimaschutz – und eben, was die Massentierhaltung und das Thema Antibiotika angeht. Wenn der Klimawandel den Permafrost schmelzen lässt,  werden Viren und Bakterien freigesetzt, die keiner kennt. Fangen wir  endlich an, unseren Planeten zu schützen. Die Uhr dafür ist eigentlich schon abgelaufen. 

 

An Ostern gibt's Biolamm

Herr Ebner, Corona ist nur ein Vorgeschmack auf eine drohende mikrobielle Apokalypse, schreiben Sie.  Worauf haben wir uns da noch einzustellen? 

Rupert Ebner: Die gesamte moderne Medizin hängt von der Wirksamkeit von nicht den sonstigen Organismus beeinflussenden Antibiotika ab. Wenn wir keine Antibiotika mehr verfügbar haben, die begleitend zu Hüftersatz, zu Kathetermedizin, zu Organersatz wirken, wird  unser gesamtes Gesundheitssystem, wie wir es jetzt kennen und schätzen, nicht mehr möglich sein. Die Hoffnung für Fachleute – die Lüge in der Vergangenheit – war ja, wir werden schon neue Antibiotika in Kürze bekommen. Mir hat der Forschungschef von Bayer vor zehn Jahren schon gesagt, dass in unserem Leben keine neue Wirkstoffgruppe mit ähnlicher Qualität wie wir sie von den jetzigen Antibiotika kennen,  mehr auf den Markt kommen wird. Deswegen ist der vorsichtige, zurückhaltende und gewissenhafte Umgang mit Antibiotika in der Human- wie in der Tiermedizin von ganz entscheidender Bedeutung, damit es zu dieser Apokalypse nicht kommt.

Sie beantworten schon fast meine noch nicht gestellte, zweite Frage. Ist noch Zeit zum Umsteuern? Was sollen wir machen?

Ebner: Ich schreibe in dem Buch von der „One Health“, von der Gesundheit, die uns alle betrifft. Da muss auch die Humanmedizin ihre Hausaufgaben machen. Ich kann nur sagen, in der Tiermedizin ist da ganz ganz viel möglich. Allerdings nur, wenn wir über die Haltungs- Zucht- und Fütterungsformen in der industriellen Landwirtschaft, wie sie jetzt bestehen, nachdenken und diese ändern. Wenn wir  nach wie vor Millionen von Babys – Babyferkel, Babyhühner, Babykälber – durch die Welt transportieren, wahllos zusammenwürfeln, dann wird der Antibiotika-Einsatz in der Tiermedizin nicht sinken. Wenn wir es allerdings schaffen – und ich denke, bei den Rindern, bei den Schweinen ist das in großem Umfang möglich – dass die Tiere bis zum kurzen Weg in den Schlachthof  dort leben, wo sie auch geboren werden, dann würde das schlagartig zu einer massiven Reduzierung und damit zu einer massiven Reduzierung der Resistenzbildung im Bereich der Antibiotika führen.

Sie selbst sind Vorstandsmitglied bei Slow Food  Deutschland, züchten Rinder, sind kein Vegetarier.  Schmeckt Ihnen Fleisch eigentlich noch, und was kommt im Hause Ebner  an Ostern auf den Tisch?

Ebner: Ich bin ja schon als Tierarzt seit Jahrzehnten privilegiert, dass wir wirklich bei uns nur Fleisch essen, von dem wir wissen, wo es herkommt. Natürlich ist bei uns Biofleisch das Mittel der Wahl. Und, dass muss ich auch offen sagen, der Konsum insgesamt, den haben wir deutlich zurückgenommen. Die Familie Ebner, und speziell Rupert Ebner, braucht nicht mehr jeden Tag Fleisch. Für uns ist Gemüse, Cerealien, ein großer Bestandteil unserer Ernährung. Nichtsdestotrotz gibt’s an Ostern  Biolamm aus einem Betrieb, den ich seit Jahrzehnten betreue.

Die Fragen stellte Ruth Stückle.

Ruth Stückle