Ingolstadt
"Zusammenarbeit steht an erster Stelle"

Der künftige Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) über die Vorbereitungen für seine Amtsübernahme

03.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:36 Uhr
Seine Vereidigung ist für 4. Mai geplant: Christian Scharpf am Freitag in der DK-Redaktion. −Foto: Eberl

Ingolstadt - 59,28 Prozent insgesamt, davon über 60 Prozent in Gerolfing und Zuchering.

 

Für einen Sozialdemokraten. Christian Scharpf. Die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters am Sonntag gilt vielen als Sensation. Historisch war sie wegen des Ausnahmezustands in der Corona-Krise so oder so. Erstmals in der Geschichte der Demokratie in Deutschland gab es keine Wahllokale, abgestimmt wurde ausschließlich per Brief. Für den Amtsinhaber Christian Lösel (CSU) ist nach sechs Jahren Schluss. Sein gewählter Nachfolger wurde sofort in das dramatische Geschehen gerissen. Und Politik muss er auch noch machen. Ein Gespräch mit Christian Scharpf.

Herr Scharpf, mit welchen Begriffen würden Sie die Eindrücke der zurückliegenden Woche beschreiben?

Christian Scharpf: Es war im Prinzip wie ein Tsunami, der über mich hereingebrochen ist. Da war zum einen der überwältigende Wahlsieg, den ich in der Deutlichkeit nicht erwartet habe. Zum anderen die besondere Situation in der Corona-Krise. Und ich war gleich am nächsten Tag in der Führungsgruppe Katastrophenschutz dabei. Ich bin auch in erste Themen des Oberbürgermeisters mit hin-eingenommen worden. Und dann noch die Gespräche mit allen Parteien außer der AfD, die wir im Stundentakt geführt haben. Es war eine sehr dichte Zeit in dieser Woche.

 

Wie viele Termine hatten Sie seit Sonntagabend ungefähr?

Scharpf: Ich habe sie nicht gezählt, aber ich war von früh bis spät entweder unterwegs oder in Videokonferenzen. Gestern allein viereinhalb Stunden lang. Dann war es nachts um 3, bis ich ins Bett gekommen bin. Und früh wieder raus. So schaut meine Woche zurzeit aus.

Was sagen eigentlich Ihre drei Kinder über Ihren Erfolg?

Scharpf: Die haben es deutlich wahrgenommen. Es hingen ja auch lange die Wahlplakate draußen. Die Ältere (sieben Jahre alt, d. Red. ) nimmt da schon Anteil und fragt: "Ist jetzt der Herr Lösel nicht mehr Oberbürgermeister? Bist das jetzt du? " Die nehmen das schon cool.

Sie sagen, mit der Deutlichkeit Ihres Sieges nicht gerechnet zu haben - das haben wohl viele nicht. Warum eigentlich?

 

Scharpf: Ich habe schon mit 50 plus X gerechnet. Das ist ja schon mal was. Aber 60 Prozent hätte ich als Einschätzung von mir für vermessen und fast schon überheblich gehalten. Dass es dann doch fast 60 Prozent geworden sind - ja, das hat mich schon überrascht.

Woran hat es gelegen, dass Sie diesen großen Vorsprung herausgearbeitet haben?

Scharpf: Das war einfach der starke Wechselwille, der in der Stadt da war. Die Unzufriedenheit mit der amtierenden Stadtregierung. Die Unzufriedenheit darüber, wie Stadtpolitik gemacht wird. Und der nicht sehr glückliche Wahlkampf der CSU. Unser Wahlkampf war doch sehr erfolgreich, finde ich. Wir haben die richtigen Themen gesetzt. Wir haben ein Gespür entwickelt. Wir haben einen roten Faden gehabt in der Kampagne. Bei einem Wahlerfolg muss beides zusammenkommen: Es muss die Zeit reif sein, und es muss die Alternative stimmen. Beides hat zusammengepasst.

Wie groß war Ihrer Ansicht nach der Einfluss der Virus-Krise auf das Wahlergebnis?

Scharpf: So gut wie überhaupt nicht. Jedenfalls kann ich es nicht feststellen, denn man würde vermuten, dass in einer Krise der Amtsinhaber Vorteile hat, aber das war offensichtlich nicht der Fall.

In welche Gremien sind Sie inzwischen eingebunden?

Scharpf: Wie gesagt in die Führungsgruppe Katastrophenschutz. Ich war am Runden Tisch der Ärzte mit dabei. Ich konnte mich in einen Aufsichtsrat zuschalten, wo es um die Landesgartenschau und das Thema Veranstaltungen ging. Ich bin auch schon in internen Gesprächen, etwa mit dem Direktorium der Stadt, um die ersten Weichen zu stellen für die Amtsübernahme im Mai.

Sie haben jetzt unmittelbaren Einblick in den Katastrophenschutz. Wie ist Ingolstadt in der Krise gerüstet für das, was noch kommen mag und wahrscheinlich kommen wird?

Scharpf: Aktuell sind wir gut gerüstet. Wir haben noch nicht so viele Fälle wie in Italien oder Spanien, wo es teilweise ja dramatisch ist. Deswegen ist es das Wichtigste, dass wir uns im jetzigen Moment auf eine Entwicklung vorbereiten, die viel schlimmer werden kann. Da wird in meiner Wahrnehmung wirklich alles getan, dass wir uns gut wappnen, dass genügend Betten zur Verfügung stehen, dass genügend Beatmungsgeräte vorhanden sind, dass man Atemschutzmasken beschafft. Ich habe einen guten Eindruck, wie die Krise momentan gemanagt wird. Aber es kann niemand sagen, wie es tatsächlich kommt.

 

Sie stehen außerdem mitten in den Sondierungsgesprächen. Es wird munter taktiert. Wie ist der aktuelle Stand?

Scharpf: Wir haben diese Woche wie gesagt begonnen, die Gespräche zu führen. Wir haben alle Parteien durch. Mir war auch wichtig, dass jede Partei den gleichen Zeitanteil bekommt, egal ob eine kleine oder große Partei. Als Diskussionsgrundlage habe ich ein Papier verschickt, meine Eckpunkte für die Stadtpolitik, die ich in den nächsten sechs Jahren umsetzen will. Das habe ich mit jeder einzelnen Partei durchdiskutiert. Wir sind so verblieben, dass wir nächsten Montag die Rückmeldungen bekommen: Wo geht Ihr mit? Was könnt Ihr euch vorstellen? Wo gibt es Änderungsbedarf? Dann schauen wir uns an, welche Schnittmengen es gibt. Das Ergebnis spiegeln wir wieder an alle Parteien. Mit diesem Ergebnis gehen wir in die zweite Runde. Ich hoffe, dass wir dann klarer sehen, wohin die Reise geht.

Der CSU-Kreisvorsitzende Alfred Grob ist gleich selbstbewusst vorgeprescht und beansprucht das Amt des zweiten Bürgermeisters für die CSU. Wie sicher kann er sich da sein?

Scharpf: Wünsche gibt es immer. Ich habe viele Wünsche gehört. Wobei mir ganz wichtig ist zu betonen: Die Gespräche waren zu 80 bis 90 Prozent sachbezogen - und nicht personalbezogen. Nur in einem kleinen Zeitanteil ging es um Personalpolitik. Auch das ist mir ganz wichtig: Dass es im künftigen Stadtrat eine Zusammenarbeit zwischen allen Parteien und Gruppen geben muss! Ich strebe sie jedenfalls an. Deshalb ist die Frage, wer die Stadtspitze bildet, für mich zweitrangig. Für mich steht an erster Stelle die Zusammenarbeit und auch die Einbindung aller anderen Parteien. Ich werde nicht jeden Montag eine Koalitionsrunde einberufen (wie das bei OB Lösel üblich ist, d. Red. ), sondern alle zum Gruppengespräch einladen und die aktuelle Stadtpolitik besprechen. So gesehen dürfte es auch keine große Rolle spielen, wer zweiter oder dritter Bürgermeister ist.

Aber die CSU macht das Amt des zweiten Bürgermeisters sehr deutlich zur Bedingung.

Scharpf: Ich habe immer gesagt: Aus meiner Sicht muss sich die Stadtspitze aus den stärksten im Stadtrat vertretenen Parteien rekrutieren. Es hat mir noch niemand einen anderen Maßstab genannt, den man heranziehen könnte. Natürlich könnte man es so machen wie früher und sagen: Wir haben einen Koalitionspartner - egal, welche Größe der hat und der bekommt auch einen Sitz in der Stadtspitze. Aber wenn man so agiert, wie ich es vorhabe, dass man alle mitnimmt, gibt es im Prinzip keine Rangfolge unter den Parteien. Dann braucht man schon einen Maßstab dafür, wen man in die Stadtspitze nimmt. Welcher andere Maßstab sollte es sein als die Größe einer Partei? Ich bin gesetzt als Sozialdemokrat und Oberbürgermeister. Die Grünen sind die drittstärkste Kraft, die sind auch als Mitglied der Stadtspitze gesetzt. Als nächste kommen dann CSU und Freie Wähler als Teil der Stadtspitze infrage. Beide kommen für mich in Betracht.

Frau Kleine von den Grünen hat ihren Anspruch, Bürgermeisterin werden zu wollen, schon sehr deutlich angemeldet. Das kommt nicht bei allen an. Die Positionierung nährt den Vorwurf des "Postengeschachers". Wie gehen Sie damit um?

Scharpf: Ich habe keinen Einfluss darauf, wer sich wie öffentlich äußert. Ich fand es diese Woche nicht sehr hilfreich, dass einige Stadtpolitiker schon wieder Posten zum Thema gemacht haben. Ich kann das nur bedingt beeinflussen. Mein Hauptfokus ist die Zusammenarbeit mit anderen und nicht die Zusammensetzung der neuen Stadtspitze. Ich will noch einmal deutlich darauf hinweisen: Wir hatten noch nie so einen Stadtrat in Ingolstadt mit elf Parteien und Gruppierungen. Ich sage das jedem, der sich jetzt aus dem Fenster lehnt und Ansprüche stellt oder ein Wunschkonzert veranstalten möchte: Es hat niemand in diesem Stadtrat eine Mehrheit! Das ist ein bunter Stadtrat, da geht es nur, wenn man alle einbindet. Wenn man jetzt neue Frontstellungen aufmacht, hat man schon verloren. Das ist auch nicht das, wofür ich angetreten bin! Da können wir nicht damit anfangen, andere in die Ecke zu stellen und auszugrenzen, sonst wird sich auch am politischen Klima in dieser Stadt nichts ändern.

Der nächste vom Stadtrat zu wählende Referent ist Personalreferent Christian Siebendritt von der CSU. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich in der Opposition, dass er nicht sehr gut ankommt und man ihn nicht unterstützen möchte. Was sagen Sie dazu?

 

Scharpf: Ich habe in der Tat von zahlreichen Parteien die Rückmeldung bekommen, dass sie keinen Weg sehen für eine Wiederwahl von Herrn Siebendritt. Das habe ich zur Kenntnis genommen und wir haben es auch bei der CSU thematisiert.

Wird das Amt des dritten Bürgermeisters oder der dritten Bürgermeisterin, das bisher ein Ehrenamt ist, hauptamtlich?

Scharpf: Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit. Da muss man schauen, auf wen es dann rausläuft. Ich bin für beide Optionen offen.

Es ist also möglich, dass Sie ab Mai mit Frau Deneke-Stoll von der CSU und Frau Kleine von den Grünen im Rathaus sitzen.

Scharpf: Noch einmal: Ob da als zweite Bürgermeisterin Frau Deneke-Stoll sitzt oder ein Herr Stachel oder eine Frau Kleine oder Herr Stachel als dritter - wie auch immer: Das ist für mich zweitrangig. Man darf die Zusammensetzung der künftigen Stadtspitze nicht als Bündnis ansehen! Das ist nicht der Fall. Mir geht es um die Zusammenarbeit mit allen im Stadtrat.

Am 4. Mai ist die konstituierende Sitzung des neuen Stadtrats geplant. Unter welchen Umständen wird Ihre Vereidigung stattfinden? Und wann?

Scharpf: Wir warten täglich auf Rückmeldung aus dem Innenministerium, ob der 4. Mai überhaupt so stattfindet. Ich gehe davon aus, dass wir diese Sitzung nach wie vor unter erschwerten Bedingungen abhalten müssen, vermutlich wieder im Festsaal des Stadttheaters. Ich gehe aber auch davon aus, dass es beim 4. Mai als Termin bleibt.

DK

Das Gespräch führten

Thorsten Stark

und Christian Silvester.