Ingolstadt
Zur Vernunft gezwungen

Am 1. März tritt die Masern-Impfpflicht in Kraft: Was das für Kitas, Schulen und Eltern bedeutet, ist unklar

19.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:45 Uhr
Heike Strobl
Die Impfpflicht für Masern kommt, es sind aber noch Fragen zur Umsetzung offen. −Foto: Hildenbrand, dpa

Ingolstadt - Sie kommt, die Masern-Impfpflicht.

Und das schon am 1. März. Was genau das für die Kindertagesstätten, Schulen und Eltern bedeutet, steht allerdings noch nicht endgültig fest. Denn Vorgaben aus dem Bayerischen Sozialministerium fehlen. Sie sollen nach Aussage der Behörde in Kürze veröffentlicht werden. Das Gesetz passierte zwar im Dezember den Bundesrat, der Gesetzestext wurde aber erst am 13. Februar veröffentlicht.

Die Kitas in Ingolstadt versuchen nun, sich vorzubereiten. Doch die Zuständigkeiten sind nicht klar, und die Pläne passen nicht immer zu den Richtlinien. Das Gesetz betrifft alle Gemeinschaftseinrichtungen, unter anderem Kitas und Schulen, aber auch Asylbewerberunterkünfte. Neben den Kindern und Bewohnern unterliegen der Impfpflicht auch das Personal und medizinische Angestellte.

Eine Impfpflicht bedeutet jedoch nicht, dass es Zwangs-Impfungen geben wird - in einem Rechtsstaat undenkbar. Sondern, dass Kinder, die in eine Kita gehen, geimpft werden müssen. Sonst können sie ausgeschlossen werden - oder werden erst gar nicht aufgenommen. Bei Schulkindern ist das nicht so einfach: Denn die Schulpflicht steht hier gegen die Impfpflicht. Wie dieser Konflikt konkret gelöst werden kann, ist im Gesetz nicht geregelt.

Die Träger erhalten Informationen vom städtischen Gesundheitsamt oder dem Amt für Kinderbetreuung. Die städtischen Ämter sind auf Handreichungen des Bayerischen Sozialministeriums angewiesen. Das wiederum arbeitet mit dem Bundesministerium für Gesundheit an der Ausarbeitung der Vorgaben. Das bedeutet: Bisher haben die Einrichtungen lediglich sehr allgemeine Informationen erhalten. Ende Januar verschickte das Bayerische Sozialministerium einen Newsletter und das städtische Gesundheitsamt eine Nachricht zu dem kommenden Gesetz. Das Versprechen, genauere Informationen nachzureichen, konnten sie bisher nicht einhalten. Wie gehen also Träger, Behörden und Eltern damit um?

BürgerhilfeDie Einrichtungen der Bürgerhilfe haben bis zum 31. Januar bei allen betreuten Kindern den Impfstatus überprüft. Wer noch nicht geimpft ist, habe dazu bis 31. Juli 2021 Zeit, sagt Sabine Pfeffer, die Geschäftsführerin der Bürgerhilfe. "Danach werde ich die nicht geimpften Kinder und Angestellten an das Gesundheitsamt melden müssen. " Eine explizite Verantwortlichkeit sei in dem Newsletter des Sozialministeriums jedoch nicht genannt. Welche Folgen es hat, wenn die Kinder nicht geimpft sind, darüber herrsche ebenfalls noch Unklarheit. Sie würde die Kinder in jedem Fall aufnehmen, dann werde die Meldung an das Gesundheitsamt erfolgen, sagt Pfeffer. Dieses müsste dann über das weitere Vorgehen entscheiden. Klar sei: "Es ist ein enormer verwaltungstechnischer Aufwand für uns. " Es sei wieder einmal ein schnelles Gesetz, das jetzt irgendwie in die Praxis umgesetzt werden müsse. "Bei Eltern und Mitarbeitern sorgt es bereits für große Unruhe", sagt die Geschäftsführerin.

Städtisches GesundheitsamtSusanne Kramer, Direktorin des Gesundheitsamts, sieht bei der Umsetzung der Neuerungen für die Kitas keinen hohen Verwaltungsaufwand, denn ein Blick ins Impfbuch würde zum Nachweis ausreichen. Sie weiß nicht, was passiert, wenn Kinder bis zum Ende der Frist nicht geimpft sind. Die vorgesehene Strafe von bis zu 2500 Euro findet Kramer zu gering. "Dadurch ist die Impfpflicht nicht umgesetzt. " Schließlich wären dann immer noch ungeimpfte Kinder in den Einrichtungen. Die Möglichkeit eines Ausschlusses sieht sie kritisch, da es sich nur um eine "potenzielle Gefährdung" handle, wenn Menschen nicht geimpft sind. Gerade medizinische Angestellte könnten allerdings ihren Job verlieren, wenn sie gegen Masern ungeimpft bleiben - diese Entscheidung müsse nach derzeitigem Stand der Arbeitgeber treffen. Für Kramer ist die Impfpflicht sinnvoll, "denn jedes Kind, das stirbt, ist eines zu viel".

Bisher haben in Ingolstadt 95 Prozent der Kinder bei der Einschulung die zweite Impfung gegen Masern. 98 Prozent haben die erste Impfung.

Amt für KinderbetreuungDas städtische Amt arbeitet an einem Fahrplan für alle Träger in Ingolstadt. "Bisher ist es aber nur ein Herantasten. Neue Vorgaben auf Landesebene könnten die Pläne wieder ändern", sagt Sonja Habermeier, stellvertretende Amtsleiterin. Sie geht davon aus, dass das Bayerische Sozialministerium noch vor März weitere Informationen zur Verfügung stellen wird. Bis dahin werden die Eltern bereits online bei der Anmeldung ihrer Kinder über den sogenannten Kita-Finder auf das neue Gesetz hingewiesen. Die Anmeldung für Herbst 2020 ist zwar geschlossen, die Betreuungsverträge sind aber noch nicht unterschrieben. "Wir empfehlen, nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt die Regelungen des Masernschutzgesetzes in den Betreuungsvertrag mit aufzunehmen", erklärt Habermeier. Nach Vertragsabschluss empfehle man den Einrichtungen, eine Nachweisliste zu führen. Denn nach derzeitigem Stand sei der Träger der Einrichtung dafür verantwortlich, die Nachweispflicht zu gewährleisten. Er kann dies selbst übernehmen oder an die Kita-Leitung abgeben. Das Amt werde die Dokumentation der Nachweispflicht dann auch stichpunktartig überprüfen.

Bayerisches SozialministeriumFür die Pressestelle des Bayerischen Sozialministeriums steht fest: Nach dem 1. März ist es gesetzlich verboten, Kinder neu aufzunehmen, die keine Impfung, Immunität oder Kontraindikation zur Impfung nachweisen können. Kinder, die schon in die Kita gehen und bis Ende Juli 2021 keine Masern-Impfung nachweisen können, muss die Einrichtungsleitung an das Gesundheitsamt melden. Das kann dann die Eltern beraten und zur Impfung auffordern. Geschieht das nicht, übergibt das Gesundheitsamt den Fall an das Ordnungsamt.

Katholische KindergärtenDie katholischen Kitas sind in "Wartestellung", sagt Markus Schweizer, der Geschäftsführer der Kita gGmbH. "Das Gesetz ist eindeutig, die Umsetzung aber nicht. " Für ihn ist die Masern-Impfpflicht "ein schwieriges Thema". Die Überprüfung und Gewährleistung der Umsetzung der Impfpflicht sollte seiner Meinung nach nicht Aufgabe der Kita-Leitungen sein. Die seien pädagogische und nicht medizinische Fachkräfte. Er könne derzeit nicht sagen, wie die Kinder in seinen Einrichtungen überprüft werden, er warte auf eine Anweisung des Gesundheitsamts. Schon jetzt werde das Personal überprüft. Die Kita gGmbH habe sich bewusst dafür entschieden, die Überprüfung durchzuziehen, trotz der Frist, sagte Schweizer. Ein Betriebsarzt werde allen nach 1970 Geborenen das benötigte Attest ausstellen.

ElternDas bestätigt auch Ana Kirch, Elternbeiratsmitglied im Kindergarten St. Pius. Ein Termin soll in dieser Einrichtung bald stattfinden. Kirch sagt, es sei schon lange üblich, dass jedes Kind, das eingeschrieben wird, ein Untersuchungsheft und einen Impfpass vorlegen muss. Sie erwarte nicht, dass sich durch die Einführung der Impfpflicht hier etwas ändert. Denn die Kita-Leitung sei schon jetzt darüber im Bilde, wer alles geimpft ist und wer nicht. "Ich habe einmal direkt nachgefragt: Wenn ich nachweisen muss, dass meine Kinder geimpft sind, möchte ich auch wissen, wie viele es nicht sind. Da hat die Leiterin ganz offen geantwortet: Zwei Kinder sind aktuell nicht geimpft. " Da die Anmeldungen seit letztem Jahr online erfolgen, hätten die Einrichtungen alle Informationen digital zur Verfügung. Als Elternbeirätin habe sie bisher noch keine Information zur Impfpflicht vom Kindergarten erhalten. Beunruhigt ist sie über die Einführung jedoch nicht.

DK

Heike Strobl