Manching
Zug um Zug mit Handicap

Zeichen für Inklusion im Sport: Blinder Schachspieler tritt gegen Politikerin und Pfarrer an

29.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:49 Uhr
Konzentriert: Sandor Bela (r.) im Duell mit Politikerin Diana Stachowitz - die jedoch von Großmeister Stefan Kindermann unterstützt wurde. −Foto: Brandl

Manching (DK) Schach gegen Handicap hieß es am Sonntag beim Schachklub Ingolstadt und seinem Verein zur Schachförderung.

In zwei Schnellschachpartien, die jeweils über eine Stunde angesetzt waren, forderte Vereinsspieler Sandor Bela (55) zwei andere Schachspieler heraus. Das Besondere daran: Der Juniorenmeister im Gehörlosenschach, der es als Sehender beinahe zum Großmeister schaffte, kann nicht hören und ist seit mehr als zehn Jahren vollständig erblindet. Die Figuren und Spielstellungen ertastet er mit den Händen auf einem dafür präparierten Schachbrett.

Jetzt trat er in einem Nebenraum des Manchinger Hofs gegen Pfarrer Martin Michaelis von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Matthäus in Ingolstadt und gegen Diana Stachowitz, Abgeordnete der SPD im Bayerischen Landtag sowie Präsidentin des Bayerischen Landesverbandes des Behindertensportverbandes, an. Die spannende Partie gegen Michaelis endete mit einem Remis, gegen Stachowitz, die allerdings vom Münchner Schachgroßmeister Stefan Kindermann unterstützt wurde, gab sich Bela nach einem umkämpften Spiel geschlagen. "Die beiden Partien waren sehr anstrengend. Ich musste viel Kraft und Konzentration aufbringen. Es hat aber Spaß gemacht", übersetzte seine Gebärdendolmetscherin Bela anschließend. Im zweiten Spiel sei ihm ein kleiner Fehler unterlaufen, daher habe er verloren.

Den Respekt von Stachowitz hatte er sich dennoch gesichert. Die Politikerin zeigte sich von der Leistung des hör- und sehbehinderten Mannes auf ganzer Linie beeindruckt - vor allem davon, wie er die Figuren mit den Fingern ertastet und sich so in Gedanken ein ständiges Abbild vom Spielverlauf verschafft. Unterstützt wurde er dabei von Veranstaltungsleiter Christophe Andreoli, der die von Bela gewünschten Spielzüge auf dem Brett vornahm. Martin Michaelis spielte seine Partie ebenfalls "im Kopf". Er verzichtete komplett auf ein Spielbrett mit Figuren und saß während der Partie an einem separaten Tisch - den Rücken dem Gegner zugewandt und konzentriert die Stirn in die Hände vergraben. "So habe ich das zuletzt vielleicht vor 20 Jahren gemacht", sagte der Geistliche anschließend und ergänzte: "Bela ist überdurchschnittlich gut, aber die Partie war übersichtlich zu spielen, so sind keine großen Fehler passiert. " Letztlich sei es aber nicht auf das Ergebnis angekommen, sondern darum, ein Zeichen für die Inklusion zu setzen. "Mich hat erstaunt, dass die Kommunikation so gut funktioniert hat. Das zeigt, wie wichtig die soziale Komponente beim Schach ist", so Michaelis.

Für Stachowitz, die schon als Kind Schach spielte, war neben dem integrativen Gedanken noch etwas anderes wichtig: "Schach beinhaltet Strategie, Konzentration und eine gewisse Langsamkeit, die Überlegung erfordert - das alles brauchen wir auch in der Gesellschaft wieder. Man sollte sich wieder Gedanken darüber machen, wohin das eigene Tun führt. Das ist wichtig für die Demokratie", sagte sie. Inklusion liege ihr ohnehin am Herzen, so die Sozialdemokratin. "Jeder soll an allem teilnehmen können. Es geht darum, Barrieren abzubauen, und das nicht nur in den Köpfen. " Der Landesverband habe deshalb auch die Gebärdendolmetscherin für den Tag finanziert.

Damit Sandor Bela zukünftig wieder bei Turnieren um Punkte spielen kann, habe er beim Bezirk Oberbayern ein Budget für eine Assistenz beantragt - das sei auch in anderen Bundesländern möglich, hieß es am Sonntag. Auf eine solche Hilfe könne er aktuell nicht zurückgreifen und deshalb auch nicht an Turnieren seines Vereins teilnehmen.

"Ich gehe sehr gerne zum Schachklub", sagte er. Für ihn, darf angenommen werden, wäre das sicherlich ein weiterer Schritt hin zu mehr Inklusion auch im Sport.

Michael Brandl