Ingolstadt
Wohnen auf der Straße

Aktion vor der Franziskanerkirche: Caritas will auf angespannte Lage des Immobilienmarkts hinweisen

20.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:09 Uhr
Ein Wohnzimmer unter freiem Himmel hat die Caritas vor der Franziskanerkirche aufgebaut. Damit will die Organisation auf den angespannten Wohnungsmarkt aufmerksam machen. Die Initiatoren wollen dabei auch mit Passanten ins Gespräch kommen, die offen und teilweise emotional über ihre Erfahrungen berichten - auch wenn die Meinungen teils weit auseinandergehen. −Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) In Ingolstadt wird der Platz vor der Franziskanerkirche an der Harderstraße derzeit als Wohnung genutzt. Noch bis einschließlich heute, 16 Uhr, hat die Caritas-Kreisstelle Ingolstadt dort ein Wohnzimmer und eine Küche aufgebaut. Zweck der Aktion "Zimmer auf der Straße": Aufmerksam machen auf fehlenden Wohnraum und hohe Mieten.

Mit im Mittelpunkt stehen für die Sozialeinrichtung dabei vor allem jene Menschen, die nur wenig verdienen und sich deshalb nicht in der Lage sehen, eine Wohnung bezahlen zu können. "Zu mir kommen täglich im Schnitt 70 Leute. Der überwiegende Teil davon lebt in Pensionszimmern, die oft auch schon 500 Euro kosten, andere sind obdachlos", sagt Silvia Kopp, Leiterin der Villa Johannes, eine Begegnungsstätte für Suchtkranke. Sie kenne außerdem Menschen, die Vollzeit arbeiten und trotzdem keine Wohnung bekommen, weil ihr Verdienst einfach zu gering sei: "Ich glaube, dass diese Fälle mit der Einführung der Zeitarbeit mehr geworden sind", befürchtet sie.

Kopp und ihre Kolleginnen wollen vor der Kirche - der Platz sei gewählt worden, weil sich dort auch Wohnungslose aufhalten - mit Passanten und Betroffenen ins Gespräch kommen und sie um ihre Meinung bitten. Und das tun sie oft recht offen und emotional. "Die Lage ist furchtbar, eine 80-jährige Bekannte von mir sucht seit über einem Jahr eine günstige Wohnung, weil sie ihre teure Miete nicht mehr bezahlen kann", erzählt eine ältere Frau, die in der Niemeser Straße wohnt. Sie findet die Aktion gut. "Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist ein Prozess der letzten Jahre. Da hat die Politik versagt", findet ein Passant, der sich einen Flyer abholt. "Selbst die Kirchen vermieten jetzt schon zu Horrorpreisen", ergänzt er.

Eine ältere Frau, die aus Rosenheim zu Besuch in der Schanz ist, sieht das etwas anders: "Wer hätte die Bevölkerungsexplosion voraussehen können? Und das Bauen dauert eben", sagt sie. Sie selbst sei kurz nach dem Krieg geboren worden. "Wir haben damals zu fünft in zwei Zimmern gelebt, heute soll bei den jungen Leuten aber alles gleich immer perfekt sein", gibt sie zu bedenken.

"Ich war selbst schon in der Situation: schwanger und auf Wohnungssuche. Trotz Arbeit haben mein Freund und ich aber lange nichts gefunden", berichtet Sarah (24) aus Manching. Sie findet die Mieten als "Frechheit" und würde sich wünschen, dass auch Leute, die nicht bei Audi oder anderen großen Unternehmen arbeiten, eine Chance auf dem Wohnungsmarkt hätten. Für ihre Freundin Sandra (24) ist die Sache klar: "Mietpreise runter oder Löhne rauf, denn das Leben funktioniert nicht, wenn man die Hälfte des Einkommens für die Wohnung ausgeben muss."

Kopp indes bezweifelt gar nicht, dass etwas getan wird. "Es wird viel gebaut in Ingolstadt, aber es geht darum, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen", sagt sie. Dabei sehe man bei der Caritas die Aktion gar nicht politisch. "Uns geht es um das Stimmungsbild in der Bevölkerung", erklärt sie. Das will die Organisation später auf ihrer Homepage veröffentlichen und in verschiedenen Gremien zu Rate ziehen. Die Aktion "Zimmer auf der Straße" ist Bestandteil der diesjährigen Caritas-Kampagne "Jeder braucht ein Zuhause" und fand auch schon in anderen bayerischen Städten statt.

Michael Brandl