Wo Emanzipation eine Lüge ist

04.03.2008 | Stand 03.12.2020, 6:05 Uhr

Einblicke in die Lebensituation von Frauen in Osteuropa: Interessiert verfolgte das Publikum die Ausführungen der Münchner Journalistin Inge Bell, die für ihre Aufklärungsarbeit und ihren Einsatz mit dem Preis "Frauen Europas – Deutschland 2007" ausgezeichnet wurde. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Anlässlich des Internationalen Frauentages am Montag zeigte die Münchner Journalistin und "Frau Europas 2007" Inge Bell am Montagabend bewegende Filme über das oft schwierige Leben der Osteuropäerinnen.

Das Dachgeschoss der Stadtbücherei im Herzogskasten ist mit Fotos der Ingolstädter Künstlerin ChaBé verziert, auf denen Frauen jeglichen Alters mit einer Weltkugel zu sehen sind. Nach den Filmen von Inge Bell herrscht in diesem Raum im vierten Stock betroffene Stille. Rund 60 Besucher, die am Montag zum Themenabend "Frau sein am anderen Ende Europas" gekommen sind, sitzen unbeweglich auf ihren Plätzen – niemand hustet, keiner raschelt.

Erst als die Münchner Radio- und Fernsehjournalistin wieder ans Rednerpult tritt, um das Gesehene zu erläutern und zu erzählen, wie sich das Leben der Protagonistinnen in ihren Reportagen weiter entwickelt hat, löst sich die Spannung langsam.

Hinter den Zuschauern liegen zwei Stunden, in denen es Einblicke in die traurigen und erschreckenden Lebensituationen von unterschiedlichen Frauen in Bulgarien und Rumänien bekommen hat: Berichte über eine Sozialarbeiterin, die sich in Bukarest um verwaiste Straßenkinder kümmert, über eine bettelarme Zigeunerin, die sich für ihre Familie aufopfert, über eine junge Frau, die von ihrem Freund zur Prostitution gezwungen wurde und heute auf der Flucht vor den Menschenhändlern anonym in einer Großstadt lebt, über geistig behinderte Mädchen, die unter katastrophalen Bedingungen in einem Heim zusammen leben.

Inge Bell, die selbst in Siebenbürgen Sachsen in Rumänien geboren ist, hat sich bei ihrer journalistischen Arbeit auf Osteuropa spezialisiert – und auf die Nachwirkungen des Kommunismus in einer Gesellschaft, die laut Bell noch längst nicht frei von Misstrauen, Korruption, Willkür und Gewalt ist.

Die 40-Jährige konzentriert sich in ihren Filmbeiträgen auf die Frauen in Bulgarien und Rumänien, "die Verlierer einer vermeintlichen Emanzipation". Emanzipation und Gleichberechtigung sind in Osteuropa bloße Lügengebäude, so Bell.

Gewalt gesellschaftsfähig

Viele Frauen seien inzwischen beruflich aktiv, trotzdem würden sie nach wie vor die volle Verantwortung für die Familie und den Haushalt tragen. Auch die Gewaltschwelle sei dort eine völlig andere: Häusliche und öffentliche Gewalt gelte als gesellschaftsfähig. "Geh’ erst mal heim und schlag deine Frau. Sie wird schon wissen warum" sei in vielen Fällen mehr als nur ein Witz unter den Männern.

Für ihre Aufklärungsarbeit und ihren großen Einsatz bei Hilfsprojekten, die Frauen in Osteuropa unterstützen, ist die Slawistin und Historikerin Bell mit dem Preis "Frauen Europas – Deutschland 2007" ausgezeichnet worden.

Inge Bell spricht deutliche Worte: "Als Journalistin kann ich polemisch sein – nicht politisch korrekt", meint sie mit einem Seitenblick auf ihren Vorredner und weiteren Gast des Abends, Matthias Pelzer von amnesty international, der seine Rede recht sachlich auf die von der Menschenrechtsorganisation gesammelten Fakten und Zahlen stützte.

Zuletzt zeigt Bell noch ein positives Beispiel, das für die Zukunft hoffen lässt: Einen Beitrag über eine erfolgreiche Jungunternehmerin aus Bukarest, deren Seifenfirma inzwischen 500 Mitarbeiter beschäftigt. Eine Performance der Tanztherapeutin Mirjana Fijic rundet den bewegenden Themenabend, der maßgeblich vom Sozialdienst katholischer Frauen organisiert wurde, schließlich ab.