Wo Corona Geschichten schreibt

Premiere im Kap94: In "Systemrelevant" erzählen Francesca Pane und Nicole Titus von den Absurditäten der Pandemie

24.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:58 Uhr
Wie spendet man Trost trotz der Distanz? Nicole Titus (links) und Francesca Pane als Birgit und Andrea im Kap94. −Foto: privat

Ingolstadt - Schon das erste Seufzen aus Birgits Mund beschreibt die Situation deutlich: Hier ist ein Eindringling, der allenfalls geduldet wird.

Aber: Besondere Zeiten erfordern besondere Rücksichtnahme. Und so hat Birgit ihre chaotische Schwester Andrea bei sich aufgenommen. Die ist auf Wohnungssuche, seit sie in dieser Stadt ihre Stelle als Kunstlehrerin angenommen hat. Dann kam Corona und der Lockdown. Und jetzt sitzen die beiden Schwestern zusammen in Birgits kleiner aufgeräumter Wohnung mit Kruzifix und Söder-Schrein und einem zentralen Sofa - als Requisit jeder schrecklich netten oder auch nur schrecklichen - Familie. Zum Ringen um den 1,5-Meter-Sicherheitsabstand und beharrlich Ungesagtem aus der Vergangenheit kommt schnell ein Konflikt über das richtige Verhalten im pandemischen Geschehen. Und das sowieso etwas angeknackste Verhältnis der beiden Schwestern wird auf eine harte Probe gestellt.

"Systemrelevant" haben Francesca Pane und Nicole Titus ihr Stück genannt, das am Donnerstagabend im Kap94 Premiere feierte und vieles von dem thematisiert, was uns alle in den vergangenen eineinhalb Jahren beschäftigt hat: Corona und die Folgen. Abstand halten, Maske tragen, Kontakte vermeiden und immer neue Verlautbarungen von Politik und Wissenschaft. Gehen die Maßnahmen zu weit - oder nicht weit genug?

Dabei haben Pane und Titus zwei extrem gegensätzliche Figuren entwickelt: hier die lässige Kreative, die sich um ihre Freiheitsrechte und das seelische Wohl ihrer Schüler sorgt, dort die beherrschte Bankerin mit Blockwart-Mentalität, Sofakissenknicktick und fast religiösem Eifer, alle Verordnungen der Söderschen Glaubenskongregation exakt zu befolgen. Das ist leider ziemlich vorhersehbar, nicht gut gespielt, wirkt insgesamt sehr unfertig und mitunter zu schrill. Ein Regisseur hätte da gutgetan.

Schlaglichtartig wird die Beziehung der beiden in kurzen Szenen beleuchtet. Dabei hört man viel Bekanntes, worüber man die letzten Monate den Kopf schüttelte: Nähe und Distanz, Freiheit und Kontrolle, Verschwörungstheorien und Radikalisierungsmotoren, gesellschaftliche Langzeitfolgen, wirtschaftliche und emotionale Kosten-Nutzen-Strategien.

Spannend wird das Stück dann, wenn die daraus folgenden Absurditäten in konkrete Theaterideen münden. Wenn dem geplanten Besuch der Mutter in Österreich etwa ein langwieriger Rechercheprozess um die geforderten Verhaltensregeln (Testung? Quarantäne? Und wenn ja, wie lange? 48-Stunden-Regelung ohne alles? ) im Grenzverkehr vorausgeht - und Nicole Titus als Birgit von einer Warteschleife (Innenministerium) in die nächste (Gesundheitsamt, Auswärtiges Amt, Bundespolizei) gerät, letztlich an Google verwiesen wird und zu absurden Erkenntnissen kommt.

Am Ende finden beide ein entspanntes Geschwisterverhältnis und einen eigenen Weg in die neue Corona-Normalität. Und der Zuschauer? Bleibt etwas verwirrt zurück. Hatte sich von einer "politischen Satire" aber definitiv mehr versprochen.

DK


Weitere Termine im Kap94: 26. September, 6., 7., 8., 20., 21., 28. und 29. Oktober. Kartenreservierung: francesca. pane@outlook. de. Es gelten die 3G-Regeln.

Anja Witzke