Ingolstadt
"Wir verstehen das einfach nicht"

Klaus Böttcher ist stolz auf seinen Mitarbeiter Ali - dem droht jetzt die Abschiebung nach Afghanistan

08.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:28 Uhr
Beliebter Kollege: 2014 fing Ali Ramazani im Betrieb von Klaus Böttcher (r.) an. Vor einer Woche wurde dem Afghanen die Arbeitserlaubnis entzogen, zuvor war sein Asylantrag abgelehnt worden. Am Freitag kam der 23-Jährige für das DK-Gespräch in die Firma zurück. −Foto: Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Seit vier Jahren beschäftigt Klaus Böttcher in seinem Betrieb einen Asylbewerber aus Afghanistan. Er war froh, den tüchtigen jungen Mann gefunden zu haben. Doch jetzt ist Ali Ramazanis Asylantrag zum zweiten Mal abgelehnt worden; er darf auf einen Schlag nicht mehr arbeiten. "Es ist ein Drama für ihn!", sagt Böttcher. "Ali hätte sich bei uns eine Existenz aufbauen können." Kräfte wie er würden dringend gebraucht. "Wir verstehen das einfach nicht!" Aber sie geben die Hoffnung nicht auf.

Befürchtet haben sie es natürlich. Aber in den Jahren der Ungewissheit überwog immer die Hoffnung auf ein glückliches Ende. Klaus Böttcher, Inhaber eines Fachbetriebs für Autosattlerei, Nähen, Markisen und Zelte an der Nördlichen Ringstraße, dachte auch ganz pragmatisch: Ali Reza Ramazani, der 2012 im Alter von 17 Jahren ohne Familie als Flüchtling nach Deutschland kam, sei schließlich ein "wertvoller, fleißiger Mitarbeiter und sehr begabter Näher", der sich voll reinhänge, bei allen beliebt sei, immer besser Deutsch spreche und sich ich "nie etwas zuschulden kommen ließ". So ein engagierter junger Mann sollte doch eigentlich eine Chance verdient haben, in der Bundesrepublik eine neue Heimat zu finden, dachte Böttcher.

Doch der Unternehmer sollte sich täuschen. Der Asylantrag seines Mitarbeiters ist vor Kurzem auch im Widerrufsverfahren abgelehnt worden. Ramazani droht die Abschiebung. "Am vergangenen Freitag hat man ihm auch noch kurzfristig die Arbeitserlaubnis entzogen, weil er keinen afghanischen Pass hat." An der Stelle wächst die Wut des langjährigen Stadtrats (Böttcher ist FW-Mitglied): "Seit 2014 arbeitet der Ali für uns. Nie war es ein Problem, dass er keinen Pass hat - und jetzt plötzlich schon. Ein Wahnsinn! Da steckt doch System dahinter! Seehofer und Söder lassen hart durchgreifen. Radikalmaßnahmen ohne jede Rücksicht auf Verluste!"

Ramazani äußert sich verhaltener als sein Chef: "Ich arbeite gerne hier, alles ist sehr schön, auch meine Kollegen sind toll." Der 23-Jährige weiß nicht, wie es weitergeht. "Ich arbeite seit vier Jahren in dieser Firma, ich habe eine eigene Wohnung, ich zahle alles selber, es war immer alles in Ordnung bei mir - und jetzt habe ich plötzlich keine Arbeitserlaubnis mehr. Das ist ein großes Problem", sagt Ramazani. "Wie soll ich die Miete zahlen?"

Mit Afghanistan verbinde ihn nichts mehr, erzählt er. Keine Familie, niemand. Sein Vater sei von den Taliban ermordet worden, die Mutter lebe auch nicht mehr. Seine Zukunft liege in der Bundesrepublik, sagt Ramazani. Und er wiederholt: "Ich arbeite vier Jahren. Ich zahle Steuern. Es ist wirklich ein Problem."

Um seine Firma gehe es hier am allerwenigsten, betont Böttcher im Gespräch mit dem DK - obgleich er sich sehr gefreut habe, den motivierten, sympathischen Afghanen für sein Team gewonnen zu haben. "Der Arbeitsmarkt ist schließlich wie leergefegt." Nein: "Es geht es zuallererst um den Menschen! Es ist ein Drama für ihn. Der Ali fällt jetzt in ein Loch. Er ist als Analphabet zu uns gekommen und hat seither viel gelernt. Wir haben ihm auch eine Menge beibringen können. Er hätte sich in Deutschland eine Existenz aufbauen können - und das wird jetzt mit einer einzigen Unterschrift, ja mit einem einzigen Handstreich zerstört. Jetzt soll er zurück nach Afghanistan, wo er niemanden hat. Nach der Devise ,Friss Vogel oder stirb'. Wir verstehen das einfach nicht!"

Als Chef hält sich Böttcher natürlich streng daran, dass Ramazani jetzt nicht mehr arbeiten darf. "Sonst macht er sich strafbar. Und dann schieben sie ihn vielleicht erst recht ab."

Böttcher betrachtet den Fall dennoch - auch - aus der Perspektive eines Unternehmers. "Es waren wir Mittelständler, die alle Flüchtlinge aufgenommen und weitergebildet haben! Die Großindustrie hat da gar nix gemacht. Die haben keinen einzigen eingestellt! Wir Mittelständler brauchen diese jungen Kräfte auch dringend. Und jetzt nimmt man sie uns wieder weg."

Noch haben Böttcher und Ramazani die Hoffnung nicht aufgegeben. Am Mittwoch war der Afghane in der Botschaft seines Heimatlandes, um einen Pass zu beantragen. Aber das droht sehr kompliziert zu werden.

Sein Chef hat das Katholische Büro Bayern und - quasi als evangelisches Pendant - Karoline Schwärzli-Bühler vom Jugendmigrationsdienst in Ingolstadt um Unterstützung gebeten. Beide Organisationen nehmen sich des von der Abschiebung Bedrohten an. "Wir hoffen, dass für den Ali eine Härtefallregelung greift, weil er schon seit sechs Jahren da ist."

Das Wort "hoffen" fällt an diesem Tag in der Firma Böttcher noch häufiger.

Christian Silvester