"Wer links wählt, verschenkt seine Stimme nicht"

Das Linken-Spitzenduo Eva Bulling-Schröter und Ates Gürpinar glaubt fest an einen Einzug ins Maximilianeum

12.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:41 Uhr
Für die Linke im Wahlkampfmodus: Eva Bulling-Schröter aus Ingolstadt, Schlosserin und ehemalige Bundestagsabgeordnete, und Ates Gürpinar, Medienwissenschaftler aus München. −Foto: Oppenheimer

Frau Bulling-Schröter, Herr Gürpinar, laut aktuellem Bayern-trend liegt die Linke bei fünf Prozent und könnte es ins Maximilianeum schaffen.

Haben Sie den Sekt schon kaltgestellt?
Eva Bulling-Schröter: Ja logisch! Ich habe vor Freude geheult, als ich das erfahren habe. Das beweist auch: Wer links wählt, verschenkt seine Stimme nicht. Es ist noch alles offen, und wir kämpfen bis zur letzten Sekunde um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler.
Ates Gürpinar: Es gibt auch Umfragen, wer sich vorstellen kann, die Linke zu wählen: Da sind wir sogar bei 15 Prozent.

In ganz Bayern gehen immer mehr Menschen auf die Straße: Sie demonstrieren gegen das Polizeiaufgabengesetz, gegen Ausländerhetze, Fremdenhass oder Wohnungsnot. Das zeigt, dass Unzufriedenheit herrscht. Profitiert die Linke davon?
Gürpinar: Ich glaube, davon können wir auf jeden Fall profitieren im 100. Jahr der Ausrufung des Freistaats durch Kurt Eisner. Der war ja auch ein Linker. Wir haben tatsächlich einen immensen Zuwachs: Seit der Bundestagswahl 2017 haben wir rund 800 neue Mitglieder gewonnen und sind jetzt bei 3300. Junge Leute kommen zu uns und machen direkt den Wahlkampf mit.
Bulling-Schröter: Wir erleben viel Zuspruch - auch beim Volksbegehren Pflege. Das macht mir Hoffnung, dass es ein anderes Bayern gibt.

Wie läuft es mit dem Volksbegehren? Bringen Sie die 40 000 Unterschriften zusammen?
Gürpinar: Neue Zahlen gibt es erst nächste Woche. Wir haben 100000 Unterschriftenlisten verschickt: Wenn die alle zurückkämen, hätten wir das 20-fache an Unterschriften, was wir bräuchten. Deswegen sind wir mehr als zuversichtlich, unser Ziel zu erreichen.

Am Samstag findet in München die Demo "ausspekuliert" statt. Wie will die Linke denn mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen?
Gürpinar: Ingolstadt hat nach München die zweithöchsten Mieten, aber auch in den anderen Großstädten wie Nürnberg , Regensburg oder Augsburg sieht es nicht viel besser aus. Nun verspricht Söder Baukindergeld, so ein Unsinn. Von den 10 000 Euro kannst du dir in München gerade ein Gästeklo leisten. Du musst Millionär sein, damit du überhaupt bauen kannst. Das ist ein Problem, das nicht nur die CSU zu verantworten hat, sondern auch die SPD oder die Grünen, die in München lange mit am Zug waren. Zum einen müssen 40 000 Sozialwohnungen im Jahr gebaut werden. Zum Zweiten dürfen Sozialwohnungen nicht aus der Bindung fallen und dem freien Markt überlassen werden.
Bulling-Schröter: Städtische Grundstücke dürfen auch auf keinen Fall höchstbietend verkauft werden, sondern müssen in Erbpacht vergeben werden. So wird das Bauen billiger, und man kann auch entscheiden, was gebaut wird.

Mehr für die Mehrheit lautet der Slogan der Linken. Was genau meinen Sie damit?
Bulling-Schröter: Auf Baierisch sagt man: Mia san de mehran und de schweran. Es gibt hier Millionäre und Multimillionäre. Und es gibt die Anderen, und die sind eigentlich die Mehrheit. In Bayern sind eine Million Menschen prekär und befristet beschäftigt - da muss sich was verändern. 15 Prozent der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze: Das ist eine Schande, wo doch Bayern eigentlich die Vorstufe zum Paradies sein soll.
Gürpinar: Söder hat Anfang des Jahres großartig von Flugtaxen und Hyperloopstrecken gesprochen. Unabhängig davon, dass das überhaupt nicht visionär ist und ich nicht genau weiß, welche Stoffe er zu sich nimmt, ist es doch die Frage, wer davon profitieren würde? Wer von uns kann dann ein Flugtaxi bezahlen? Wir sagen, wir brauchen mehr für die Mehrheit, wie einen kostenlosen ÖPNV. Das hilft der Mehrheit der Menschen.

Von einem kostenlosen ÖPNV oder kostenlosen Kitas, wie Sie fordern, profitieren aber auch die Reichen. Ist es sinnvoll, mit der Gießkanne auszuschütten?
Bulling-Schröter: Wir wollen ja auch eine vernünftige, faire Besteuerung. Und gleiche Chancen für alle Kinder. In Bayern ist jedes zehnte Kind arm, in Ingolstadt sogar jedes sechste. Obwohl es die Stadt mit dem höchsten Durchschnittseinkommen in Bayern ist. Wir sind für eine anständige Förderung im Kindergarten und in der Schule.
Gürpinar: In Thüringen hat der Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow ein kostenfreies Kindergartenjahr eingeführt. Das sind Sachen, die möglich sind - gerade in einem so reichen Land wie Bayern. Diese Prioritäten werden aber von der CSU und auch von den anderen Parteien nicht gesetzt.

Was die Flüchtlingspolitik betrifft, ist die Linke selbst zerstritten. Wie sieht es aus mit der viel beschworenen internationalen Solidarität?
Bulling-Schröter: Die ist auf alle Fälle da, und wir sind uns sehr einig, dass wir das machen wollen, was selbst die CSU in ihren Anträgen behauptet, aber nie macht: nämlich Fluchtgründe bekämpfen. Das heißt für die Linke zum Beispiel: keine Rüstungsexporte mehr. 50 Prozent der Rüstungsexporte werden in Bayern produziert. Diese Produktionsstandorte müssen der zivilen Nutzung dienen, das wäre auch für die Beschäftigten kein Problem. Dasselbe gilt für den Umgang mit Flüchtlingen in den Ankerzentren: Da dürfen die Menschen nicht selber kochen, sie werden nicht beschäftigt, und die Kinder besuchen keine Regelschule. So geht man nicht mit Menschen um.
Gürpinar: Ja, Integration funktioniert nicht in Ankerzentren.

In Chemnitz und Köthen entlädt sich die Wut der Rechtspopulisten. Die AfD versucht, das auszuschlachten. Die Forderung nach einer Überwachung durch den Verfassungsschutz wird diskutiert. Was sagen Sie dazu, wo die Linke ja auch schon unter staatlicher Beobachtung stand?
Bulling-Schröter: Wenn der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein Sympathisant der AfD ist, dann weiß ich nicht nicht, ob diese Forderung sinnvoll ist. Ich finde, dieser Herr gehört weg. Es gibt bei der AfD genug strafrelevante Vorfälle - da braucht man keinen Verfassungsschutz.
Gürpinar: Den Bock zum Gärtner machen ist nicht das Prinzip, das wir verfolgen. Deshalb verstehe ich die Forderung der Grünen nicht. Wenn die glauben, dass der Verfassungsschutz die AfD beobachtet und damit was bewirken würde, liegen sie völlig falsch. Der Verfassungsschutz hat auch die NSU-Morde nicht verhindert, von denen übrigens der Großteil in Bayern stattfand.

Zum Schluss die Frage: Wollen Sie aufstehen? Was halten Sie von der gleichnamigen linken Sammelbewegung?
Gürpinar: Ich bin 2010 aufgestanden und in die Linke eingetreten und habe seitdem bei verschiedensten Initiativen mitgemacht. Es ist entscheidend, die Bewegung von der Straße ins Parlament zu bringen.
Bulling-Schröter: Es gibt ja einige, die wollen aufstehen und die Gesellschaft aufmischen, aber in ihren Parteien bleiben. Ich kenne einige dieser Leute seit 40 Jahren: Die sind nie in ihren Parteien aufgestanden - das wäre doch das Erste. Ich jedenfalls habe das immer so gemacht.

DK



Das Interview führte Suzanne Schattenhofer