Ingolstadt
Die Weihnachtspredigt von Dekanin Gabriele Schwarz in der Matthäuskirche

22.12.2018 | Stand 02.12.2020, 14:58 Uhr

−Foto: Samantha Meier

Ingolstadt (DK) Wie jedes Jahr hat die evangelische Gemeinde in der Matthäuskirche die Christmette gefeiert. Gabriele Schwarz, Dekanin in Ingolstadt, hielt die Predigt. Gabriele Schwarz ist gemeinsam mit Thomas Schwarz für den Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk Ingolstadt verantwortlich.

Liebe Gemeinde,

ganz sicher sind auch in diesem Jahr wieder viele von Ihnen gefragt worden: „Was wünschst du dir eigentlich zu Weihnachten? Was soll ich dir schenken?“

Für Kinder gibt es ja die wunderbare Erfindung des Wunschzettels: Ein Stück Papier, manchmal schön bemalt und verziert, auf die Ihr all die Herrlichkeiten aufgeschrieben habt, die Ihr so gerne haben würdet. Und wenn Euch von selber nicht genügend eingefallen ist, gibt es da ja noch die Inspiration von Freundinnen und Schulkameraden, aus der Werbung oder den inzwischen wohl schon etwas altmodischen Spielzeugkatalogen …

Es ist schön, dass man sich einmal im Jahr ganz hemmungslos seinen Wünschen hingeben darf. Dass wir darüber nachdenken können, was uns noch fehlt zu unserem Glück, was wir gerne haben würden, was wir vermissen in unserem Leben. Und es ist vergleichsweise einfach, diese Wünsche zu erfüllen – vorausgesetzt, sie übersteigen unsere finanziellen Möglichkeiten nicht – wenn diese Wünsche Dinge sind, die man besorgen, kaufen oder herstellen kann.

Schwierig sind solche Wünsche, die vorzugsweise von der älteren Generation, den Eltern, gegenüber ihren Kindern geäußert werden: „Ach, ich habe ja schon alles. Ich wünsche mir gar nichts, nur – und jetzt kommt die schwierige Form des Wunsches- nur, dass du immer brav bist … dass du dich in der Schule mehr anstrengst, dass wir heute einen friedlichen Abend verbringen können …

Normalerweise rufen solche Wünsche beim Gegenüber betretenes Schweigen hervor: Wie soll ich so einen Wunsch denn erfüllen? Soll ich mich in Zukunft verstellen? Soll ich bei allem, was ich tue, zuvor überlegen, ob das jetzt im Sinne des oder der Wünschenden ist? Kann sich dieser Mensch nicht einfach etwas „Richtiges“ wünschen?

Wenn wir ehrlich sind, hat jede und jeder von uns solche immateriellen Wünsche, Hoffnungen und Träume. Nicht nur solche, bei denen wir von anderen erwarten, dass sie sie uns erfüllen, sondern auch solche, bei denen unklar ist, ob und wie sie denn überhaupt erfüllt werden können: Der Wunsch zum Beispiel, der mit steigendem Alter immer wichtiger wird, nämlich der, dass man gesund bleibt. Der Wunsch, dass man so manch schwierige Eigenschaft oder schlechte Angewohnheit überwinden kann, die Hoffnung, dass man über eine schwierige Lebensphase hinwegkommt – über den Verlust eines Menschen, über die Trauer, dass etwas unwiderruflich zu Ende gegangen ist. Die Sehnsucht nach Liebe, Mut oder Geborgenheit.

All diese Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte begleiten uns das ganze Jahr hindurch, mal mehr und mal weniger bewusst, ob wir sie nun zugeben und zulassen können oder ob wir sie verdrängen wollen. Sie sind da, und sie prägen unser Leben.

Nachdem es am Heiligen Abend ratsam ist, frühzeitig in der Kirche zu sein, haben Sie sich ja vielleicht die Zeit damit vertrieben, ein wenig über den Spruch auf der Vorderseite unseres Liedblattes nachzudenken:

Wenn Gott dich fragen würde, was er der Welt dieses Jahr schenken soll, was würdest du ihm raten?

Wenn Gott dich fragen würde, was er der Welt dieses Jahr schenken soll, was würdest du ihm raten?


Fällt Ihnen etwas ein?

Ja, diese Frage ist noch viel schwieriger zu beantworten als die nach dem Geschenk für einen Menschen. Doch ein paar Verbesserungsmöglichkeiten kämen uns da schon in den Sinn: Weltfrieden zum Beispiel oder Klimaschutz, gute Lebensbedingungen für alle Menschen auf dieser Welt, damit sie nicht mehr aus ihrer Heimat fliehen müssen oder das Ende der Amtszeit gewisser Politiker, die andere Länder drangsalieren.

Wenn man diese Frage ernst nimmt, kann man wirklich ins Träumen kommen – so, wie die Kinder vor einem Spielzeugkatalog: Wie schön wäre es, wenn sich das alles erfüllen würde!

Doch die meisten von uns sind erwachsen, und auch Ihr Kinder wisst, dass man sich die Welt und ihre Menschen nicht schön, gut und nett zaubern kann. Ganz abgesehen davon, dass das, was wir in unserer Stadt, in unserem Land, für richtig halten, die Menschen anderswo durchaus anders einschätzen können. Wer zum Beispiel die Menschen in der Ukraine und in Russland nach den Hindernissen für einen Frieden fragt, wird sehr unterschiedliche Antworten bekommen.

Doch je tiefer wir über diese Frage nachdenken, umso deutlicher wird, dass sie sich überhaupt nicht einfach lösen lässt.

Wenn Gott der Welt zum Beispiel Frieden schenkt, wird es nicht so sein, dass er einen großen Behälter „Friedenssoße“ über die Welt schüttet, und alles ist gut. Frieden wird es nur geben, wenn Menschen friedenswillig sind, wenn sie ins Nachdenken kommen, von ihren eigenen Interessen und Machtbestrebungen Abstand nehmen und auch den anderen ihre Rechte zugestehen. Gar nicht so einfach!

Doch Geschenke, die von Gott kommen, sind meistens nicht so einfach anzunehmen. Sie gehören zu der Kategorie, die Arbeit und Mühe machen, die Nachdenken und Übung verlangen, bevor man ihren Wert erkennt. Und die dann unendlich wertvoll für unser Leben sein können.

Und damit sind wir mit einem langen Anlauf bei der Weihnachtsgeschichte angekommen:

Wenn Gott dich fragen würde, was er der Welt dieses Jahr schenken soll, was würdest du ihm raten?

Gott hat sich entschlossen, der Welt ein Kind zu schenken. Eines, das in einem Stall zur Welt kommt und nicht in einem Herrscherpalast. Das die Nöte und Sorgen der Armen und Benachteiligten kennt und nicht nur die der Reichen und Mächtigen. Das als Erwachsener die Welt beeinflussen wird, ohne seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen.

Gott hat sich damals entschlossen, die Welt mit einem Vorbild und guten Worten zu überzeugen – und den Menschen dabei immer noch die Freiheit zu lassen, sich für oder gegen seinen Willen zu entscheiden. Wenn die Engel bei der Geburt Jesu verkünden: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen, die guten Willens sind“, dann ist das schon einmal ein erster Schritt, der die Welt in Richtung Frieden verändern kann. Schon in der Weihnachtsgeschichte gibt es Menschen, die sich von dieser Botschaft beflügeln lassen. Hier sind es die Hirten, die „das Wort ausbreiteten, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.“ Später sind es die Verfasser der biblischen Geschichten des Neuen Testaments, die auf unterschiedlichste Weise davon erzählen, wie dieses Kind unser Verhalten, unsere Weltsicht und damit unsere ganze Welt zum Besseren verändern kann.

Wer einem anderen ein Geschenk macht, kann es nicht erzwingen, dass der andere sich darüber freut. Ja, man kann nicht einmal verlangen, dass der oder die andere Gebrauch davon macht. Wenn man die Geschichte unserer Welt betrachtet, könnte man meinen, dass es Gott mit seinem „Weihnachtsgeschenk“ so ergangen ist; Denn die Welt ist immer noch nicht heil und friedlich, und die Menschen nicht immer gut und rücksichtsvoll. Doch Gott lässt sich davon nicht ermutigen. Er erinnert uns jedes Jahr neu an sein Geschenk. Er bietet uns jedes Jahr wieder die Möglichkeit, uns von Weihnachten verändern zu lassen. Nehmen wir es an und wirken wir dabei mit, unsere Welt und unser Leben ein kleines Stück besser und menschlicher zu machen.

Amen.