Ingolstadt
Über Revision wird noch entschieden

Nach dem Urteil im Fall Lehmann: Stadttöchter prüfen zivilrechtliche Ansprüche gegen den Ex-OB

23.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:08 Uhr
Gefragter Interviewpartner: Staatsanwalt Gerhard Reicherl nach der Urteilsverkündung. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Das Urteil ist gesprochen.

Zu zwei Jahren auf Bewährung wurde der frühere Ingolstädter Oberbürgermeister Alfred Lehmann am Dienstag wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme verurteilt. Plus mehr als 380.000 Euro Vermögenseinziehung, den auf ihn zukommenden Teil der Kosten des Verfahrens und eine Bewährungsauflage über 12.000 Euro. Doch ist die Causa Lehmann damit abgeschlossen? Falls es in die nächste Instanz geht, ginge der Fall vor den Bundesgerichtshof. Dort würde er aber nicht neu aufgerollt, sondern das Urteil lediglich auf Rechtsfehler überprüft. Ob es soweit kommt, ist unklar. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Lehmann und seine Verteidiger haben über eine mögliche Revision noch nicht entschieden.

"Das muss sich alles erst setzen", sagte gestern Jörg Gragert, einer der Anwälte Lehmanns. In den nächsten Tagen wollen sich die Anwälte mit Lehmann zusammensetzen. Es sei "noch keine endgültige Entscheidung getroffen", so Wolfram Herrle, der Leiter der Ingolstädter Staatsanwaltschaft. Auch der im Verfahren gegen den CSU-Politiker ermittelnde Staatsanwalt Gerhard Reicherl verwies auf noch ausstehende Gespräche innerhalb der Strafverfolgungsbehörde. Der Staatsanwalt hatte in seinem Schlussvortrag drei Jahre Haft für Lehmann (Foto) gefordert, die nicht mehr zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können.

Die Große Strafkammer hatte die Causa Lehmann etwas milder bewertet. Im Tatkomplex Hildegard-Knef-Straße, wo Lehmann zusammen mit seinem Vater insgesamt 16 Wohneinheiten sehr vergünstigt gekauft hatte, sah die Kammer zwar eine Absprache zwischen Lehmann und dem Investor, die bei einem gemeinsamen Wochenende im Allgäu erfolgt sein soll. Eine rechtswidrige Diensthandlung konnte sie jedoch "nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen", wie Bösl sagte.

Die Kammer urteilte hier deshalb auf Vorteilsannahme. Bestechlichkeit sieht das Gericht indes in der Sebastianstraße, wo Lehmann in einem Neubau auf dem früheren Krankenhausgelände vergünstigt eine Eigentumswohnung gekauft hat. Dem Bauträger, der das Areal vom Krankenhauszweckverband erworben hatte, sei auf Lehmanns Betreiben hin eine nachträgliche Erhöhung der Geschossfläche ermöglicht worden, ohne den geltend gemachten, angeblichen Rechenfehler überprüfen zu lassen.

Reaktionen von DK-Lesern zum Urteil finden Sie hier.


Die Stadt verbreitete in einer Presseerklärung, sie werde das Urteil nicht kommentieren. Der Stadtrat und die Gremien des Klinikums und der IFG würden in ihren nächsten Sitzungen von den beauftragten Rechtsanwälten über den Ausgang des Prozesses informiert. Stadtverwaltung und Tochtergesellschaften wollen nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung prüfen, ob zivilrechtliche Forderungen gegenüber Lehmann zu erheben seien. Lehmann habe schriftlich erklärt, auf das Führen des Ehrentitels Altoberbürgermeister zu verzichten.

Der Krankenhauszweckverband traf sich gestern zu einer außerordentlichen Sitzung. Der einzige öffentliche Tagesordnungspunkt war nach nur einer Minute beendet. Die SPD hatte zu Qualitätsstandards für die Verpflegung in Krankenhäusern angefragt. Geschäftsführerin Monika Röther lobte den "guten Standard" der Klinikumsküche, die Wert auf regionale und frische Zutaten lege.

Über die Causa Lehmann und mögliche Schadenersatzansprüche beriet das Gremium hinter verschlossenen Türen. Das Klinikum werde, sobald das Urteil schriftlich vorliege, prüfen, ob zivilrechtliche Forderungen erhoben werden, teilte die Pressestelle auf Anfrage mit. Auch, was die zivilrechtlichen Ansprüche gegen die Erben des verstorbenen Geschäftsführers Heribert Fastenmeier anbelangt, ist die Antwort diffus. "Die zivilrechtlichen Ansprüche sind abschließend geprüft und wurden, wenn diese geltend zu machen waren, gerichtlich geltend gemacht. "

Reaktionen zum Lehmann-Urteil gibt es aus der Politik. Während CSU-Fraktionschefin Patricia Klein auf Anfrage betonte, es stehe ihr nicht zu, das Urteil zu kommentieren, es habe aber keine Auswirkungen auf den Kommunalwahlkampf, sehen das die Oppositionsparteien anders. "Die strafrechtliche Verurteilung eines ehemaligen Oberbürgermeisters stellt einen Tiefpunkt in der Ingolstädter Kommunalpolitik dar", schreibt SPD-OB-Kandidat Christian Scharpf in einer Presseerklärung. "Es ist Zeit für einen Neuanfang. " BGI-Kandidat Christian Lange erinnerte sich an Lehmanns Reaktion in einer Stadtratssitzung vom April 2016, in der die BGI beantragt hatte, dass Ingolstadt Mitglied im Verein Tranparency International werden soll. Er war daraufhin von der CSU - und insbesondere von Lehmann - hart angegangen worden. Lange: "Es ist enttäuschend, wenn jemand in einer Debatte die Öffentlichkeit so täuscht. " Der BGI-OB-Kandidat betonte, er sei immer mehr der Meinung, dass mangelnde Transparenz in den Ingolstädter Tochterfirmen Korruption erst möglich mache. Er kämpfe deshalb um möglichst viel Transparenz in den städtischen Unternehmen und Zweckverbänden.

An dem Thema Transparenz arbeiten auch zwei Journalisten des Recherchenetzwerks Correctiv und der Lehrredaktion Pro Recherche. Nach ihrem Bericht "Die Ingolstadt GmbH" ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Geheimnisverrat. Laut Staatsanwalt Gerhard Reicherl habe sich nicht klären lassen, wer Ermittlungsakten an die Reporter weitergegeben habe. Die Sache wurde eingestellt.

Gestern teilte das Pro-Recherche-Team mit, es habe ein Stipendium der Otto-Brenner-Stiftung, eine Wissenschaftsstiftung der IG Metall, erhalten. Für weitere Recherchen zur Frage: Wie kommt es zur Korruption in städtischen Beteiligungen?
 

Ruth Stückle