Wettstetten
Vortragekreuz in Wettstetten erregt Unmut

Unbekannte Person droht auf anonym hinterlassener Nachricht mit "Verschwinden" des Kunstwerks

12.04.2021 | Stand 23.09.2023, 17:56 Uhr
Das Kreuz des Anstoßes: Offenbar nicht jedermanns Geschmack ist diese Darstellung des gekreuzigten Jesus Christus. −Foto: Gülich

Wettstetten - Der Stein des Anstoßes ist rund einen halben Meter groß und auf den ersten Blick unscheinbar.

 

In der großen, goldgeschmückten Kirche Sankt Martin verliert er sich, obwohl er direkt neben dem Altar platziert ist. Schaut man näher hin, erschrickt man fast angesichts der Eindringlichkeit der Darstellung: In blau-violettem Farbton hängt ein skizzenhafter, spindeldürrer, nackter Christus an einem schlichten Kreuz. Sein Gesicht erinnert an einen Totenschädel.

Der Wettstettener Pfarrer Klaus Gruber hat das aus der Kirche Sankt Nikolaus im mittelfränkischen Burgoberbach stammende Kreuz in der Karwoche in seiner Kirche aufgestellt - und an Karfreitag darüber gepredigt. Wohl zum Missfallen zumindest eines Gemeindemitglieds, denn eine gute Woche später hing neben der in der ersten Sitzreihe vom Pfarrer befestigten Erläuterung des Kunstwerks ein Computerausdruck mit den Worten "Sollten Sie dieses Kreuz nicht wieder verschwinden lassen, wird es von selbst verschwinden?". Der Verfasser ist unbekannt.

Mesnerin Anita Medl war am Samstagmorgen gerade auf dem Friedhof unterwegs, als sie von einer Bekannten angesprochen wurde, was das denn für ein Zettel neben dem Kreuz sei. "Da bin ich natürlich gleich in die Kirche. Ich war ganz fertig, als ich das gelesen habe. Wie kann man denn so was machen? Ankündigen, das Kreuz aus der Kirche verschwinden zu lassen, sollte es nicht weggeräumt werden. Das wäre nur eins: nämlich Diebstahl." Sicher sei diese Art von Kunst nicht jedermanns Geschmack und am Anfang habe sie sich auch erschrocken, dass Jesus da nackt hänge und Augen habe wie ein Totenkopf. "Aber wenn man die Predigt des Pfarrers dazu gehört hat, kann man das verstehen", findet die Mesnerin.

 

Das Kreuz stammt von dem in Lenting aufgewachsenen Theologen, Maler und Bildhauer Stefan Weyergraf gen. Streit. "Stefan Weyergraf-Streit hat bei der Kirchenrenovierung in Burgoberbach Ende der 90er-Jahre, als ich dort Pfarrer war, die künstlerische Ausgestaltung übernommen und auch das Vortragekreuz geschaffen. Später wurde es entfernt und auf dem Dachboden der Kirche eingelagert", berichtet Gruber. Von dort habe er es im vergangenen Sommer beschädigt in Obhut nehmen und vom Künstler restaurieren lassen können, um es nun zu Ostern in Wettstetten zu zeigen. "Das Kreuz ist in der Tat eine Provokation. An der Christus-Figur wird deutlich: Der Herr ist wirklich tot, sie betont die Realität des Todes ganz stark. Es ist ja auch eine Provokation, dass wir Christen an einen gemarterten und hingerichteten Menschen glauben, der Gottes Sohn ist", hält der Pfarrer fest. Die blaue Farbe sei zwar in erster Linie dem Kirchengebäude in Burgoberbach geschuldet, aber auch ein Sinnbild für Jesus als Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Wahrscheinlich der größte Anstoß: Die Darstellung zeigt Jesus, wie es bei den Römern üblich war, um Deliquenten nicht nur zu foltern, sondern auch zu erniedrigen und bloßzustellen, nackt. "Einen Lendenschurz hat bei Kreuzigungen niemand getragen", so Gruber. Ob vor allem das dem Verfasser der anonymen Nachricht missfallen haben mag? "Wir wissen es nicht. Es wäre sicher passender, sich persönlich darüber auszutauschen, als einen Zettel an die Kirchenbank zu hängen, der das potenzielle Verschwinden des Kreuzes ankündigt", findet der Geistliche. Kunst werde nie jedem gleichermaßen gefallen und müsse mitunter provozieren, "damit wir unsere alten Trampelpfade auch mal verlassen".

Ursprünglich hatte er geplant, das Kreuz nur für die Ostertage stehen zu lassen. Jetzt will Gruber den Pfarrgemeinderat entscheiden lassen, ob das Kreuz bleibt oder nicht, "denn der Pfarrgemeinderat hat das Recht, die Ausstattung der Kirche festzulgen, auch welche Kunstwerke sich darin befinden. "

Bis die Entscheidung gefallen ist, hat die Pfarrei einen Antwortzettel zur anonymen Nachricht dazugeklebt mit einer Einladung zum Gespräch und den Hinweisen, dass das Kunstwerk Eigentum der Pfarrgemeinde Burgoberbach sei - und die Kirche mit Kameras ausgestattet.

DK

Anne Gülich