Von
Lehmann gibt auf

Alt-OB zieht sich nach wachsendem Druck aus der Politik zurück CSU rügt Angriffe der Opposition

07.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:05 Uhr
Von 2002 bis 2014 war Alfred Lehmann Oberbürgermeister in Ingolstadt. −Foto: DK

Ingolstadt (DK) Alt-OB Alfred Lehmann zieht sich aus der Kommunalpolitik zurück. In einer persönlichen Erklärung hat der CSU-Politiker gestern Nachmittag mitgeteilt, dass er sein Stadtratsmandat niederlegen wird, um "weiteren Schaden" von seiner Familie abzuwenden.

Darin verweist Alfred Lehmann auf anonyme Briefe, "die einen gewissen Verteilerkreis haben und an den Oberbürgermeister gerichtet sind, Halbwahrheiten, Lügen und persönliche Schmähungen über mich und meine Familie verbreitet" hätten. Sowohl das städtische Rechtsreferat als auch zwei extern beauftragte Rechtsanwälte hätten die Schreiben geprüft und seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass es "keinerlei juristischen Handlungsbedarf" gebe. Der Alt-OB erklärt, dass es in den Briefen "nicht um sachliche Information oder Aufklärung unlauterer Verhaltensweisen" gegangen sei, sondern um "ehrabschneiderische Unterstellungen, Beleidigungen, persönliche Angriffe bis hin zum Rufmord". Damit würden "gezielt unwahre Gerüchte gestreut".

Lehmann geht auch auf seine Beratertätigkeit für den Headhunter Labbé ein, die auf massive Kritik bei anderen Fraktionen des Stadtrates gestoßen war, da er gleichzeitig im Aufsichtsrat des Klinikums sitzt. Die Firma Labbé hatte den Auftrag bekommen, einen neuen Ärztlichen Direktor für das Krankenhaus zu suchen. "Meine Beratertätigkeit war öffentlich bekannt", erklärt der Alt-OB dazu, "vielleicht hätte ich in einer konkreten Sitzung nochmals darauf hinweisen sollen. Aber was jetzt auch diesbezüglich an Gerüchten gestreut wird, ist unerträglich."

Er und seine Familie würden unter den geschilderten Vorgängen leiden. "Um weiteren Schaden von uns abzuwenden, habe ich den Herrn Oberbürgermeister gebeten, eine Entscheidung des Stadtrats herbeizuführen, dass ich mein öffentliches Ehrenamt als Stadtrat aus wichtigem Grund niederlegen kann." Abschließend versichert der Politiker, dass er in seinen verschiedenen Funktionen "zu keinem Zeitpunkt gegen die Interessen der Stadt oder eines ihrer Tochterunternehmen" gehandelt habe. "Ich habe stets und mit aller Kraft versucht, für unsere Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger das Beste zu erreichen."

Für die Niederlegung seines Mandates ist formell ein Beschluss des Stadtrates notwendig. Erster Nachrücker auf der CSU-Liste ist Michael Wenzl. Der Mediziner arbeitet am Klinikum als Direktor der Unfallchirurgie und Orthopädie.

"Wir sind geschockt und betroffen", meinte FW-Fraktionsvorsitzender Peter Springl. Lehmann habe seinen Entschluss gestern in der Koalitionsrunde der CSU/FW-Stadtregierung mitgeteilt. Es herrschte daraufhin eine Minute lang Schweigen. "Keiner hat was gesagt." Springl nennt den Entschluss Lehmanns "bedauerlich, weil der Stadt zweifellos kommunalpolitische Erfahrung und Kompetenz fehlen wird", jedoch auch "konsequent, weil er seine Familie und sich aus der Schusslinie nimmt".

Auch die CSU-Fraktionschefin Patricia Klein war von Lehmanns Schritt "völlig überrascht, ich bedauere ihn sehr". Sie könne allerdings verstehen, dass die wiederholten anonymen Briefe mit "absolut unberechtigten Attacken" und auch die "von falschen Behauptungen durchzogene Pressemitteilung der BGI vom Wochenende" den Alt-OB "dazu getrieben" hätten. Klein respektiere dessen Schritt, mit dem Rückzug Schaden von sich und seiner Familie abwenden zu wollen. Ein Schuldeingeständnis, wie Lehmanns Rückzug vielleicht in der öffentlichen Meinung wirken könnte, weist die Fraktionschefin vehement zurück. Lehmanns Erklärung für den Schritt sei "klar und deutlich". Klein sei vielmehr "bestützt darüber, dass so ehrenwerte Menschen durch so ein schändliches Verhalten zu einem derartigen Schritt getrieben werden". Sie erinnerte an Lehmanns Leistung als OB. Er habe maßgeblich dazu beigetragen, dass Ingolstadt zu einer der erfolgreichsten Städte Deutschlands wurde.

"Trotz aller Kämpfe", die sie mit Lehmann im Stadtrat ausgetragen hat, "tut es mir persönlich für ihn leid", sagt Petra Kleine, Fraktionsvorsitzende der Grünen, zu dem Schritt des Alt-OB. Mit Lehmann habe sie stets einen "angenehmen Umgang" gepflegt. Allerdings hätte die Frage, wie der Stadtrat mit solchen Vorwürfen gegen eines seiner Mitglieder umgeht, früher, offen und gemeinschaftlich besprochen werden müssen, findet sie. "Gerne auch in nichtöffentlicher Sitzung." So hätte man sich Rücktrittsforderungen und Ähnliches eventuell erspart. Diese Chance habe Lehmann - aber auch OB Christian Lösel - verstreichen lassen. Zu offenen Gesprächen wäre auch in der Sitzung des Ältestenrates in der nächsten Woche Gelegenheit gewesen. Jetzt steht zu befürchten, dass solche Fragen ungestellt und damit unbeantwortet bleiben. "Ich bedauere, dass es so gelaufen ist", sagt Kleine.

Für SPD-Chef Achim Werner ist die Niederlegung des Stadtratsmandats ein "Akt der Hygiene". Lehmann habe sich nach seiner Zeit als OB für eine Tätigkeit in der Wirtschaft entschieden. "Das ist sein gutes Recht", so Werner. Nicht hinnehmbar sei dagegen die Verknüpfung mit seinen öffentlichen Ämtern. Er habe Lehmann kennengelernt als einen rationalen Menschen. Die Niederlegung des Mandats sei daher weder überraschend noch vorhersehbar gewesen, sondern ein "konsequenter Schritt", der Respekt verdiene.

ÖDP-Fraktionschef Franz Hofmaier fordert weitere Aufklärung: "Wir waren ja in den entsprechenden Gremien im Klinikum nicht drin und sehen das Ganze daher aus einer gewissen Distanz. Aber es gab wohl Interessenkonflikte. Mit der Niederlegung des Mandats ist das Thema noch nicht erledigt. Wir werden im Stadtrat darüber sprechen müssen, wo ja das Thema Compliance ansteht."

Der BGI-Fraktionssprecher Christian Lange wertet den Rückzug Lehmanns als "logische Konsequenz" aus seinem Fehlverhalten in Sachen Labbé. "Im Moment der Beauftragung eines Personalvermittlungsunternehmens, bei dem er selbst assoziierter Senior Advisor ist, wäre er verpflichtet gewesen, den gesamten Aufsichtsrat über diese Tätigkeit zu informieren." Bei der Klausurtagung der BGI am Wochenende habe seine Fraktion "den klaren Auftrag bekommen, dafür zu sorgen, dass das Verhalten Lehmanns diesbezüglich politische Konsequenzen" habe. Lehmann habe durch das Verschweigen seiner Doppeltätigkeit "eine rote Linie überschritten, die ein ehrlicher und verantwortlicher Politiker nicht überschreiten darf." Die Fraktion hatte gestern einen Antrag auf Abberufung Lehmanns aus allen Aufsichtsgremien vorbereitet, der mit den Oppositionsfraktionen hätte abgestimmt werden sollen. "Dies hat sich nun ja erledigt", so Lange.

Bei ihrer Klausurtagung hatte die BGI auch den Umgang von OB Lösel mit der gesamten Klinikumsaffäre hart kritisiert. Darunter leide das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltungsspitze. Die CSU rügte diese Angriffe als "falsch und diffamierend". Diese Form des Umgangs miteinander sei "nicht das, was wir unter Wertschätzung oder Respekt verstehen".