Ingolstadt
Vom Adel der Bäume

Harald Textor, Chef der Wittelsbacher Forstverwaltung in Ingolstadt, geht nach 22 Jahren in Ruhestand

20.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:38 Uhr
Mein Freund, der Baum: Harald Textor bei seinem liebsten Schützling, eine mächtige Douglasie in einem Waldstück bei Münchsmünster. Über 22 Jahre hinweg hat der promovierte Forstfachmann verantwortlich für den Wittelsbacher Ausgleichsfonds gearbeitet. Jetzt kommt der Ruhestand. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Im Vereinigten Königreich wäre jemand wie Harald Textor, der über Jahrzehnte verdienstvoll für höchste Adelshäuser tätig war, wohl von der Queen zum Ritter geschlagen worden, und man müsste ihn korrekterweise mit Sir Harald ansprechen.

Aber im ehemaligen Königreich Bayern geht es doch etwas bescheidener zu.

Obwohl: Dass der Forstmann von seinem Dienstsitz an der Östlichen Ringstraße keine Stelle wie jede andere geleitet hat, ist beim Gespräch mit ihm in dem Traditionshaus durchaus zu spüren. Nach 22 Jahren als Chef der Forstdirektion des Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) geht Textor, Jahrgang 1952, jetzt in den Ruhestand.

Für den gebürtigen Freiburger, der auch Mitglied der WAF-Geschäftsführung ist, zählt die Stelle zu den "schönsten in ganz Deutschland". Denn sie umfasst nicht nur die Zuständigkeit für den Auwald zwischen Ingolstadt und Neuburg, sondern auch Wälder bei Straubing, Pfaffenhofen, Donauwörth, bis hin zu den Alpen bei Hohenschwangau, insgesamt etwa 12000 Hektar. Nicht zu vergessen der Köschinger Forst, das bevorzugte Jagdgebiet der Wittelsbacher. Der 1923 gegründete WAF als Stiftung des öffentlichen Rechts versorgt mit seinen Vermögenserträgen die Mitglieder des Hauses Wittelsbach.

Textor weiß aus langer Erfahrung, dass der Wald zwar nicht gerade die Investition mit der höchsten Rendite ist, dafür aber mit einem sehr geringen Risiko. "Die Lehmann-Pleite vor zehn Jahren war für uns kein Thema. " Der Forstmann ist sogar überzeugt: "Wir sind die ökologischste aller Wirtschaftsarten. " Und was den Auwald als möglichen Nationalpark betrifft, meint er nur, dass "noch nicht ernsthaft mit uns diskutiert" worden sei. "Wir sind jederzeit gesprächsbereit. " Die Gespräche wird dann wohl sein Nachfolger führen, der demnächst antritt.

Der Anspruch, zu den Besten zu gehören, begleitet Textor schon seit dem Abitur in Freiburg. Keine Frage, dass er an der dortigen Universität ("das Oxford der Forstwissenschaften") auch studierte, als Jahrgangsbester abschloss und promovierte. Die Offiziersausbildung beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr und die später regelmäßig folgenden Reserveübungen führten in zuletzt als Oberstleutnant bis in den Generalstab des Eurocorps Strasbourg. "Beim Militär galt ich immer als aufgeklärter und zivilisierter Mensch, im Beruf kam dann manchmal das Militärische durch. " Berufsoffizier sei jedenfalls nie sein Ziel gewesen, erzählt Textor, der 1981 zum ersten Mal in die Dienste eines Adelsgeschlechts trat.

Das Fürstenhaus zu Leiningen in Amorbach mit ausgedehntem Waldbesitz war bis 1994 sein Arbeitgeber. In diese Zeit fiel der verheerende Sturm Wiebke 1989. "Der hat uns 500000 Festmeter in den Odenwald geworfen", erinnert sich der verantwortliche Leiter, "da hat man Tag und Nacht gearbeitet. " Und: Mit dem massiven Einsatz von Harvestoren sei ein "Rationalisierungsschub gekommen, den wir uns nie vorgestellt hatten". Später bei den Wittelsbachern der gleiche Effekt, so Textor: Die maschinellen Vollernter würden 10 bis 20 Mal so viel wie ein Waldarbeiter leisten, folglich sei die Zahl der Beschäftigten seiner Forstdirektion von früher etwa 500 auf nur noch knapp 45 gesunken.

In das WAF-Forsthaus nach Ingolstadt samt Dienstwohnung im Obergeschoss wechselte Textor mit seiner Familie 1996. Zwei Jahre später musste er erfahren, dass der größte Berufserfolg plötzlich ganz unwichtig werden kann. Im Unglücks-ICE von Eschede, in dem am 3. Juni 1998 insgesamt 101 Menschen zu Tode kamen, saßen auch seine Frau und seine achtjährige Tochter. Bis zum Nachmittag des Katastrophentages wussten Textor und seine beiden Söhne nichts Genaues.

Dann der Anruf der Polizei: "Ich habe eine schlimme Nachricht für Sie! " Sind sie tot? "Nein, sie liegen verletzt im Krankenhaus. " Der Familienvater erinnert sich noch ganz genau an die gedrückte Stimmung, als die Angehörigen der ICE-Passagiere in einer großen Halle die aufgereihten Habseligkeiten ihrer Lieben suchten, viele weinend und in Schwarz, weil sie Opfer zu beklagen hatten. "Wir haben den Teddybär und ein Köfferchen unserer Tochter gefunden", schildert der Familienvater die "unglaubliche Atmosphäre" in dieser Trauerhalle der Hinterbliebenen. Die Textors hatten Glück im Unglück. Mutter und Tochter überlebten ohne größere körperliche Schäden. Das Mädchen musste einige Zeit psychologisch behandelt werden, sagt ihr Vater, die Ehefrau sei schreckhafter geworden.

Inzwischen sind die drei Kinder erwachsen. Der Chef der WAF-Forsten will nach dem Auszug aus dem Dienstgebäude nicht zurückkehren in die alte Heimat Freiburg, sondern in Ingolstadt bleiben. "Wir haben ein Haus in Haunwöhr gekauft - mit Blick vom Balkon auf meinen geliebten Auwald. " Er dürfe dort auch in Zukunft zur Jagd gehen, freut sich der Ruheständler in spe, der sich als Rotarier engagiert und Lehrbeauftragter an den Fachhochschulen Weihenstephan und Erfurt ist.

Als Bayer mit badischem Migrationshintergrund schließt Harald Textor seinen stichpunktartigen Lebenslauf mit dem Motto: "German by birth, Royal Bavarian by the grace of God. "