Pförring
"Verstehen, wer wir sind"

Was die Funde aus dem Pförringer Kammergrab mit der Himmelsscheibe von Nebra zu tun haben

08.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:17 Uhr
Eines der bekanntesten Exponate in der Ausstellung "Bewegte Zeiten - Archäologie in Deutschland" ist die Himmelsscheibe von Nebra. In ihrer archäologischen Bedeutung stehen aber andere Funde wie jene aus dem Pförringer Kammergrab dieser in nichts nach, meint Susanne Kuprella, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ausstellungsbüro. So finden sich zwischen all den ausgestellten Stücken im Gropiusbau in Berlin unter anderm die Lammfiguren aus vergoldetem Silber. −Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte/David von Becker; privat

Pförring/Berlin (DK) Noch bis zum 6. Januar 2019 zeigen das Museum für Vor- und Frühgeschichte und der Verband der Landesarchäologen im Gropiusbau in Berlin anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres 2018 die Ausstellung "Bewegte Zeiten - Archäologie in Deutschland".

Unter den Exponaten finden sich auch einige aus dem Pförringer Kammergrab (DK berichtete). Susanne Kuprella, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ausstellungsbüros, erklärt, warum diese eine ähnlich große Bedeutung für die Archäologie wie so bekannte Funde wie die Himmelsscheibe von Nebra oder die Venus vom Hohle Fels haben.

In der Ausstellung "Bewegte Zeiten - Archäologie in Deutschland" geht es um die spektakulärsten archäologischen Funde der vergangenen zwei Jahrzehnte von der Steinzeit bis ins 20. Jahrhundert. Was heißt es für Archäologen, dass auch heute noch bedeutende Entdeckungen gemacht werden?

Susanne Kuprella: Das zeigt vor allem, dass wir noch längst nicht alles über unsere Geschichte und vor allem die Vorgeschichte wissen. Es ist auch nicht überraschend, dass in den letzten Jahren so spektakuläre Entdeckungen gemacht wurden. Auf der einen Seite wurde, verglichen mit dem letzten Jahrhundert, durch die Verdichtung der Infrastruktur irrsinnig viel gebaut und Boden abgetragen. Ein Großteil der Funde kommt aus baubegleitenden Maßnahmen, wie der römische Hafen beim Bau der Kölner U-Bahn, der bronzezeitliche Goldhort von Gessel in Niedersachen beim Bau der Nordeuropäischen Erdgasleitung oder der Tagebau in Sachsen, der unglaublich viele neolithische Brunnen samt organischer Funde hervorbrachte.

Unter den weit über 1000 Exponaten sind auch welche aus dem Pförringer Kammergrab. Frech gefragt: Wussten Sie vorher überhaupt, wo Pförring liegt?

Kuprella: Für meine Kollegen kann ich das nicht sagen, aber ich selber hab' es nicht gewusst.

Welche Stücke von dort sind denn genau in Berlin zu sehen?

Kuprella: Wir zeigen die vollständige Ausstattung aus dem Grab: Glas- und Keramikgefäße, Schmuck und natürlich die Goldapplikationen, von denen die kleinen Lämmer besonders interessant sind.

Wieso haben Sie ausgerechnet diese neben so berühmten Entdeckungen wie die Himmelsscheibe von Nebra oder die Venus vom Hohle Fels ausgewählt?

Kuprella: Die Ausstellung ist ja eine gemeinsam mit dem Verband der Landesarchäologen geplante Ausstellung, die die Funde der deutschen Bodendenkmalpflege zeigt. Insofern haben alle Landesarchäologen und Landesarchäologinnen auch Vorschläge von Objekten aus aktuellen Ausgrabungen gemacht, die in großen Teilen umgesetzt wurden. Natürlich sind die Himmelsscheibe und die Venus vom Hohle Fels etwas Besonderes. In ihrer archäologischen Bedeutung stehen aber andere Funde der Ausstellung überhaupt nicht zurück, auch wenn sie nicht so bekannt oder manchmal sogar ganz unscheinbar sind. Letzteres sind die Funde aus Pförring allerdings überhaupt nicht, im Gegenteil.

Die Ausstellung ist in die vier Kategorien Mobilität, Konflikt, Austausch und Innovation unterteilt. Worunter fallen die Pförringer Funde und warum?

Kuprella: Die Pförringer Funde zeigen wir unter dem Aspekt "Austausch". Im Bereich "Warenaustausch" präsentieren wir einerseits all die Güter, die durch die Jahrtausende europaweit verhandelt wurden. Jadeitbeile im Neolithikum, Almandine im frühen Mittelalter, neuzeitliches Glas und Porzellan. Andererseits zeigen wir die Teilhaber dieses Austausches, sei es durch Handel oder auf der Ebene kostbarer Geschenke. Und diese zeigen sich vornehmlich in reich ausgestatteten Gräbern, zu denen zum Beispiel die sogenannte Keltenfürstin aus Baden-Württemberg oder der thüringische Herr von Boilstädt aus dem 5. Jahrhundert nach Christus gehören. Sie erzählen auf ganz individuelle Weise von überregionalem, europäischem Austausch, Globalisierung und Handel und Vernetzung lange vor heute. Und in diesen Bereich gehört auch das Grab von Pförring.

Welches kulturelle Erbe lässt sich aus diesem ableiten?

Kuprella: Das kulturelle Erbe ist ja die Gesamtheit aller Kulturgüter, insofern lässt es sich nicht aus einem Fund ableiten. Wir heute stehen an einem bestimmten Punkt innerhalb einer Entwicklung, die sich anhand einzelner Funde nachvollziehen lässt. Aber nur, wenn man die Funde gemeinsam betrachtet, ergibt sich ein Bild. Mobilität, Austausch, Ideentransfer, das alles hängt miteinander zusammen, keines geht ohne das andere. Die Archäologie bringt stetig neue Funde zutage, und alte Funde können mithilfe neuer Methoden besser und genauer analysiert werden. Und jeder Fund trägt dazu bei zu verstehen, wer wir sind.

Ziel der Ausstellung ist es unter anderem, einen Bezug zur heutigen Zeit herzustellen. Was bedeuten denn die tierförmigen Plättchen, die Perlen oder die anderen Funde aus dem Kammergrab für uns heute?

Kuprella: Besonders auffallend sind an dem Grab aus Pförring die goldenen Lämmer. Sie lassen sich als Zeichen frühen Christentums deuten. Mit der offiziellen Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin und der Herausbildung als Staatsreligion unter Theodosius I. und Valentinian II. im 4. Jahrhundert nach Christus hat sich dieser Glauben in großen Teilen Europas nach und nach durchgesetzt und den Alltag maßgeblich geprägt. Möglicherweise ist der Kleiderbesatz aus dem Pförringer Grab als frühes Bekenntnis zum Christentum zu verstehen.

Warum ist das Grab Teil eines europäischen Netzwerks, wie es in der Ausstellungsbeschreibung heißt? 

Kuprella: Ohne eine gemeinsame Wertvorstellung ist überregionaler Handel und Austausch nur schwer denkbar. Die reich ausgestatteten Gräber mit oft hochwertigen "fremden" Ausstattungsobjekten zeigen eindeutig, dass es eine solche gemeinsame Wertvorstellung schon sehr früh gegeben hat, und zwar unabhängig von Kulturgrenzen. Das beginnt schon im Neolithikum, wo fein geschliffene Jadeitbeile im gesamten westeuropäischen Raum als Prestigegut anerkannt waren. Dabei gilt: Je größer die Distanz zum Ursprungsort, desto seltener und wertvoller waren die Objekte. Um sich diese leisten zu können, ist ein hoher Rang innerhalb der Gemeinschaft nötig, der sich in sogenannten Fürstengräbern seit der Bronzezeit zeigt. Diese Elite war durch Politik und Handel untereinander vernetzt, das war damals nicht anders als heute.

Das Interview führte Tanja Stephan.