Ingolstadt
"Koalition der Willigen": Der lange, mühsame Weg zum Verkehrsverbund

31.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:46 Uhr
Die entscheidende Abstimmung: Am 22. November 2017 beschlossen die Vertreter des Zweckverbands Verkehrsgemeinschaft Region Ingolstadt (VGI) den Tarifzonenplan für den ÖPNV. −Foto: Silvester /Archiv

Ingolstadt (sic) Es begann mit einem Schnellbus.

Schöne Symbolik. Aber dann dauerte es doch eine Weile, bis das Ziel erreicht war: mehr als zehn Jahre. Dazu kam noch eine recht lange Vorgeschichte: elf Jahre. Kurz gesagt: Die Sache zog sich.

Januar 2008: Die INVG trifft mit den Jägle Verkehrsbetrieben in Eichstätt eine Vereinbarung über eine Schnellverbindung zwischen beiden Universitätsstandorten. Im Stundentakt soll ein Bus fahren. "Vielleicht ein erster Schritt hin zu einem Regionaltarif für den Öffentlichen Personennahverkehr", merkt der DK hoffnungsvoll an. Aber bis jetzt sind es erst zwei mobile Partner, die einander gefunden haben. Für einen Tarifverbund, der die Stadt Ingolstadt und ihre drei Nachbarlandkreise flächendeckend zusammenführen soll, sind ein paar Busunternehmen mehr zu integrieren: rund 20. Plus drei Bahngesellschaften: DB Regio, agilis und die Bayerische Regiobahn. So was dauert.

2010: Es geht zäh voran. Sehr zäh. INVG-Aufsichtsratschef Alfred Lehmann berichtet - wie der DK bemerkt - mit gequältem Blick von den mühsamen Verhandlungen: "85 Prozent der Strecke haben wir schon. Entweder wir machen den Sack jetzt zu oder nicht. Wenn es jetzt nicht klappt, dann scheitert es für lange Zeit. " Ideal wäre es, so der Oberbürgermeister, den Regionaltarif zum Fahrplanwechsel 2012 einzuführen. Doch INVG-Chef Robert Frank dämpft den Optimismus sofort: "Ich hoffe, dass wir 2011 Konkreteres vorlegen können. " Einen Starttermin für den Tarifverbund meint er damit nicht.

März 2011: Lehmann berichtet (nun auch gedämpfter) über den neuesten Stand bei der Anbahnung der Gemeinschaft: Die Sache sei "wirklich extrem kompliziert". Stadträtin Petra Kleine artikuliert ihr Mitgefühl mit gepflegtem Sarkasmus: "Da wünscht man sich den Staatsmonopolkapitalismus! " Vielleicht träumt so mancher ermatteter Verfahrensbeteiligter auf dem hindernisreichen Weg zum Verbund wirklich von radikalerer Verkehrspolitik.

Es wird tapfer weiterverhandelt. Busunternehmen für Busunternehmen. Gebietskörperschaft für Gebietskörperschaft. Bei über zwei Dutzend Beteiligten dauert es etwas länger, sich auf den Zuschnitt der Tarifzonen, die Höhe der Fahrpreise, die Finanzierung der neuen Tickettechnik und weitere komplexe Regelungen zu einigen. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit dem Defizitausgleich. Alles nicht so einfach.

Herbst 2012: Eine erfreuliche Nachricht: "Beim Regionaltarif hat man seit der Gebietsreform schon beträchtliche Fortschritte erzielt! ", meldet der DK, allerdings in der Rubrik "Stadtgeflüster". Die Gebietsreform wurde 1972 vollzogen; ihre Schöpfungsgeschichte war kürzer als die Genese des Gemeinschaftstarifs in der Region 10.

Kurz vor Weihnachten 2011: Der Neuburger Landrat Roland Weigert bemerkt (vermutlich schon in Festlaune): Er sei zuversichtlich, dass der Verkehrsverbund 2012 kommen werde; einen konkreten Termin nennt er aber nicht. "Die Misserfolgsgeschichte des regionalen Gemeinschaftstarifs macht selbst den gutmütigsten Beobachter fassungslos! ", stellt der DK fest, jetzt aber nicht mehr im "Stadtgeflüster", sondern im Ernst. Der Kommentator erinnert daran, dass der Anstoß für den Regionaltarif auf das Jahr 1997 zurückgeht. Nun, Ende 2011, haben die angehenden Partner immerhin schon einen Zweckverband zustandegebracht. So rasant geht es weiter.

2012: Alfred Lehmann - jetzt richtig genervt - erschreckt die Verhandlungsrunde mit kriegerischer Rhetorik: Er warte nicht ewig, bis auch der letzte Busunternehmer vielleicht doch mal irgendwann bündnisbereit sei. "Notfalls wird es eine Koalition der Willigen geben! ", droht er. So nennt man die von den USA geführte Militärallianz, die 2003 den Irak eroberte. Was dem Oberkommandierenden im Ingolstädter Rathaus wohl noch so alles durch den Kopf geht, wenn er über den ÖPNV in seinem Wirkungskreis sinniert?

Juli 2013: Langsam nimmt das Projekt Fahrt auf. Lehmann sieht "sehr positive Signale von den Bahnunternehmen" (passendes Bild). Er findet: "Irgendwann muss man springen! " (weniger passendes Bild).

April 2014: Buxheim sagt ja zum Regionaltarif. Alle Gemeinderatsmitglieder stimmen dafür. Eine Hürde weniger.

Juni 2014: Hinter den verschlossenen Türen des INVG-Aufsichtsrats wird "Geschichte geschrieben", erfährt der DK. Die "Koalition der Willigen" sei beschlossen. Am 14. Dezember trete der Bündnisfall in Kraft. 80 Prozent des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Region seien damit abgedeckt, heißt es. Denn willig sind bisher nur die INVG und die drei Bahnbetreiber; in der als "historisch" deklarierten Tarifgemeinschaft ist über die INVG hinaus kein weiteres Busunternehmen dabei. Gut: Die INVG ist schon ein Verkehrsverbund. Aber das bereits seit 1988. Ein Fortschritt, sagen Kritiker, sehe anders aus.

14. Dezember 2014: Mit einem Festakt am Hauptbahnhof wird der Start der Schmalspurversion des Regionaltarifs zelebriert. Die Wortwahl ("Durchbruch zu neuer Mobilität in der Region") weist kühn in die Zukunft. Fritz Kroll, Stadtdirektor a. D. (2018 verstorben), flicht am Rande dezent ein, dass er einst den ersten (gescheiterten) Versuch unternommen habe, einen Tarifverbund einzuführen: 1972. Zwei Jahre vor Christian Lösels Geburt. Mit Krolls Anekdote gewinnt jener 14. Dezember 2014 eine noch größere historische Dimension.

Ein echter Renner ist der Verbundtarif indes nicht. Kunden, die aus der Tiefe des Raums mit Bahn und Bus Kurs auf Ingolstadt nehmen, berichten von regionalem Auskunftswirrwarr.

Frühjahr 2017: Die Kreistage von Pfaffenhofen, Neuburg-Schrobenhausen und Eichstätt segnen den Einheitstarif für die gesamte Region ab. Läuft!

Juli 2017: Der Zweckverband gibt bekannt, dass der Start am 1. September 2017 nicht zu schaffen ist. Ein Grund: Die Umrüstung der Fahrkartenautomaten gestaltet sich weitaus komplizierter als gedacht. Damit steigen auch die Kosten. Grummeln unter den Partnern.

22. November 2017: Finale Abstimmung im Konferenzraum der INVG. Die Vertreter des Zweckverbands beschließen den gemeinsamen Tarifzonenplan. Der neue Starttermin steht fest: 1. September 2018.

1. September 2018: Na gut. Dann schauen wir mal.