Ingolstadt
Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung

Leidvolle Geschichte der jüdischen Ingolstädter - Neuer Vorstoß zur Stärkung der Erinnerungskultur in der Stadt

11.10.2019 | Stand 23.09.2023, 8:56 Uhr
Die Geschichte der Ingolstädter Juden hat der Historiker Theodor Straub (Mitte) umfassend erforscht. Der Kulturpreisträger der Stadt hat wiederholt Führungen auf dem jüdischen Friedhof und im dortigen Taharahaus (Gebäude für rituelle Waschungen) angeboten. −Foto: DK-Archiv

Ingolstadt (DK) Zwei Tote hat der offenbar rechtsextreme und antisemitische Anschlag in Halle gefordert, der auch in der Region nur Abscheu und Entsetzen hervorgerufen hat.

In mehreren deutschen Städten versammelten sich die Menschen in Kirchen und vor den Synagogen, um der Opfer zu gedenken. 13 jüdische Gemeinden gibt es heute in Bayern, in Ingolstadt aber seit 1952 keine mehr. An sie erinnert nur noch wenig: Rückblick und Spurensuche.

Bereits zur Stadtgründung im Jahre 1250 finden sich Belege über jüdische Einwohner. Etwa zehn jüdische Familien bekamen ihre ersten Schutzbriefe. Ihre Synagoge stand am heutigen Viktualienmarkt und beherbergte zugleich eine Schule und Gerichtsstube. Über eine eigene Begräbnisstätte verfügte diese Gemeinschaft nicht. Ihre Toten wurden vermutlich in Regensburg begraben.

Das meist friedliche Zusammenleben endete 1349 mit den Pestpogromen. Eine erneute jüdische Ansiedlung hatte nur wenige Jahrzehnte Bestand, nachdem wieder eine Verfolgungswelle Ingolstadt erreicht hatte. Herzogs Stefan III. ließ das Judenviertel im Jahre 1384 räumen, seine Bewohner enteignen und vertreiben. An der Stelle der abgerissenen Synagoge stiftete der Herzog eine Marienkapelle (später stand dort die 1945 zerbombte Augustinerkirche). 1413 haben sich erneut Juden in Ingolstadt angesiedelt, die sich durch Schutzgeldzahlung an den Herzog ein Wohnrecht erkauften. Doch 1450 vertrieb Herzog Ludwig der Reiche wegen angeblichen "Wuchers" die Juden zum dritten Mal aus Bayern - diesmal für ganze 350 Jahre.

In Ingolstadt hielten sich in der Folgezeit nur getaufte Juden und ihre Nachkommen auf. Erst das Judenedikt von 1813 gewährte ihnen in Bayern eine Reihe religiöser, gesellschaftlicher und ökonomischer Freiheiten. Ingolstadt duldete zumindest ab 1805/1807 wieder die Teilnahme von jüdischen Händlern an den regelmäßig stattfindenden Jahrmärkten. Wegen der zentralen Lage kamen die Händler bis aus Polen, und selbst reisende jüdische Optiker und Zahnärzte boten tageweise ihre Dienste an. Daher besaßen einzelne jüdische Familien schon lange vor dem offiziellen Niederlassungsrecht im Jahr 1861 ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und gingen von Ingolstadt aus ihren Geschäften nach. Ab 1871 waren die Juden offiziell gleichberechtigt und weitgehend in die städtische Gesellschaft integriert. Sie eröffneten Geschäfte, wurden in städtische Vereine und Organisationen aufgenommen und nahmen am gesellschaftlichen Leben teil. 1884 gründeten 15 Familien einen Synagogenverein. 1907 wurde das Hinterhaus der Theresienstraße 23 (Stegmeierhaus) zu einer Synagoge mit Frauenempore umgebaut, die einen 1876 eingerichteten Gottesdienstraum ablöste, den der Bankier Adolph Schülein in seinem Hause an der Milchstraße zur Verfügung gestellt hatte. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten ein Religionslehrer und seit 1891 auch ein eigener Friedhof am Westfriedhof mit Taharahaus (für rituelle Waschungen).

Jedoch wurden etwa ab 1880 auch in Ingolstadt erste antijüdische Strömungen spürbar. Die Gründung der NSDAP-Ortsgruppe im Dezember 1922 stärkte die Ingolstädter Antisemiten, die nun ganz offen Stimmung machten gegen das "Weltjudentum". Mit der NS-Provinz-Tageszeitung Donaubote, der ersten regionalen Tageszeitung der NSDAP überhaupt, nahm die tägliche Hetze ab 1927 zu. Gründer war der Sanitätsrat Ludwig Liebl, erster Vorsitzender des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebunds. Nach der sogenannten Machtübernahme begann auch in Ingolstadt der staatlich gelenkte Terror gegen die rund 100 in der Stadt lebenden Juden. 1935 veröffentlichte der Donaubote Boykottaufrufe gegen jüdische Geschäfte und veröffentlichte die Namen der Käufer.

Bereits 1933 verhafteten die Nazis einzelne jüdische Männer aus Ingolstadt und lieferten sie in Konzentrationslager ein. Bis November 1938 waren ein Großteil der jüdischen Geschäfte arisiert und etwa zwei Drittel der jüdischen Bewohner Ingolstadts geflohen. Die meisten konnten nach Übersee emigrieren. Während des Novemberpogroms 1938 zerstörten SA-Leute das Inventar des Betsaales mitsamt den Kultgegenständen. Die noch etwa 40 in der Stadt lebenden Juden wurden ultimativ aufgefordert, innerhalb kürzester Frist Ingolstadt zu verlassen. Ihre bisherigen Wohnungen wurden noch am gleichen Tage leergeräumt und beschlagnahmt, das Inventar in ein Speditionslager am Nordbahnhof geschafft. Anfang des Jahres 1939 sollen in Ingolstadt keine Juden mehr gemeldet gewesen sein. Die innerhalb Deutschlands verzogenen Ingolstädter Juden erlitten ein schreckliches Schicksal. Sie wurden 1941/1942 zumeist deportiert und ermordet. Mehr als 80 Ingolstädter Juden fielen insgesamt der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer.

Ab 1945 existierte in Ingolstadt kurzzeitig wieder eine jüdische Kultusgemeinde, die sich aus jüdischen Displaced Persons zusammensetzte. 1946 richteten sie den ehemaligen Betsaal wieder her. Weil jedoch die meisten nach Palästina bzw. Israel ausgewandert waren, konnten wegen zu wenig Gläubigen keine Gottesdienste mehr gefeiert werden. Seit 1952 wird das Gebäude als Lagerraum oder Büro genutzt.

Bernhard Pehl