Und die Discokugel dreht sich weiter

Drei Ingolstädter aus drei Generationen über den Wandel der Wirtshauskultur und den zeitlosen Reiz des Ausgehens

28.06.2013 | Stand 02.12.2020, 23:58 Uhr
Das Amadeus gibt es seit 24 Jahren. Hier trafen sich Anna Fricker, ihr Opa Fritz Riedl und Martin Tomiak, der Chef. −Foto: Silvester

Heute sei er „nicht mehr so der Fortgeher“, sagt Fritz Riedl, schließlich wird er nächstes Jahr 90. Früher hat der Sohn eines Wirtsehepaars bestimmt in jedem Gasthaus des alten Ingolstadt „schon mal a Kracherl getrunken“. Riedls Enkelin Anna Fricker (19) hat heuer Abitur gemacht und geht sehr gern aus. Ein erfahrener Kenner der Szene ist Martin Tomiak, der seit 1989 Am Stein die Disco Amadeus betreibt. Im Gespräch mit Christian Silvester schildern die drei, wie sich die gastronomischen Vorlieben der Ingolstädter von Generation zu Generation verändert haben – und sie berichten vom zeitlosen Reiz des gepflegten Ausgehens.

Wir sind hier im Amadeus, dem einstigen Koboldkeller. Haben Sie da auch schon ein Kracherl getrunken, Herr Riedl?

Fritz Riedl: Beim Kobold? Natürlich. Und Schafkopf gespielt. Aber alles erst nach dem Krieg. Denn die Jugendzeit ist bei mir im Krieg verloren gegangen. Mit Anfang 20 ging’s dann los. Ich habe zu der Zeit im Prinzip jede Wirtschaft gekannt. Man hat überall mal auf eine Halbe reingeschaut. Es war aber nicht die Zeit, sehr viel fortzugehen, weil wir kein Geld hatten. Für junge Leute war das Fortgehen auch nicht so angesagt wie heute, wo sie ja Tag und Nacht rennen.

Ihre Eltern hatten erst die MTV-Gaststätte, dann den Deutschen Kaiser am Pulverl und danach den Schwabenbräu. Wo ist es am meisten zugegangen?

Riedl: Ich kann mich am besten an den Schwabenbräu erinnern, von dort aus bin ich zur Schule gegangen. Das war eine solide Wirtschaft, meine Mutter war eine hervorragende Köchin! Wir hatten viel Soldatenbesuch. Jeder Truppenteil hatte damals sein Gasthaus, die Pioniere gingen zum Beispiel nicht zu den Infanteristen – und umgekehrt.

Wenn Sie Ihren Opa so erzählen hören, welchen Eindruck gewinnen Sie von früher?

Anna Fricker: Es war halt eine sehr schwierige Zeit. Da ist man zwar auch weggegangen, konnte es sich aber nicht so gut leisten wie heute. Viel ist natürlich ganz anders geworden, etwa das mit dem Kartenspielen. Heute geht man ja nicht ins Suxul, um da Watten zu spielen.

Herr Tomiak, was hat sich in den vergangenen 30 Jahren beim Ausgehen besonders gewandelt?

Martin Tomiak: An sich wandelt sich nichts. Sicher sahen die Discos in den 70ern noch anders aus. Damals war es mehr mit Moderation und der Musik der Zeit, also meist Schlager und Rock’n’Roll. In den 80ern kamen die ersten Funk- und Soul-Geschichten. Heute wird rein Musik gespielt. Dann kamen die ganz großen Clubs dazu, wo es fast nur noch ums Tanzen geht.

Wann stand für Sie fest: Die Welt der Diskotheken ist meine Welt?
Tomiak: Musik war schon immer meine Welt. Ursprünglich wollten wir gar keine Disco aufmachen, sondern eher eine Bar. Wir sind hier 1989 eines Abends rein, weil wir die Musik gehört haben, aber es war niemand da. Der Pachtvertrag ist ausgelaufen, und ein halbes Jahr später hatten wir den Laden. Es wollte ihn sonst auch keiner. Denn die Diskothekenszene in Ingolstadt war Ende der 80er ein bisschen am Aussterben. Viele haben zugemacht. Es gab das Highway noch und diese Containerdisco an der Donau, die war mehr so schickimickimäßig und wurde dann das „Z“. Die ging aber auch schnell wieder pleite. Es ist sehr viel auf- und zugemacht worden. 1993/94 gab’s nur noch das Amadeus und die Hochalm.

Was muss ein Wirt beachten, um so lange angesagt zu bleiben?

Tomiak: Schwer zu sagen. Ich mache es so, wie ich es mache. Jeder, der bei uns reingeht, weiß, was er bekommt. Die Welt der Techno- und Mainstream-Geschichten ist schnelllebiger, die Leute gehen nicht immer in denselben Laden. Rockfans gehen ins Amadeus, weil sie woanders keine Rockmusik hören können, daher haben wir viele Stammgäste. Bei den anderen kommt es drauf an, welcher DJ auflegt. Das ist in Ingolstadt extrem.

Wo gehen Sie am liebsten hin?

Fricker: Das ist schwer zu sagen, denn es ist wirklich so, wie Herr Tomiak sagt: Es kommt auf den DJ an. Oft ist es in einem Club total öde, weil alle doch in den anderen gegangen sind. Also wechselt man wieder und ist den ganzen Abend mit Rennen beschäftigt. Ich gehe am liebsten ins Maki und ins Suxul. Da kommt es wieder drauf an, was gerade für eine Mottoparty ist.

Wie sah es in der Ära Adenauer mit Frauen aus? Waren die auch viel in Lokalen unterwegs?

Fricker: Meine Oma schon!

Riedl: Ich habe ja 1950 schon geheiratet. Aber davor ist man freilich fortgegangen und hat geschaut, und die Mädchen haben auch geschaut. Damals gab es noch viele große Faschingsbälle. Doch an so ein Remmidemmi, wie es heute herrscht, kann ich mich nicht erinnern. Wir waren solid!

Wie geht Ihre Generation fort? Remmidemmi oder solid?

Fricker: Remmidemmi! Es geht schon ganz schön zu. Und lang. Oft ist es so eng, dass man kaum tanzen kann. Unser Wort dafür, wenn beim Fortgehen alle fröhlich ausflippen, ist „eskalieren“.

Riedl: Also das hat’s bei uns echt noch nicht gegeben. Und es ist da auch noch nicht am laufenden Band gerauft worden.

Wie erlebt ein Discobetreiber die Aggressivität beim Ausgehen?

Tomiak: Das ist deutlich besser geworden. Zu den Anfangszeiten im Amadeus hatte ich teilweise Angst vor der Arbeit. Egal, wo man hingegangen ist, es gab immer richtige Schlägereien, wo Blut geflossen ist. Auf mich ist schon geschossen worden, man hat mir ein Messer an den Hals gehalten. So was passiert heute eigentlich gar nicht mehr. Zinnober und Aufgemandel gibt es natürlich immer, aber grundsätzlich kann man in Ingolstadt zu jeder Zeit überall hingehen. Da wird viel aufgebauscht. Auch die Lärmgeschichte: Das ist in Innenstädten eben so. Wenn ich immer Ruhe haben will, darf ich nicht da hinziehen, wo ich fünf Lokale um mich herum habe.

Wirken sich die Studenten aus?

Tomiak: An sich schon, aber das neue Bachelor-Studium ist ganz schlecht für die Nachtgastronomie. Wenn man donnerstags um Mitternacht auf die Straße geht, werden einem nicht mehr viele Leute begegnen. Dann haben auch kaum mehr Kneipen offen, obwohl wir jetzt viele Studenten haben. Aber weil die jetzt alle gezwungen sind, immer in der Früh anzutreten, ist unter der Woche abends nichts mehr los. Außerdem haben wir eine Technische Hochschule mit anspruchsvollen Studiengängen – das merken wir. Und wir merken die Studiengebühren, denn die reduzieren das Budget zum Fortgehen spürbar.

Früher gab es bei uns deutlich mehr Wirtshäuser bei deutlich weniger Einwohnern. Wie das?

Riedl: Soldaten. Wir waren seit Jahrhunderten Garnison, da gab es eine Menge Soldaten, die haben die Wirtshäuser bevölkert.

Tomiak: Eine Parallele zu heute. Die Soldaten fehlen uns auch.

Riedl: Früher war das Ausgehverhalten anders. Zu Hause gab es keine Fernseher, kleine Wohnungen und mehrere Kinder, da waren viele froh, abends mal eine Stunde weggehen zu können – wenn es die Frau zugelassen hat. Auch deshalb gab es früher viel mehr Wirtschaften.

Wo eskaliert Ihre Abiturfeier?

Fricker: In der Lago-Bar.