Kösching
Über Umwege zur Luxuskreuzfahrt

Nach drei Monaten China erreichen Monika Baumann und Christian Wagner auf dem Rad Vietnam

04.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:33 Uhr
Einen Versuch war's wert: Die Straßen im chinesischen Hochgebirge Qilian Shan waren spiegelglatt, sodass die Lkw ohne Schneeketten in einem Stau endeten - und Monika Baumann sowie Christian Wagner auf ihrem Weg nach Vietnam umkehren und eine andere Strecke suchen mussten. −Foto: privat

Kösching (DK) Wohl zum letzten Mal waren Monika Baumann und Christian Wagner während ihrer Reise an Weihnachten in Kösching auf Heimaturlaub: Die beiden Radfahrer, die sich vor rund eineinhalb Jahren in Richtung Australien aufgemacht haben, wollen in knapp vier Monaten an ihrem geänderten Ziel in Südostasien ankommen. Sie freuen sich nun, den chinesischen Winter hinter sich zu lassen.

Die Daunenjacken bleiben in Deutschland, dafür kommt die Tauchausrüstung wieder mit ins Gepäck: Für Monika Baumann und ihren Freund Christian Wagner geht es an diesem Wochenende zurück nach Haiphong in Nordvietnam, wo sie ihre Räder Ende Dezember zurückgelassen haben. "Da wartet die Sonne auf uns", sagt Wagner sehnsüchtig - während vor den Fenstern von Baumanns Elternhaus in Kösching der Frost die Bäume in ein weißes Kleid gehüllt hat.

Noch kälter war es zuletzt in China, wo die beiden Radreisenden insgesamt drei Monate verbracht haben. 4654 Kilometer haben sie in der Volksrepublik zurückgelegt. "Wir haben aber fast nichts gesehen, weil China so riesig ist und wir einen engen Zirkel gefahren sind", erzählt Wagner. Für einen Teil der Strecke nutzten sie den Zug. Nicht nur, weil die Visa zeitlich begrenzt waren, sondern eben auch wegen des beginnenden Winters, in dem selbst die Getränke zu Eis gefroren.

Die Kälte wurde zum Problem, als Baumann und Wagner Mitte Oktober von Zhangye aus über Minle in Richtung Vietnam aufbrechen wollten. Die beiden hatten schon 30 Kilometer hinter sich, als entgegenkommende Lkw-Fahrer Warnzeichen gaben. Bald wussten sie, warum: Die Straßen des Hochgebirges Qilian Shan waren spiegelglatt. "Wir haben es kurz ausgetestet, aber das konnte man auf dem Rad vergessen", erzählt Baumann.

Stattdessen ging es erst einmal der Chinesischen Mauer entlang nach Wuwei, mit dem Zug nach Tianshui zu den Maijishan-Grotten - buddhistische Höhlentempel in Dutzenden Metern Höhe, von denen laut Baumann "kein Mensch weiß, wie die das da oben hingekriegt haben" - und über "wunderschöne Nebenstraßen" des für Radfahrer gesperrten Highways gen Südosten. "Dort findet das ursprüngliche Leben in China statt", sagt Wagner. Er berichtet vom Kontrast zwischen architektonischen sowie technischen Meisterleistungen in den Großstädten, an Brücken und Tunneln zum bäuerlichen Leben in der Provinz, wo die Maisernte auf der Straße zum Trocknen ausgelegt wird.

Ab Guangyuan fuhren Wagner und Baumann mit dem Zug nach Chengdu zur Research Base of Giant Panda Breeding - "zum Pandas-Gucken, voll niedlich", schwärmt Baumann - und schließlich nach Chongqing, die mit über 30 Millionen Einwohnern wohl "größte unbekannte Stadt der Welt". Eine Metropole, in der nicht nur Wolkenkratzer stehen, sondern auch "jedes Meterchen Erde" für Agrarkultur genutzt wird. Denn in Chongqing leben viele Bauern als Selbstversorger "in einer Garage mit Mofa, teurem Sofa, riesigem Fernseher und Feuerschale, das passt irgendwie nicht", sagt Baumann.

Die 32-Jährige und ihr Freund vermuten, dass die Bauern aus Wushan stammen, von wo aus in den 90er-Jahren Tausende Menschen anlässlich des Baus der Drei-Schluchten-Talsperre zum Schutz vor Hochwasser am Fluss Jangtse zwangsumgesiedelt wurden. Dorthin führte die beiden - nach einer Nacht auf einer Baustelle, weil Baumann und Wagner kein Hotel fanden - dann auch eine Kreuzfahrt, für die sie wegen der Sprachbarriere versehentlich ein Luxusschiff gebucht hatten. "Von der Obdachlosigkeit auf ein Fünf-Sterne-Schiff", sagt Wagner lachend. Mit vom Radfahren schlammverkrusteten Taschen und Hosen erst einmal gar nicht so angenehm. Umso erbaulicher war die Fahrt zu der Talsperre - deren Wasserkraftanlage 16 Atomkraftwerke ersetzt - nach der ersten Dusche. "Drei Tage betreuter Luxus", nennen Wagner und Baumann das, denn auf dem Schiff voller chinesischer Touristen waren sie wohl die einzigen Ausländer mit eigenem Fremdenführer. "Nur für uns gab es auch englischsprachige Lautsprecherdurchsagen", erinnert sich Baumann.

Die Radfahrer lernten während ihrer Zeit im Reich der Mitte nicht nur, sich mit Übersetzungsapps durchzuschlagen, da die wenigsten Chinesen Englisch können. Zu den "Überlebenstricks" zählten auch die Nutzung eines sogenannten VPN-Services, um die strengen chinesischen Sperren für Onlinedienste wie Instagram oder WhatsApp zu umgehen, oder der Einsatz von Ellenbogen, um am Ticketschalter für öffentliche Verkehrsmittel nicht den Kürzeren zu ziehen. An Busbahnhöfen haderten sie mit Sicherheitskontrollen, die strenger als an Flughäfen sind. "Es ist nervig, wenn man alles auspacken und jeden einzelnen Hering vorzeigen muss", sagt Wagner.

Trotzdem erreichten er und seine Lebensgefährtin von Chongqing aus - durch subtropisches Nieselregenwetter, über unzählige Höhenmeter und eine Lehmstraße - kurz vorm Auslauf der Visa die vietnamesische Grenze. Nach mittlerweile 17000 Kilometern auf dem Sattel werden Baumann und Wagner in dem Küstenstaat nun etwas kürzer treten, was das Radfahren angeht. Vielmehr freuen sie sich auf Tauchgänge, die in den vergangenen Monaten zu kurz kamen. "Wie lange wir das Meer nicht mehr gesehen haben...", wirft Wagner in den Raum, während seine Freundin Bilder von sonnendurchfluteten Höhlenlandschaften zeigt, die die beiden in Vietnam anpeilen wollen.

Der Endpunkt um Ostern liegt - je nach den Möglichkeiten für den Heimflug - irgendwo zwischen Bangkok und Singapur, sagt Baumann. "Wir haben die Zielmentalität abgelegt", ergänzt Wagner. Seitdem sie sich von dem ursprünglichen Plan, Australien zu erreichen, verabschiedet haben, spüren die beiden eine große Entschleunigung ihrer Reise. Trotzdem rückt das Ende ihrer bald zweijährigen Reise unaufhaltsam näher - und das ist auch gut so, meint Wagner, der einen "Abnutzungseffekt" des Abenteuers fürchtet. "Wir sind unendlich dankbar für das, was wir erleben dürfen", sagt der 39-Jährige.

Wehmut klingt dennoch aus insbesondere Baumanns Worten heraus. "Wir versuchen gerade, uns das Ende schönzureden", sagt sie. Beruhigend also, dass es schon Pläne für die Zeit danach gibt, die die beiden während der Reise geschmiedet haben. "Wir überlegen, uns mit Behindertentauchen selbstständig zu machen", kündigt Wagner an. Die Suche nach Fördermittelgebern läuft schon, um zu Hause so schnell wie möglich durchstarten zu können und "Rückkehrdepressionen" erst gar keine Chance zu geben. "Das ist Neuland und damit genauso spannend für uns wie eine lange Reise."

Tanja Stephan