Ingolstadt
Eine Tragödie mit Ansage

Mutmaßlicher Totschlag am Franziskanerwasser: Opfer wollte offenbar keine Hilfe gegen den prügelnden Freund

06.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:53 Uhr
Seit mehr als einem Jahr sitzt der angeklagte 49-Jährige (rechts) in Untersuchungshaft. Er soll Anfang September 2017 seine Lebensgefährtin in der städtischen Obdachlosenunterkunft am Franziskanerwasser erschlagen haben. Übergriffe gegen die 34-Jährige hat er grundsätzlich eingestanden, die tödliche Tat selbst nicht. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Der dritte Prozesstag führte das Schwurgericht des Landgerichts gestern tief in das Ingolstädter Obdachlosenmilieu, um die Hintergründe des gewaltsamen Todes einer 34-Jährigen in der Unterkunft am Franziskanerwasser zu beleuchten.

Fast zwei Dutzend Zeugen aus dem Umfeld des Opfers und des mutmaßlichen Täters sowie Vertreter der Stadt Ingolstadt und von Hilfseinrichtungen berichteten der Kammer - und vielfach kam dabei eine große Ohnmacht zum Ausdruck.

Wie er in seinem zu Prozessbeginn abgelegten Teilgeständnis zugab, hatte der 49-jährige Angeklagte seine Freundin über Monate hinweg grün und blau geschlagen - sogar weit häufiger, als ihm die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage vorwirft. Das konnte selbst in einer Umgebung wie der abgeschiedenen städtischen Obdachlosenunterkunft kaum im Verborgenen bleiben. Denn nicht nur gegen seine Freundin ging der 49-Jährige vor. Der Heilerziehungspfleger prügelte im Frühjahr/Frühsommer 2017 wohl mehrere Bewohner. "Der hat sich innerhalb kürzester Zeit einen Heidenrespekt verschafft", sagte der Hausmeister der Einrichtung. Den Schläger konkret beschuldigen wollte aber offenbar keiner der Geschlagenen. Das änderte sich aber, als er einem Bewohner die Nase brach und auch die Übergriffe gegen seine Freundin immer offensichtlicher wurden. "Die blauen Flecken waren kaum weg, da hatte sie schon neue", beschrieb der Hausmeistergehilfe die Situation. Schließlich gab die 34-Jährige zu, was längst offenkundig war. Die Stadt handelte und verhängte gegen den 49-Jährigen Anfang Juli 2017 ein Hausverbot, was einem Rauswurf aus der Unterkunft bedeutete, in der er seit einem Jahr lebte. "Da hat er recht gelassen reagiert", sagte ein städtischer Mitarbeiter. An das Hausverbot für das Gelände hielt sich der Mann nicht, denn seine Freundin ließ ihn immer wieder in ihre Unterkunft.

"Sie hat ihn trotz allem immer verteidigt. Wir würden ihn alle falsch einschätzen. Sie selbst sei schuld, habe ihn provoziert", beschrieb die zuständige Sachgebietsleiterin der Stadt, wie sich die 34-Jährige trotz aller Schläge selbst weiter zum Opfer machte. Selbst lange Gespräche, wie zuletzt im August 2017 nach einem neuerlichen großen Übergriff, hätten keinen Erfolg gehabt. "Wir wollten sie umquartieren und mit einer Frau zusammenlegen. Aber das wollte sie auf keinen Fall. " Es habe zwar Beteuerungen gegeben, dass sie den mutmaßlichen Peiniger nicht mehr hereinlasse. "Ich habe es wirklich gehofft", sagte die Sachgebietsleiterin. Wirklich überzeugt sei sie aber nicht gewesen. Letztlich habe sich die Frau einfach nicht helfen lassen wollen.

Das ließ noch deutlicher eine anderen Zeugin durchblicken, die als Leiterin einer Hilfseinrichtung in Ingolstadt das Alkoholikerpärchen aus fast täglichen Begegnungen kannte. Sie hatte gerade den Angeklagten über Monate "als intelligenten und reflektierten Menschen kennen gelernt". Als seine Freundin ("Sie war immer fröhlich") dann mit den massiven blauen Flecken auftauchte, sei sie aus allen Wolken gefallen. "Ich hätte ihm das nie zugetraut. " Sie habe sich der Sache intensiv angenommen, dem Schläger ins Gewissen geredet ("Er wirkte eigentlich einsichtig, war aber im Drogenrausch ein anderer Mensch"), habe auch die junge Frau anhefleht, etwas zu verändern, sei aber an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen.

"Ich werde ihn nie anzeigen", soll die 34-Jährige bekannt haben. Da werde es dann schwer, zu helfen, bekam die Einrichtungsleiterin selbst von der Polizei zu hören. "Ich glaube, er schlägt dich irgendwann tot", habe sie der Frau bei der letzte n Begegnung gesagt. Die habe nur mit den Schultern gezuckt.

Am Morgen des 5. September 2017 wurde die 34-Jährige tot in ihrem Zimmer aufgefunden. Für sie kam jede Hilfe zu spät.

Christian Rehberger