Ingolstadt
Theoretisch siebeneinhalb Jahre Haft für Drogendeal

Landgericht ordnet Unterbringung der abhängigen Angeklagten in geschlossener Therapie an - Verfolgungsjagd mit der Polizei

13.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:52 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: David Ebener/dpa

Ingolstadt - "Geben Sie meinem Mandanten die Möglichkeit, seine Ehe zu vollziehen." So beendete Rechtsanwalt Mark Grimme am Freitag vor der 5. Strafkammer des Ingolstädter Landgerichts sein Plädoyer. Hintergrund ist, dass der von ihm verteidigte 33-jährige Iraker bisher dazu keine Gelegenheit hatte, nachdem er auf angebliche Anweisung am 7. Februar kurzerhand seine eigene Hochzeit verlassen, nach Frankfurt gefahren und tags darauf von der Polizei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen worden war - denn er war bei der Fahrt zum Teil eines großen Drogendeals geworden.

Und tatsächlich: Die Kammer verurteilte den 33-Jährigen - wenn auch nicht mit dieser Argumentation - wegen Beihilfe zu bewaffnetem Drogenhandel in großem Stil zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. "Spitz auf Knopf" und mit "großem Vertrauensvorschuss", wie der Vorsitzende Richter Thomas Denz angesichts einer offenen Bewährung des Angeklagten in der Urteilsbegründung betonte.

Bei den anderen Angeklagten kamen aber teils hohe Haftstrafen heraus - die sie aber wohl nicht absitzen müssen. Nach Überzeugung des Gerichts haben der Iraker und ein 36-jähriger Kosovare einem 39-jährigen Italiener seit Oktober vergangenen Jahres geholfen, Drogengeschäfte im Wert von über 37000 Euro abzuwickeln. Der Italiener wurde am Freitag als Haupttäter zu sieben Jahren und zehn Monaten, der Kosovare zu drei Jahren verurteilt. Staatsanwalt Martin Sokoll hatte sogar Freiheitsstrafen von elf Jahren sowie vier Jahren und drei Monaten gefordert. Weil sowohl der Italiener als auch der Kosovare offenbar drogenabhängig sind, profitieren sie aber von Paragraf 64 des Strafgesetzbuches. So muss etwa der Haupttäter zusätzlich zur schon abgesessen Untersuchungshaft von zehn Monaten noch 13 weitere im Gefängnis absitzen. Ist die anschließende zweijährige Therapie in einer geschlossenen Entziehungsanstalt erfolgreich, soll die Reststrafe von knapp vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Diese sogenannte Halbstrafenbewährung wäre dem frisch verheirateten Iraker nicht zugute gekommen: Er ist nämlich nicht drogenabhängig. Weil er aber nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, kann er statt die Freiheitsstrafe antreten zu müssen, doch seine Ehe vollziehen - und am besten einen Bogen um die Drogenszene machen, in die er über seine Bekannten hineingeschlittert war.

Beschafft wurden die Betäubungsmittel vor allem in Frankfurt. So auch am 8. Februar dieses Jahres: Nachdem sich das Trio am Vorabend in der Mainmetropole getroffen und eine Lieferung in Empfang genommen hatte, fuhren die drei im Fahrzeug des Haupttäters, der damals einen Autohandel betrieb, zurück nach Ingolstadt. Dabei waren sie schon im Visier von Fahndern. Als die Polizisten versuchten, das Auto an einem Autobahnparkplatz bei Allersberg anzuhalten, flüchteten die mutmaßlichen Drogendealer. Nach einer Verfolgungsjagd mit Höchstgeschwindigkeit konnten sie erst nach Verlassen der A9 bei Greding festgenommen werden, wo ihr Wagen liegen geblieben war. Neben 25 Kilogramm Marihuana und einem Kilogramm Kokain wurden im Auto von den Einsatzkräften ein Springmesser und eine zur scharfen Waffe umgebaute und mit sechs Schuss scharfer Munition geladene Schreckschusspistole sichergestellt.

Zulasten der Angeklagten, so Richter Denz, habe das Gericht die hohe Drogenmenge berücksichtigt, die im Bereich "organisierter Kriminalität" liege. Auch die Flucht mit zum Teil über 250 Stundenkilometern sei lebensgefährlich gewesen: für die Angeklagten, die sie verfolgenden Polizisten und die sonstigen Verkehrsteilnehmer auf der dicht befahrenen A9. Zugunsten zweier Angeklagter wurden deren Geständnisse gewertet. Damit hätten diese die "Flucht nach vorne" angetreten, nachdem die "Flucht vor der Polizei gescheitert" war - auch wenn von ihnen weder Abnehmer noch Lieferanten der Drogen benannt worden seien. Dass die Beschuldigten - wie angeklagt - bandenmäßig gehandelt hätten, könne zwar vermutet werden, so der Richter weiter. Um allerdings eine "Bandenabrede" festzustellen, wäre weiteres "belastendes Material" erforderlich gewesen. Und das lag nicht vor.

DK

Andreas Müller