Ingolstadt
Summen statt spritzen

In Dünzlau haben 16 Nachbarn einen 7000 Quadratmeter großen Acker zu einer insektenfreundlichen Blühwiese gemacht

07.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:20 Uhr
Die Anwohner am Pointweg haben zusammengelegt, um aus dem landwirtschaftlich genutzten Acker vor ihrer Haustür eine Blühwiese zu machen ? der Umwelt, aber auch sich selbst zuliebe. Die Stadt ? hier im Bild Umweltamtsleiterin Birgit Müller (links neben dem Logo) und Umweltreferent Rupert Ebner (rechts danben) ? hat sie dabei unterstützt. −Foto: Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Noch vor gut einem Jahr versprühte ein Landwirt auf einem Acker am Pointweg in Dünzlau Spritzmittel, während nur wenige Meter weiter Menschen im Garten aßen und Kinder auf der Straße spielten. Heute ist das Stück Land ein Paradies für Tiere und Pflanzen - dank der engagierten Anwohner.

Rosemarie Deiner war es schon lange ein Dorn im Auge, dass direkt an der Spielstraße und neben offenen Fenstern Pflanzenschutzmittel verspritzt wurden. An Pfingsten im vergangenen Jahr aber reichte es ihr. Auf dem Heimweg vom Friedhof beobachtete sie den Pächter wieder, wie er seine Runden auf dem Acker drehte und - wie sie es ausdrückt - "Gift spritzt". Da war klar: So geht es nicht weiter. Mit etwas Hilfe formulierte sie einen Brief an Oberbürgermeister Christian Lösel und den Umweltreferenten Rupert Ebner - mit der Forderung, den Acker stillzulegen.

Etwas überrascht war sie schon, als sie von Ebner recht schnell eine Antwort bekam. Er teilte ihr mir, dass Stilllegen nicht funktioniere, hatte aber ein Angebot in petto. Denn das Glück der Anwohner der Point-straße war, dass der jährliche Pachtvertrag mit dem Landwirt bald ablief. Ebner bot den Anwohnern an, doch selbst Pächter zu werden und aus dem landwirtschaftlich genutzten Boden einen Blühacker zu machen.

Die Idee gefiel Deiner, deshalb zog sie gleich in der Nachbarschaft von Tür zu Tür, um Unterstützer zu finden. Und siehe da: "Alle waren dafür", sagt sie sichtbar stolz. Dem Verpächter derweil "war es egal, wo sein Geld herkommt", drückt es ihr Mann Fritz pragmatisch aus. Und so kam das Projekt "Dünzlau summt" zustande: 16 Eigentümer pachteten zusammen 7000 Quadratmeter Grund für jeweils 80 Euro - um sich selbst, aber auch der Natur etwas Gutes zu tun.

Mittlerweile gleicht der frühere Acker einem Paradies für Insekten, Vögel und allerlei andere Tiere. Das Summen trägt das Projekt mittlerweile nicht nur im Namen. Vom Acker ist ein dauerhaftes Brummen der Insekten zu hören. "Nach einem kräftigen Regenschauer im Frühjahr wuchs plötzlich alles ganz schnell", erinnert sich Rosemarie Deiner. Dazu war aber auch etwas Hilfe von der Stadt nötig. Die Mitarbeiter vom Umweltamt organisierten zum Beispiel ganz besonderes Saatgut mit 40 Arten: "Zum einen ist das eine insektenfreundliche Mischung", erklärt Monika Weber vom Umweltamt, "zum anderen ist das Saatgut in der Region gewachsen, es handelt sich also nur um heimische Pflanzen." Jetzt würden vor allem die Ackerwildkräuter sprießen, weiß die Expertin. Neben Kornblumen und Kamille leuchtet der knallrote Klatschmohn. Doch schon im nächsten Jahr können sich die Anwohner aller Voraussicht nach auch über Wiesenpflanzen wie Salbei oder Margeriten freuen. Doch nicht nur die Dünzlauer sind froh über das Ergebnis. Mittlerweile kämen sogar schon Fremde in die Pointstraße, um den insektenfreundlichen Acker zu bestaunen, der jetzt Teil des städtischen Projekts "Ingolstadt summt" ist. Auf einem Teil der Ackerfläche sprießen aber auch die Erträge eines besonders wildfreundlichen Saatguts. Und das macht sich bemerkbar: Von Zeit zu Zeit sichten die Anwohner Rehe, immer mal wieder hoppelt auch ein Hase durch die etwa hüfthohen Pflanzen, erzählen sie. Lange werde es nicht mehr dauern, so verrät ihnen Weber, bis die Stieglitze in Scharen kämen: "Der Einflug wird gigantisch."

Überhaupt sind die Initiatoren des Projekts sichtbar stolz auf ihr Projekt. Martin Wenger zum Beispiel wird immer wieder von seiner Nachbarin Rosemarie Deiner erwischt, wie er das bunte Meer aus verschiedenen Blüten mit der Kamera einfängt, weil es gar so schön aussieht. Und Deiner selbst hat jetzt ein viel besseres Gewissen, wenn die Kinder der Straße neben dem Acker am Boden spielen.

Im September wird der Landwirt, der den Dünzlauern schon beim Aussähen geholfen hat, das Feld mähen. Doch davor wollen die Anwohner ihre Blühwiese noch mit einem Straßenfest feiern - ein Blühackerfest sozusagen. Dann werden die Siedler mit dem einen oder anderen Glas Sekt auf ihren Acker anstoßen.

Sophie Schmidt