Sterbende Freundin ignoriert

05.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:46 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: Volker Hartmann/dpa

Ingolstadt - Im Grundgesetz steht: "Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.

" Weil sich eine 44-jährige Ingolstädterin durch ein gegen sie ergangenes Urteil des Amtsgerichts in ihren Rechten verletzt sah, legte sie Berufung ein, über die gestern die 3. Strafkammer des Ingolstädter Landgerichts verhandelte. Wegen unterlassener Hilfeleistung sollte die Hausfrau 375 Euro Strafe zahlen. Die Kosten für den gestrigen Verhandlungstag, zu dem neben dem Vorsitzenden Richter zwei Schöffen, Staatsanwalt, Verteidiger, Sachverständiger und mehrere Zeugen erschienen, dürften die erstinstanzliche Strafe deutlich überschritten haben. "Ich will einen Freispruch", begründete die 44-Jährige die Einlegung der Berufung.

Der Sachverhalt, der ihrer Verurteilung zugrunde liegt, ist tragisch: Am 27. Oktober 2017 hat die Angeklagte gegen Mittag eine Nachbarin und "gute Freundin", wie sie sagte, in deren Wohnung bewusstlos gefunden. Obwohl sie feststellte, dass diese "schwer atmete", ging sie in ihre eigene Wohnung zurück, ohne Hilfe zu holen. "Ich dachte, sie ist wieder einmal sternhagelvoll", verteidigte sich die 44-Jährige. Bereits am Tag zuvor habe sie wegen der Alkoholisierung ihrer Freundin einen Krankenwagen gerufen, den diese dann weggeschickt habe. Erst am Abend gegen 22 Uhr sei sie dann wieder in die Wohnung der Nachbarin gegangen und habe dann auch den Rettungsdienst alarmiert. Die Frau starb am folgenden Tag, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, hätte aber wohl auch bei sofortiger Hilfe nicht mehr gerettet werden können, so hieß es vor Gericht.

Mit ihren gestrigen Angaben konnte die Angeklagte die Berufungskammer augenscheinlich aber nicht von ihrer Unschuld überzeugen. So wollte sie Sturzverletzungen des Opfers mittags nicht bemerkt haben. Dass sie die Sterbende fast zehn Stunden liegen ließ, begründete sie mit der Angst, ihre Freundin tot aufzufinden, was wiederum ihrer Angabe widersprach, den Ernst der Lage nicht erkannt zu haben. Als sie sich dann damit zu entschuldigen versuchte, sie sei "doch nicht die Babysitterin" der Verstorbenen, wurde der Vorsitzende Richter Konrad Riedel deutlich: "Das mag Sie privat entlasten. Hier nicht! " Unterlassene Hilfeleistung baue nämlich auf Solidarpflichten auf.

Als Riedel dann weitere Verhandlungstage mit weiteren Zeugen und zusätzlichen Kosten ankündigte, nahmen die Angeklagte nach Rücksprache mit ihrem Verteidiger Armin Russ und daraufhin auch Staatsanwalt Frank Nießen ihre Berufungen zurück. Neben der Strafe von 375 Euro muss die 44-Jährige nun auch einen Teil der Berufungskosten tragen. Viel Lehrgeld für die Erkenntnis, dass man nicht zwangsweise jedes Recht - auch wenn es grundgesetzlich verbürgt ist - durchsetzen muss.

DK

Andreas Müller