"Sie haben sich nach Frieden gesehnt"

Im Hörspiel "Die Nacht im Ewigen Licht" erzählt Autor Steffen Kopetzky von München bei Kriegsende

06.11.2020 | Stand 02.12.2020, 10:11 Uhr
Verbindet den Blick in die Geschichte mit der Gegenwart: Autor Steffen Kopetzky. −Foto: Jörg Schulz

Pfaffenhofen/Ingolstadt - Mit seinem im August 2019 bei Rowohlt erschienenen Roman "Propaganda" löste der Pfaffenhofener Autor Steffen Kopetzky deutschlandweit Begeisterung aus, bei Kritikern und Publikum gleichermaßen.

Der Spiegel-Bestseller war auch für den Bayerischen Buchpreis nominiert. Die 496 Seiten lange Geschichte über den amerikanischen Journalisten und Offizier der US-Army, John Glueck, liegt derzeit in 6. Auflage vor. Ab Montag sendet der WDR das vierteilige Hörspiel "Die Nacht im Ewigen Licht", das in Anlehnung zum Roman entstand.

Herr Kopetzky, Ihr Hörspiel "Die Nacht im Ewigen Licht" wird ab Montag, 9. November, über WDR gesendet. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?

Steffen Kopetzky: Die Dramaturgin Isabel Platthaus hat den Roman schon früh gelesen und fand ihn sehr interessant und gut geeignet für ein Hörspiel. So haben wir, schon bevor "Propaganda" erschien, eine Zusammenarbeit vereinbart. Für mich war das Hörspiel von Anfang an ein Projekt, das schon am Horizont stand. Und so habe ich während der Lesereise im Februar diesen Jahres schon die wesentlichen Teile des Hörspiels geschrieben. Das war eine ganz interessante Erfahrung, im Zug oder abends in Hotelzimmern zu arbeiten. Aber es hat funktioniert.

Das kannten Sie aus Ihren Anfängen als Romanschriftsteller. Ich denke an die Entstehung Ihres Romans "Grand Tour".

Kopetzky: Ja, vielleicht aus der guten alten Zeit. . . Aktuell war es eine besondere Erfahrung, abends vor Publikum zu lesen und tagsüber das Hörspiel zu bearbeiten.

Ist in das Hörspiel all das eingeflossen, was im Roman keinen Platz gefunden hat?

Kopetzky: Das Hörspiel hätte im Mai in Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren gesendet werden sollen. Die Geschichte von John Glueck aus "Propaganda" spielt zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg. Der Roman selbst beschäftigt sich vor allem mit der Schlacht im Hürtgenwald, aber Glueck erzählt auch von seiner Tätigkeit in München. Deshalb habe ich mir überlegt, was er im Mai 45 in München erlebt haben könnte. Er war quasi die Vorhut der Befreiung. Dabei habe ich mich aber wie schon beim Roman auf authentische Schilderungen bezogen.

Konnten Sie frei ein neues Skript erstellen?

Kopetzky: Nun, der Auftrag hieß eine Überarbeitung der Geschichte. Die Dramaturgin war dann überrascht, dass ich mir die Mühe gemacht habe, einen neuen Plot zu erstellen. Mit der neuen Figur, der Christl.

Ja, was steckt dahinter?

Kopetzky: Sie war für mich die zentrale Figur. Eine junge Frau im zerbombten München, der John Glueck seine Geschichte und seinen Auftrag erzählt. Ich wollte sie möglichst so fassen, wie die Menschen damals empfunden haben. Eine 20-Jährige, die eine Fotoschule besucht, die sich im kalten Frühjahr in München nach Frieden sehnt, nach Freiheit, die etwas zu essen, die es warm haben will. Ich wollte ihr etwas mitgeben, an dem sie sich aufrichten kann. Das war die Berufsausbildung. Tatsächlich haben die Architekten in der Residenzverwaltung mit Hilfe von Fotoschülerinnen damals Aufnahmen von der Residenz machen lassen, als sie die Zerstörung durch die Bomben sahen. Sie wollten die Fotos zum Wiederaufbau nutzen. Und es gab die Münchner Fotoschule, zu der junge Frauen aus ganz Deutschland kamen. In den Jahrgangslisten waren ihre Geburtsorte verzeichnet. Ich habe mich für eine junge Frau aus Passau entschieden, um eine bayerische dialektale Einfärbung aufzunehmen.

Sie konnten dabei aus Ihrer Erfahrung als Autor von Hörspielen und Features schöpfen?

Kopetzky: Beim Hörspiel muss alles rasanter gehen als im Roman. Es gibt die Dialoge, die Musik, die Geräusche. Am Ende war ich überrascht, was die Regie mit Musik, den Geräuschen, der Technik gemacht hat. Es ist der riesige Vorteil des Hörspiels, dass ganz leicht Räume aufgemacht werden. Sodass man als Autor bei den Dialogen relativ knapp arbeiten und präzise auf den Punkt kommen und sich auf die Klangwelten verlassen kann. Und natürlich auf die Schauspieler. Ich war von Harald Krassnitzer begeistert, der so großartig dem Colonel Ganz Charakter und Qualität verliehen hat, aber auch die Sprecher von Christl und John. Ein Genuss.

Das Hörspiel wird an vier Abenden hintereinander gesendet. Nicht jeder Hörer wird sich so die Zeit nehmen können.

Kopetzky: Jeder Teil ist so angelegt, dass man jederzeit einsteigen kann. Die Folgen bauen aufeinander auf, haben aber jeweils eine eigene Dramaturgie. Und man kann alle vier Teile sehr lange in der ARD Mediathek nachhören.

Wie lange hat die Produktion gedauert ?

Kopetzky: Bis Ende Februar hatte ich das Hörspiel geschrieben, war die Musik komponiert, waren die Schauspieler engagiert. Dann kam der Lockdown. Wir mussten warten. Es war die erste Produktion, die der WDR im Kölner Studio danach machen konnte.

Und mit Ihnen in Köln?

Kopetzky: Nein, ich habe meinen kleinen Part als Hausmeister hier in Pfaffenhofen eingesprochen - es ist ja nur ein Cameoauftritt. Man hat mir die Stimme Christls zugespielt und ich habe darauf reagiert. Ich wurde dann hineingeschnitten.

Die Zeit, in der das Hörspiel angesiedelt ist, war eine Radio-Zeit. Welchen Stellenwert haben Hörspiel und Radio heute?

Kopetzky: Das Hörspiel, die Radiokunst, die Podcasts sind Formen, die durch die digitale Revolution und deren Dynamik einen enormen Aufschwung genommen haben. In den Mediatheken liegen die besten Hörspiele abrufbar bereit. Die Bearbeitungen von Romanen oder auch das originale Hörspiel sind so reichhaltig geworden. Sie machen ganze Welten auf. Ohne vorgegebene Bilder wird die Imagination auf besondere Weise stimuliert.

Information, Propaganda, Wahrheit sind in Roman und Hörspiel zentral. Welchen Bezug zu heute hatten Sie beim Schreiben im Sinn?

Kopetzky: Ich habe versucht zu zeigen, dass die amerikanische Gesellschaft schon immer eine von Medien beeinflusste war. Weil sie demokratisch verfasst ist und es wichtig ist, die Menschen von einer Sache zu überzeugen. Im deutschen Kaiserreich war das etwas anders. Propaganda ist ein Mittel für jene Gesellschaften, in denen die Bevölkerung für Entscheidungen gewonnen werden muss. Deshalb haben die Amerikaner Politik und Propaganda schon früh miteinander verbunden, und das hat ihnen einen gewaltigen Vorsprung in der Medien- und Informationstechnologie gebracht. Leider fingen sie dann an, ihrer eigenen Propaganda zu glauben. Damit begann ihr moralischer Abstieg. Letztlich geht es um die Frage der Steuerung - ist es möglich, dass sich eine Gesellschaft tatsächlich selbst steuert und sich auch selbst durchringt, den Kurs zu korrigieren?

DK

Das Interview führte Barbara Fröhlich.