Ingolstadt
Selbstversuch im Pflegedienst

SPD-Kreisvorsitzender Christian De Lapuente arbeitete einen Tag in einer Senioren-Wohngruppe

13.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:24 Uhr
Der Vorleser: Christian De Lapuente (Mitte) hat in seinem Ein-Tages-Praktikum den Bewohnern der Seniorenwohngruppe an der Nürnberger Straße unter anderem aus dem DONAUKURIER vorgelesen. Auch AWO-Kreisvorsitzender Günter Süß hörte zu. Zeit für solche Aktivitäten haben Pflegekräfte längst nicht in allen Einrichtungen. In Heimen und Kliniken herrscht wegen Personalmangels häufig ein immenser Zeitdruck. −Foto: Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Die schwierige Situation von Pflegekräften vor allem in Krankenhäusern und Pflegeheimen ist zuletzt etwas mehr in den Fokus der Politik gerückt. Seit einigen Tagen läuft das Volksbegehren "Stoppt den Pflegenotstand in Bayerns Krankenhäusern". Um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen, hat der Ingolstädter SPD-Vorsitzende und Landtagskandidat Christian De Lapuente ein Tagespraktikum als Pfleger absolviert.

Die Arbeitsbedingungen in der betreuten Seniorenwohngruppe der gemeinnützigen Arbeiterwohlfahrt (AWO) an der Nürnberger Straße mögen angenehmer sein als die in großen Pflegeheimen oder Kliniken. Der Betreuungsschlüssel in den zwei Gruppen mit jeweils zwölf Bewohnern und wohl auch die Bezahlung der Pflegekräfte sind hier besser als in Einrichtungen, in denen der Druck der Kostenminimierung zu den Zuständen führt, die gemeinhin als "Pflegenotstand" bezeichnet werden. Für De Lapuente war der gestrige Tag dennoch erkenntnisreich. "Es ist selbst hier ein Knochenjob", resümierte er nach den acht Stunden beim Abschlussgespräch mit dem AWO-Kreisvorsitzenden Günter Süß, Büroleiterin Gertrud Raisch und Präsenzkraft Katharina Marquardt. Die Pflege sei nicht nur körperlich fordernd, sondern könne wegen der damit verbundenen Verantwortung durchaus auch belastend sein. Ein falscher Handgriff etwa beim Stützen oder Tragen eines Menschen könne schließlich schlimme Folgen haben. "Was mich aber wirklich schockiert hat, ist die Bürokratie", sagt De Lapuente. Für jeden Bewohner der Gemeinschaft müsse etwa ein Trinkprotokoll angelegt werden, um bei einer möglichen Kontrolle nachweisen zu können, dass der "Kunde" wie es hier heißt, auch regelkonform versorgt wurde.

Dass das längst nicht mehr in allen Einrichtungen und Pflegestationen geleistet werden kann, ist hinlänglich bekannt. Zu wenig junge Leute entscheiden sich für eine Ausbildung in einem Pflegeberuf. "Die Bezahlung ist oft einfach zu gering", sagt Süß. "Hinzu kommen die Schichtdienste und die harte Arbeit." "Und dann muss man die Ausbildung auch noch bezahlen", ergänzt Raisch. Und so finden sich auf dem Arbeitsmarkt kaum gute Pflegekräfte. Wer den Job macht, ist anfangs meist hoch motiviert, scheitert dann aber an der täglichen Arbeitsrealität. "Wir können uns hier notfalls eine Stunde für einen Bewohner Zeit fürs Essen nehmen", sagt Marquart. "Auf einer Station mit 30 und mehr Bewohnern geht das nicht. Da herrscht ein immenser Zeitdruck. Das macht mürbe." Hinzu komme, dass Pflegeberufe oft kein hohes Ansehen haben, ist De Lapuente überzeugt. "Da fragen die anderen nur: ,Hast Du nichts anderes gefunden?'"

Mit dem Volksbegehren "Stoppt den Pflegenotstand in Bayerns Krankenhäusern", wollen die Initiatoren erreichen, dass Kliniken verpflichtet werden, einen bestimmten Personalschlüssel bei der Pflege einzuhalten. Kritiker befürchten, das könnte zur Folge haben, dass Krankenhäuser Abteilung schließen müssen, da sie die geforderte Anzahl an Pflegekräften mangels Bewerber nicht einstellen können. Dem entgegnet De Lapuente, dass der Beruf vor allem wegen der schlechten Arbeitsbedingungen auf den Pflegestationen unattraktiv geworden sei. "Wenn aber mehr Menschen in der Pflege arbeiten, verbessern sich die Verhältnisse, der Job wird attraktiver und die Bewerberzahlen steigen", ist er überzeugt. Freilich müssten auch die Bezahlung und die Ausbildungssituation in der Pflege besser werden.

Dass eine Verbesserung der Pflege auch mit steigenden Kosten verbunden ist, liegt auf der Hand. Eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung sei deswegen unvermeidbar, so De Lapuente. "Aber wir kommen diesem Thema nicht aus", ist er überzeugt. "Früher oder später muss sich jeder damit beschäftigen - als Angehöriger oder als selbst Betroffener."

Johannes Hauser