Ingolstadt
Selbst fremde Gesichter wirken vertraut

Wie Super-Recogniser andere auch nach Jahrzehnten noch erkennen, bleibt vorerst ein Rätsel - Gesprächsrunde im Audi-Forum

10.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:35 Uhr
Die Wissenschaftlerin Meike Ramon (links oben) erforscht das Phänomen der Super-Recogniser. Carina Buchholz (unten) ist eine ihrer Probandinnen. Sie bewies bei der Veranstaltung im Audi-Forum ihre Fähigkeiten, als sie die meisten der Testpersonen (rechts) ihren Kinderfotos zuordnete. −Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Wunderdinge darf man nicht erwarten, Super-Recogniser sind auch nur Menschen mit allen Stärken und Schwächen.

So lautete vorgestern Abend die Quintessenz einer Gesprächsrunde mit dem Titel "Mehrblick" im Audi-Forum über ganz spezielle Menschen. Sie können sich Gesichter weitaus besser einprägen und oft noch nach Jahrzehnten wieder abrufen. Sie sind mit ihrer Fähigkeit jedem Computer weit voraus. Die Forschung zu diesem Thema steht aber noch am Anfang, wie Neurowissenschaftlerin Meike Ramon erläuterte.

Moderatorin Charlotte Seybold wollte vor knapp 300 Gästen wissen, ob die Super-Recogniser die bessere, die menschliche Gesichtserkennungssoftware seien, nachdem sie eingangs auf die geplante Installation von 600 Millionen Überwachungskameras allein in China verwiesen hatte. Der Begriff rührt vom Englischen "to recognise" her, das heißt "erkennen". Super-Erkenner sind bereits bei der Polizei im Einsatz, das Münchner Präsidium etwa kann nach eigenen Angaben derzeit auf 30 solcher Spezialisten zählen.

Dabei weiß man noch nicht viel über das Phänomen. Warum sind persönlich bekannte Gesichter so anders? Wie verändert persönliche Interaktion die Art und Weise, wie wir das speichern und verarbeiten? Solchen Fragen versucht Meike Ramon in einem Forschungsauftrag an der Universität Fribourg auf den Grund zu gehen, wie sie ausführte. Dabei seien die Super-Recogniser nicht unbedingt eine homogene Gruppe. Jeder für sich habe unterschiedliche Fähigkeiten, jeder zeige in bestimmten Bereichen Stärken, in anderen wiederum Schwächen. In der Regel geht die Begegnung mit einem Menschen so ab: Ein Gesicht als solches wahrnehmen, den Abgleich herstellen ("Habe ich ihn/sie schon früher einmal getroffen? "), jemanden wiedererkennen oder eine Person identifizieren. Carina Buchholz aus Köln arbeitet mit der Wissenschaftlerin aus der Schweiz zusammen. "Sie kann sehr gut Identitäten abgleichen, die ihr unbekannt sind, obwohl sehr große Altersunterschiede dazwischen liegen", sagte Ramon. In Tests könne sie weit mehr Gesichter identifizieren als andere, teils doppelt so viele.

Die Kölnerin berichtete über Begegnungen wie die an einem Flughafen, als sie jemanden wiedererkannte, der ihr vor zehn Jahren schon einmal in einem Hotel begegnet war - ohne dass damals ein persönlicher Kontakt bestand. "Wir hatten auch nicht miteinander gesprochen. " Die Zuordnung in solchen Fällen dauere zwar manchmal ein bisschen, funktioniere aber in der Regel gut, sagte Buchholz.

Wo liegt die Zukunft der Super-Erkenner? "Ich könnte mir schon vorstellen, dass man fallbezogen Spezialeinheiten von Super-Recognisern zusammenführt", sagte Meike Ramon. Man könne das außerdem verwenden, um Zeugenaussagen zu validieren. Objektive Tests, wie das Gehirn einzelner Zeugen auf Beobachtungen reagiert, könnten dazu beitragen herauszufinden, wie Aussagen einzuordnen sind.
Computergestützte Gesichtserkennung mag inzwischen weit fortgeschritten sein, und PCs arbeiten ermüdungsfrei ohne Aufmerksamkeitsschwankungen, hätten aber doch ihre Grenzen, sagte Ramon. Alterungsprozesse in Gesichtern oder Tarnungen würden sie an die Grenzen bringen. "Erkennungssysteme können nur so gut sein wie das Wissen, was wir ihnen implementieren", erklärte die Forscherin. Hier seien die Super-Recogniser im Vorteil - warum, sei wissenschaftlich nicht ausreichend geklärt. "Ich glaube, dass wir das besser verstehen sollten, damit wir die automatisierten Prozesse optimieren können. " Untersuchungen hätten gezeigt, dass der Fokus der Super-Erkenner im Gesichtszentrum liege, auf den Augen, der Nase oder dem Mund. Andere würden mehr auf Gangart, Körperhaltung oder ähnliche Dinge achten. Wie schwer es ist, Gesichter zu erkennen, machten Tests mit dem Publikum deutlich. Carina Buchholz bewies dabei ihre Fähigkeit, Menschen über Altersgrenzen hinweg wiederzuerkennen. Fünf Besucher hatten Kinderfotos mitgebracht, hinzu kamen fünf weitere Bilder völlig anderer Menschen. Das Publikum und der Gast aus Köln sollten die Probanden den richtigen Bildern zuordnen. Obwohl es nicht einfach war, identifizierte Buchholz drei Personen richtig.

Meike Ramon äußerte sich zum Schluss kritisch, was Pauschalierungen und die Überbewertung von Super-Erkennern in den Medien oder die um sich greifende Kommerzialisierung des Themas betrifft. Und sie forderte: "Solange wir noch keine empirischen Beweise haben, dass sich der Einsatz von Super-Recognisern lohnt, sollten wir bei der Forschung bleiben. "

Horst Richter