Schwitzen nach Mitternacht

26.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:39 Uhr

Ordnung muss sein: Ivan Baniceks Augen entgeht kein Fleck, Sauberkeit ist bei ihm oberstes Gebot.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: von 1 bis 2 Uhr im Fitnessstudio.

Entlang der Wand erstreckt sich eine schier endlose Reihe von Laufbändern und Fahrrädern – alle sind leer. Kein gleichmäßiges Ein- und Ausatmen ist zu hören, kein Scheppern anschlagender Gewichte, kein Schnaufen auf der Flachbank wie sonst üblich. Doch im hinteren Teil des Raums, versteckt zwischen Rückenstreckern und Schulterpressen, trainiert Nihat. Er trägt ein enges rotes T-Shirt, die schwarzen Haare sind nach hinten gegelt. Mit seinem linken Arm führt er 15 Kilogramm an seinen Oberkörper heran, die Ader über dem Bizeps pocht.

"Zu dieser Uhrzeit ist es hier sehr gemütlich", sagt der 31-Jährige, "am Nachmittag ist hier wirklich viel los." Seit vier Monaten trainiert Nihat regelmäßig, die Öffnungszeit von 24 Stunden kommt ihm sehr entgegen. Nach dem Hanteltraining ist Nihats eineinhalbstündiges Programm beendet, 1.20 Uhr zeigt seine Armbanduhr. "Nachtschichtler können nicht schlafen", erklärt der Audianer. Obwohl er gerade Urlaub hat, müsse er trotzdem seinen Rhythmus halten. Normalerweise trainiere er mehrmals wöchentlich, immer nach der Arbeit, von 6 bis 7.30 Uhr.

Während der Urlaubstage komme er schon kurz nach Mitternacht. "Ich trainiere den ganzen Körper, an den Beinen arbeite ich aber besonders", erklärt Nihat, der auch defensiver Mittelfeldspieler beim FC Hepberg ist. Nach einem Muskelfaserriss in der Leiste musste er eine Zeit lang pausieren, das fiel ihm schwer: Ohne regelmäßiges Workout fühlt er sich schlaff. "Außerdem will man ja im Sommer zeigen, was man hat." Außer Proteinshakes und ein paar Ergänzungsmitteln aus der Apotheke nimmt er aber nichts, der Muskelaufbau soll natürlich ablaufen. "Wer Komplexe hat, dem bringen die ganzen Muskeln auch nichts", meint Nihat, "man muss in erster Linie Selbstachtung haben."

Bei all der Verausgabung rinnt schon mal der eine oder andere Schweißtropfen auf die Trainingsgeräte, hier beginnt die Arbeit von Ivan Banicek: "Ich liebe Ordnung und Sauberkeit", betont der Rentner. 1.30 Uhr ist es mittlerweile, Baniceks Dienst ist aber noch lange nicht beendet. 38 Jahre hat er bei Audi als Schweißer in der Nachtschicht gearbeitet, seit einigen Monaten verdient er sich im Fitnessstudio etwas dazu: Von 22 bis 5 Uhr reinigt er die Anlagen. Banicek sieht für sein Alter vorbildlich fit aus, dabei trainiert er selber gar nicht im Studio. "Dafür müsste ich ja Mitglied sein. Außerdem habe ich mit den Geräten hier schon genug zu tun." Der Umgang mit Menschen ist für ihn das Schönste an seiner Arbeit. "Viele, die hier her kommen, erkennen mich auf der Straße wieder und geben mir die Hand, das ist schon ein gutes Gefühl." Nach 23 Uhr seien vor allem viele Spätschichtler aus der Audi da, unter ihnen auch viele ältere Herren. "Bewegung ist schließlich besser als nur Fernsehen."

Auf den Laufbändern und Fahrrädern ist beides möglich: Wem hier beim Strampeln und Rennen langweilig wird, der kann auf den Bildschirmen an den Säulen Sportübertragungen und Model-Fotoshootings verfolgen. Um 1.45 Uhr wird gerade ein altes Fußballspiel gezeigt, die Musik im Studio läuft ohne Pause, so kommt trotz der großen Leere keine Geisterstimmung auf. Georgi (19) stören die leeren Geräte nicht, er ist ganz mit seiner Laufstrecke beschäftigt. "Ich hab’ das Hügel-Profil eingestellt. Das Tempo steigt gerade", erklärt der Lockenkopf und deutet auf das grüne Display vor sich. Seine Position auf dem virtuellen Gebirgsstück kann er immer verfolgen, im Moment geht es bergauf. Eine Stunde schafft er maximal auf dem Laufband, Krafttraining macht ihm aber mehr Spaß. "Mein Lieblingsgerät ist die Schulterpresse." Im Fitnessstudio ist Georgi meistens am Sonntag und Donnerstag, als nachtaktiver Mensch kommt er manchmal erst nach Mitternacht. Der Grund für seinen sportlichen Ehrgeiz: "Ich liebe gutes Essen!" Bei seinen früheren Maßen habe er mehr Bewegung bitter nötig gehabt. 90 Kilo war sein Startgewicht, bei 1,74 Metern Körpergröße deutlich zu viel. Mittlerweile sind es noch 80, zehn Kilogramm sollen noch runter, dann ist sein Idealgewicht erreicht. "Abzunehmen ist aber schwerer als Muskeln aufzubauen."

Nach 2 Uhr ist dann auch Georgi mit seinem Programm fertig. "Das gibt morgen sicher ’nen Muskelkater", klagt er zufrieden und holt sich noch einen Proteinshake aus dem Automaten. Während er trinkt, betrachtet er die Fotos der durchtrainierten Athleten an der Wand. Breite Oberkörper, schmale Hüften, straffe Bauchmuskeln. Ein weiter Weg liegt noch vor ihm.