Ingolstadt
Schöner wohnen auf dem Schlachtfeld

Berühmtes Osmanenzelt im Armeemuseum wird dokumentiert - Es soll ab Herbst wieder zu sehen sein

30.07.2020 | Stand 02.12.2020, 10:51 Uhr
  −Foto: Eberl

Ingolstadt - Carlo Paggiarino trägt bei der Arbeit gern eine Camouflage-Hose mit Dschungel-Tarnmuster.

Er ist dem Militärischen sehr zugeneigt, gerade in Bayern. Der renommierte Fotograf aus Mailand hat 2017 für seinen mächtigen Bildband "The Bavarian Army Museum" (190 großformatige Fotos, 272 Seiten, vermutlich schussfest) ein Arsenal aus Glanzstücken des Armeemuseums im Neuen Schloss mit hohem technischen Aufwand abgelichtet. Paggiarino ist ein Freund des Hauses. Jetzt kehrte er zurück, mit einer Fotoausrüstung, die einen Transportpanzer füllen würde, und nahm sich ein Exponat vor, das zu den beliebtesten des Museums zählt: Das prachtvolle Zelt des osmanischen Großwesirs Süleyman Pascha, erbeutet 1687 in der Schlacht bei Mohács von den siegreichen bayerischen Truppen unter Führung des Kurfürsten Maximilian II. Emanuel. Ein kleiner Feldpalast aus Leinen, Seide und Wolle.

Als das Schloss 2014 ausgeräumt wurde, um Platz für die Landesausstellung "Napoleon und Bayern" zu schaffen, wanderte auch das berühmte Osmanenzelt ins Depot. Das Museumsteam nutzt die Phase der Leere, um die 1972 eröffnete Dauerausstellung komplett zu überarbeiten. Teil 1 im Parterre und im ersten Stock wurde vor einem Jahr der Öffentlichkeit präsentiert. Dort soll im Herbst auch das Osmanenzelt wieder zu sehen sein: in einem eigenen Raum, ganz neu inszeniert.

Paggiarino hat in einem Saal im zweiten Obergeschoss, wo an Teil 2 der Dauerausstellung gearbeitet wird, ein Gerüst aufgebaut. Der Fotograf klettert die Eisentreppe hoch und richtet in gut fünf Metern Höhe das Objektiv durch eine Öffnung senkrecht nach unten. Dort liegt, ordentlich gefaltet, die großflächige Wand des Osmanenzelts aus dem 17. Jahrhundert. Meter für Meter lichtet es der Italiener im Dienst des Freistaats Bayern ab. Scheinwerfer strahlen von allen Seiten. So dokumentiert er akribisch eine historische Preziose von Rang. "Das Schlafzelt des Großwesirs ist sehr bedeutend, ein Unikat", sagt die Historikerin Sarah Maria Lorenz. Sie erforscht das Exponat und dessen bewegte Geschichte im Auftrag des Armeemuseums. Mit einer historischen Zeichnung, die das Feldlager der osmanischen Armee zeigt, könne man rekonstruieren, dass es sich tatsächlich um Süleyman Paschas mobiles Schlafgemach handle. "Das war kein Mannschaftszelt", sagt der Leiter des Armeemuseums Ansgar Reiß. 1687 war die Beute der Bayern noch fetter: Das Zelt gehörte zu einem Ensemble ähnlich fürstlicher Unterkünfte; die Osmanen verloren auch ungezählte Kanonen und Kriegskassen mit wertvollem Inhalt.

Eine Beute dieses Kalibers sei selten, erklärt Tobias Schönauer, Konservator im Armeemuseum. "Die meisten Stücke von den Osmanen, die wir haben, waren Geschenke von Gesandten oder wurden einst gekauft. "

Das Schlafzelt seines Feindes, des Großwesirs, war für Max Emanuel natürlich der Hauptgewinn. Entsprechend ausgiebig zelebrierte der prunkbeseelte bayerische Kurfürst seine dekorative Trophäe. Er nutzte Süleymans Zelt weiter, ließ es für Feste aufbauen und seine Gäste darin bewirten - wie eine Art vormodernes Partyzelt; was für eine Demütigung der Osmanen. "Max Emanuel hat sich als großer Türkensieger inszeniert, das Osmanenzelt war dafür ein zentrales Teil zur Feier seiner Herrschaft", erzählt Reiß. De-monstrative Glorie tat not, "weil es in der Geschichte der bayerischen Armee ja nicht allzu viele Siege gibt", ergänzt der Konservator Daniel Hohrath, der Uniformexperte des Museums.

Max Emanuels Großmachtambitionen im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 1714) scheiterten fürchterlich. 1705 besetzten kaiserliche österreichische Truppen die Stadt München. Schlimmer ging es nicht mehr.

Der Kurfürst starb 1726. Und sein Türkenzelt erfreute sich weiter großer Beliebtheit. 1800 ließ es Napoleon Bonaparte auf seinem Siegeszug durch Bayern konfiszieren und nach Frankreich schaffen; erneut avancierte das Zelt des Großwesirs zur Kriegstrophäe. 1805 verbündeten sich Franzosen und Bayern, 1807 bekamen sie das Stück von Napoleon zurück. Und nutzten es weiter alles andere als museal. Möglicherweise wurde das Zelt 1810 anlässlich der Hochzeit des bayerischen Kronprinzen Ludwig aufgebaut - auf jener Münchner Wiese, die später nach Ludwigs Gattin Therese von Sachsen-Hildburghausen benannt wurde: Theresienwiese; es war das erste Oktoberfest, mitsamt einem kleinen Wiesn-zelt türkischer Herkunft.

1828 zog die halbe bayerische Armee ins Manöver. Auf einer Darstellung des Heerlagers bei Augsburg ist das kreisförmige, zwölfeckige, rote Zelt zu erkennen. 1838 wurde es zum letzten Mal genutzt. "Die Musealisierung erfolgte langsam", sagt Hohrath. Es gedieh die Einsicht, dass man Historisches konservieren muss. In der Sammlung des 1879 von König Ludwig II. in München gegründeten Bayerischen Armeemuseums bekam das Zelt einen zentralen Platz.

Es bietet rund 16 Quadratmeter Fläche samt Blumenpracht. "Die floralen Elemente sind aus Seide, sie wurden auf das Leinen aufgetragen", erklärt Sarah Lorenz. "Außen wurde das Zelt mit Wolle verstärkt, das sorgte auch für mehr Wärme. "

Die junge Wissenschaftlerin hat in Augsburg Geschichte studiert. Sie schrieb ihre Bachelorarbeit über einen kunstvollen, wohl in Ägypten gewobenen Teppich, der zum Osmanenzelt-Ensemble gehörte. So entstand der Kontakt zum Armeemuseum. "Die Arbeit ist so gut, dass wir Frau Lorenz gefragt haben, ob sie den Katalog über das Zelt verfassen möchte", erzählt Tobias Schönauer. Das tut sie nun. Sarah Lorenz ist Assistentin am Römischen Institut der Görres-Gesellschaft - "als erste Frau seit 1888", erzählt sie, dem Jahr der Gründung. Derzeit promoviert sie über die Flotte Roms im 16. Jahrhundert, eine Kriegsflotte wohlgemerkt. Titel der Doktorarbeit: "Die Galeeren des Papstes. " Sarah Lorenz ist dem Militärischen sehr zugetan. Auch für sie gibt es also im Bayerischen Armeemuseum noch einiges zu entdecken.

DK