Ingolstadt
SPD-Kandidat tritt nach Tweet zurück

Can Devrim Kum hatte sich zum Türkei-Einsatz geäußert - und einen Shitstorm ausgelöst

16.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:00 Uhr
Der SPD-Kommunalpolitiker Can Devrim Kum hat sich nach einem missverständlichen Tweet von allen politischen Ämtern zurückgezogen. Auf dem Bild sieht man ihn nach der SPD-Vorstandswahl im März. Rechts sieht man den OB-Kandidaten Christian Scharpf, 3.v.l. ist Kreisvorsitzender Christian De Lapuente. −Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Als Can Devrim Kum am 9. Oktober auf seinen extra für die Kommunalwahl angelegten türkischen Profilen in den sozialen Netzwerken diesen Beitrag absetzt, ahnt der 50-Jährige nicht, dass er deswegen wenige Tage später seine politische Karriere in der SPD beenden wird.

Die Türkei hat soeben ihren Militäreinsatz im Nordosten Syriens begonnen. Im Beitrag sieht man ein Bild, auf dem ein Soldat neben einem Mädchen kniet, im Hintergrund erkennt man ein Militärfahrzeug, auf dem die türkische Flagge prangt. Darüber fliegt eine Friedenstaube.   „Möge Allah unsere Mitglieder der türkischen Streitkräfte beschützen“, schreibt Kum  auf Türkisch. Den „gedankenlosen Gegnern“ wünsche er, ihre Fehler sehr bald zu verstehen und sich von ihnen abzuwenden – so in etwa die Übersetzung. Es taucht in dem kurzen Text auch der Begriff „heldenhaft“ auf. 

Bald darauf  entsteht ein Shitstorm. Einige Nutzer werfen Kum und auch der SPD – schließlich ist Kum stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender und Ortsvereinsvorsitzender im Norden – sogar „Kriegstreiberei“ vor. Es ist die Zeit, in der auch andernorts heftig über salutierende Fußballer und unglückliche Likes von deutschen Nationalspielern diskutiert wird. Die Kritik an Kum wird so massiv, dass die SPD am Dienstagabend eine außerordentliche Vorstandssitzung ansetzt. Kum soll sich erklären. Das Ergebnis: Der SPD-Vorstand steht zu seinem Mann, der versichert, kein Kriegstreiber sondern missverstanden worden zu sein. In der Türkei sei es üblich, solche Wünsche auszusprechen – egal, aus welchem politischen Lager man komme. 


Noch am selben  Abend wird eine gemeinsame  Erklärung herausgegeben: „Ich bedaure, nicht erkannt zu haben, dass die in der Türkei gebräuchlichen Redewendungen in Deutschland zu Missverständnissen führen. Mein Wunsch ist es, dass die beteiligten Zivilisten und Soldaten den Konflikt unbeschadet überstehen“, schreibt Kum darin. Er habe sich in der Vergangenheit wiederholt gegen den türkischen Präsidenten Erdogan positioniert. „Insbesondere gilt dies natürlich für militärische  Operationen, die über legitime Sicherheitsaspekte der Türkischen Republik hinausgehen.“ 


In derselben Erklärung verurteilt der Vorstand der SPD  gemeinsam  „den völkerrechtswidrigen türkischen Einmarsch in Syrien scharf, hat die Erklärung von Can Devrim Kum angenommen und ruft alle Beteiligten zum Frieden auf“.  Kums privater türkischer Twitter-Account, über den er den Tweet abgesetzt hatte, ist mittlerweile gelöscht, ebenso die Facebook-Seite. 
Doch längst hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die nicht mehr aufzuhalten ist. Der Bayerische Rundfunk hat Wind von der Sache bekommen – und nach Kums öffentlichem Bekenntnis hagelt es Beschimpfungen aus dem anderen politischen Lager der türkischen Community. 
Kum sei noch am selben Abend unter anderem als „Volksverrräter“ tituliert worden, erklärt am Mittwochvormittag SPD-Kreisvorsitzender Christian De Lapuente gegenüber dem DK. Zahlreiche Hassbotschaften hätten ihn erreicht – sodass über Nacht in Kum die Entscheidung gereift sei, daraus Konsequenzen zu ziehen. 

In einem Telefongespräch hat Kum De Lapuente seinen Rückzug aus allen Ämtern angekündigt, ebenso den Verzicht auf die Stadtratskandidatur. Kurz darauf legte er das dem SPD-Vorstand auch schriftlich vor.  
„Das ist mein letzter Dienst für die SPD“, sagt Kum am Nachmittag im Gespräch mit dem DK. Sicher hätten die Anfeindungen auch eine Rolle gespielt, aber nicht die einzige: „Mein Ansinnen war, weiteren unnötigen Schaden, der durch mein Verhalten entstanden ist, von der SPD fernzuhalten.“ Denn es sei ohne Frage ein Fehler gewesen, „das so zu veröffentlichen“. Er hätte vor der Veröffentlichung einfach innehalten und überlegen müssen, was mit den Formulierungen transportiert wird. Im Türkischen seien Begriffe wie „heldenhaft“ oder „Streitkräfte“ keine politisch aufgeladenen Begriffe. Übersetze man das aber eins zu eins ins Deutsche, klinge das ganz anders.   „Aber das Geschriebene kann man nicht mehr aus der Welt schaffen.“


Das findet auch Kreisvorsitzender De Lapuente: „Er hat dieses Missverständnis reingebracht.“ Allerdings müsse man schon bedenken, dass es hier um keinen SPDler der vordersten Front mit 40 Jahren kommunalpolitischer Erfahrung gehe, sondern um einen Mann, der eher am Anfang seiner politischen Karriere stand. Tatsächlich war Kum erst im April in den SPD-Kreisvorstand gewählt worden, 2015 zum Ortsvorsitzenden der SPD im Norden.  Nun müssen Nachfolger  gefunden werden. Im Vorstand wird Kums Platz wohl vor den Kommunalwahlen nicht mehr besetzt – es gibt ja noch weitere Stellvertreter. Auf der Stadtratsliste – Kum kandidierte auf Platz 21 – rücken alle anderen einfach einen Platz auf, erster Nachrücker ist Vitus Witty.

 

KOMMENTAR

Nicht nur die Türkei ist ein gespaltenes Land. Die Gräben dort, die unter dem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan immer tiefer werden, spalten auch Familien und Gemeinschaften in Deutschland – nicht zuletzt in Ingolstadt, wo besonders viele Menschen mit türkischen Wurzeln leben. Das zeigen auch die heftigen Reaktionen auf den Tweet, den der Kommunalpolitiker Can Devrim Kum zur Syrien-Offensive der Türkei abgesetzt hat. Wenn es um türkische Politik geht, kochen auch hierzulande die Emotionen hoch, bei Weitem nicht das erste Mal. Bei aller berechtigten Kritik an Kums misslungenem Tweet: Wo bleibt – gerade wenige Monate vor der Kommunalwahl – eigentlich die leidenschaftliche Diskussion in der türkischen Community über die Zukunft ihrer Heimatstadt?

 

Thorsten Stark