Ingolstadt
Wirtschaftskrimi mit verschwundenen Akten

In der Millionenklage gegen ehemalige Chefs des Herrenausstatters Bäumler regt das Landgericht eine gütliche Einigung an

08.10.2019 | Stand 23.09.2023, 8:53 Uhr
Für die Bäumler AG sind die Lichter am damaligen Unternehmenssitz in der Despagstraße nach der Insolvenz im September 2009 ausgegangen. −Foto: Rössle/Archiv

Ingolstadt (DK) Zum zehnten Mal hat sich im September der Zusammenbruch des traditionsreichen Ingolstädter Herrenausstatters Bäumler gejährt.

Doch von einem Ende der Auswirkungen des kolossalen Kollapses sind wir alle offenbar noch ein gutes Stück entfernt. Das betrifft sowohl das Insolvenzverfahren, bei dem nach wie vor viele Gläubiger auf ihr Geld warten, als auch den damit verwobenen Prozess am Landgericht Ingolstadt, mit dem Insolvenzverwalter Martin Prager noch möglichst viel Geld für die Insolvenzmasse sichern möchte. Sieben Jahre läuft nun auch schon die Millionenklage, mit der sich die letzten Vorstände der Bäumler AG, Sanjiv Singh und Richard Lohner, konfrontiert sehen. Beide kämpften im Sommer 2009 mit der Belegschaft um den Fortbestand der Premium-Anzugmarke. Letztlich mussten die Manager aber am 9. September 2009 zum Ingolstädter Amtsgericht und dort den Insolvenzantrag stellen. Auch dem eingesetzten Insolvenzverwalter Prager gelang es nicht, das Haus zu retten. Wie der bekannte Sanierungsexperte allerdings mit einem Gutachten festgestellt haben will, soll die Bäumler AG bereits viel früher, als der Vorstand mit dem Gang zum Gericht die Pleite eingestand, schon zahlungsunfähig gewesen sein - und zwar spätestens Ende Juli 2009.

Danach hätten die Vorstände noch Zahlungen an Lieferanten getätigt, obwohl sie das gar nicht mehr gedurft hätten. Dafür fordert Prager rund 4,65 Millionen Euro Schadenersatz. Ein übliches Vorgehen in der Branche ist es dabei, den Firmenchefs nach ihrer sogenannten D&O-Versicherung (Directors & Officers) zu trachten, die Unternehmen für ihre Führungskräfte abschließen. Bei Bäumler war diese auf vier Millionen Euro gedeckelt.

Für Singh und Lohner geht es aber vor allem um den Ruf, und so stemmen sich die beiden Männer, die nach dem Zusammenbruch Bäumlers weiter erfolgreich in der Textilbranche arbeiten, vehement gegen den erhobenen Vorwurf. Bei einem mündlichen Verhandlungstermin in Ingolstadt gestern betonten beide, dass sie sich nichts vorzuwerfen und stets korrekt gehandelt hätten. "Am 26. August 2009 abends war die Welt zwar nicht in Ordnung, aber die Mittel waren da, wir waren liquide", betonte Singh. Doch an jenem Abend habe der ausschließliche Geldgeber, die Gläubigerbank GMAC, ihnen "völlig überraschend" die Kreditlinien gesperrt. Danach habe man sofort alle Zahlungen für offene Rechnungen gestoppt - damit aber eine Lawine losgetreten (keine Waren, keine Einnahmen), die letztlich nur mehr in der Insolvenz enden konnte. Vergeblich war der Versuch, das von GMAC geforderte Sanierungsgutachten, das Mitte August 2009 von Bäumler vorgelegt worden war, nach dem 27. August innerhalb weniger Tage zu aktualisieren und den aktuellen Finanzstand aufzuzeigen. Es blieb beim Entwurf.

Der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit ist der zentrale Kern der Millionenklage vor der Handelkammer des Landgerichts, die ein eigenes Gutachten (inklusive Ergänzungsgutachten) zu dieser Frage in Auftrag gegeben hat. Wegen der immensen Datenmenge zog sich dessen Erstellung über viele Monate hin. Gestern stand der Sachverständige Wilhelm Hauser, Professor aus Saarbrücken, den Prozessbeteiligten dazu Rede und Antwort. Die meisten Fragen stellten die Beklagten, was ein untrügliches Zeichen dafür ist, in welche Richtung das Gutachten ausgefallen ist. "Nicht gerade Wasser auf die Mühlen", stellte auch der Vorsitzende Richter Franz Kugler fest. Bäumler soll nach der Expertise des Gutachters schon den ganzen August durchgehend mit einer Unterdeckung gearbeitet haben, also zahlungsunfähig gewesen sein. Das dem Bäumler-Vorstand im August 2009 vorliegende Sanierungsgutachten bezeichnete Hauser dabei als fehlerhaft, da dort falsche Daten aus der Buchhaltung eingearbeitet worden seien.

Trotz des vorliegenden Sachverständigengutachtens sei die Sache aber bei Weitem noch nicht entscheidungsreif, sagte Richter Kugler. Die Kammer interessiert sich durchaus noch für die subjektive Lage der beiden Beklagten, die im Sommer 2009 unter gewaltigem Druck gestanden hätten. Außerdem ist die Frage offen, warum GMAC so überraschend die Kreditlinie einfror.

Das alles klingt nach einem spannenden Wirtschaftskrimi, der sogar noch eine Steigerung dadurch erfährt, dass damals aus dem vierten Stock der Bäumler-Firmenzentrale Dutzende Aktenordner verschwunden sind, als der Insolvenzverwalter schon die Hand drauf hatte. "Wir sind in akuter Beweisnot, der wir auch nicht Herr werden", sagt der Rechtsbeistand der beklagten Bäumler-Manager.

Nicht nur deshalb brachte Richter Kugler noch einmal eine gütliche Einigung ins Gespräch. Seinerzeit nach Prozessbeginn lagen beide Seiten weit auseinander: Der Forderung nach zwei Millionen (Hälfte der Versicherungssumme) standen 500000 Euro gegenüber, die von der Versicherung geboten wurden. "Die Annäherung müsste ganz klar von der Gegenseite kommen", sagte Klägervertreter Martin Jungclaus aus der Prager-Kanzlei, deutete aber auch selbst noch einen gewissen Spielraum an. Mit dem Ergebnis des Gutachtens und der Verhandlung soll nun die Bäumler-Versicherung konfrontiert werden.

Christian Rehberger