Ingolstadt
"Plötzlich will sich jeder impfen lassen"

Bundesgesundheitsminister wirbt für Grippeschutz - aber Ärzten und Apotheken fehlen die Impfdosen

21.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:55 Uhr
Nur noch wenig Impfstoff gegen die Influenza gibt es in den Ingolstädter Arztpraxen. −Foto: Hammer

Ingolstadt - Kleiner Piecks mit großer Wirkung: Vor wenigen Tagen hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (am Mittwoch selbst positiv auf das Coronavirus getestet) vor laufenden Kameras gegen Influenza impfen lassen - um damit auf die Notwendigkeit der Grippeimpfung gerade in Zeiten der Corona-Pandemie aufmerksam zu machen. Ein möglichst großflächiger Schutz gegen die Grippe soll das Gesundheitssystem entlasten und in den Krankenhäusern Kapazitäten für Coronapatienten schaffen. Blöd nur: In vielen Arztpraxen und bei den Apotheken ist dieser Tage nur wenig oder gar kein Grippeimpfstoff vorrätig - auch in Ingolstadt. Erst für Mitte November wird die Auslieferung der nächsten Grippeimpfstoffe erwartet.

Dabei stehen heuer in Deutschland so viele Impfdosen zur Verfügung wie nie zuvor. Rund 26 Millionen Dosen sollen in dieser Grippesaison verimpft werden - eine Rekordzahl, wie Thomas Metz, Pressesprecher der Bayerischen Apothekenkammer, auf Anfrage unserer Zeitung sagte. Der Impfstoff werde, wie jedes Jahr, nicht auf einmal, sondern nach und nach produziert und ausgeliefert. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts waren in der 42. Kalenderwoche Mitte Oktober rund 20,4 Millionen Impfstoffdosen freigegeben. Was heuer anders ist als sonst: Sehr viele Menschen kommen dem Aufruf der Politiker nach und wollen sich gegen Grippe impfen lassen - allerdings in einer sehr frühen Phase. Metz spricht diesbezüglich von einem "Vorzieheffekt", der letztlich zu dem gegenwärtigen Engpass geführt habe. Die beste Zeit für die Grippeimpfung sei Ende Oktober bis Mitte November. "Dann habe man, wenn die eigentliche Grippewelle kommt, den besten Immunstatus", so Metz.

Dass sich heuer deutlich mehr Menschen als sonst gegen Grippe impfen lassen wollen, bestätigen auch Ingolstädter Ärzte. Die Nachfrage sei groß, "aber wir müssen die Leute um Geduld bitten", sagt der Ingolstädter Hausarzt Anton Böhm. "Ständig rufen die Leute an", sagt der Arzt, der gegenwärtig nach einem Triage-System impft. Erst kämen die alten und kranken Menschen dran, dann die jungen und gesunden. "Ich kann nicht in einer Firma lauter junge Leute impfen, wenn ich keinen Impfstoff für die 80-Jährigen hab", so Böhm. Eine Einstellung, die ihm als Betriebsmediziner schon harte Kritik eingebracht habe. Eine Firma habe ihm deshalb sogar gekündigt, erzählt er.

Dabei habe er heuer im Frühjahr so viel Impfstoff bestellt wie nie zuvor. In Böhms Praxis in Gerolfing, wo ihm 190 Dosen zugesagt worden seien, habe er nur 20 bekommen. "Es tröpfelt nur." Von einem Kollegen aus Lenting weiß er, dass dieser überhaupt keinen Impfstoff bekommen habe. Auch in anderen Arztpraxen in Ingolstadt und Umland ist, was den Influenzaimpfstoff anbelangt, Flaute angesagt. "Ich habe zurzeit keinen, erwarte ihn für Mitte, Ende November", so Thomas Lips aus Kösching. "Plötzlich will sich jeder impfen lassen." Noch schlimmer sei der Engpass beim Impfstoff gegen Pneumokokken. Lips: "Da warte ich schon seit vier Monaten auf eine Lieferung."

Einen deutlichen Anstieg bei Grippeimpfungen hat auch die Ingolstädter Hausärztin Ingeborg Spreng beobachtet. Auch sie wartet sehnlich auf die nächste Impfstoff-Lieferung. "Gleich nach dem Sommer hatten wir viel. Doch der war schnell weg."

Den Engpass bestätigt auch der Ingolstädter Apotheker Stephan Kurzeder. Er bekomme täglich im Durchschnitt 20 bis 25 Anfragen. Dass, was Ärzte im Februar oder März bei ihm bestellt hätten, habe er ausliefern können. Wenn die Ärzte jetzt "weitgehend alles verspritzt haben", müsse man sich auch fragen, ob sie vielleicht zu wenig bestellt haben.

Noch schlechter gestellt als Kassenpatienten sind bei der Grippeimpfung Privatpatienten. Sie müssen sich ihre Impfdosen selbst in der Apotheke besorgen und diese dann in die Arztpraxis mitbringen. "Von den Einzelverpackungen ist noch gar nichts gekommen", so Kurzeder. Hier habe er "sehr, sehr viele Reservierungen vorliegen."

Covid 19, gegen das es noch keinen Impfstoff gibt, hat heuer einen richtigen Run auf die Grippeimpfung verursacht. Dabei ist die Schutzwirkung der Influenzaimpfung geringer als bei vielen anderen von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. "Die Wirksamkeit wird am Ende der Saison evaluiert", sagt Thomas Metz von der Apothekerkammer. Laut Robert-Koch-Institut hängt die unterschiedliche Effektivität von verschiedenen Faktoren ab. Die Zusammensetzung des Impfstoffs wird jährlich aktualisiert. Dennoch ist laut RKI möglich, dass die in der folgenden Saison hauptsächlich auftretenden Influenzaviren nicht gut mit den im Impfstoff enthaltenen Virusstämmen übereinstimmen, weil sich in der Zwischenzeit andere Virusstämme durchgesetzt haben. Auch im Verlauf der Grippesaison kann sich die Schutzwirkung ändern.

Bei einer sehr guten Übereinstimmung der zirkulierenden Influenzaviren mit dem Impfstoff wurde bei jungen Erwachsenen eine Schutzwirkung bis zu 80 Prozent beobachtet, so das Robert-Koch-Institut. Bei älteren Menschen sei die Wirkung geringer. Sie könnten ihr Risiko, an Influenza zu erkranken, im Mittel durch die Impfung in etwa halbieren, teilt das RKI auf seiner Internetseite mit.

DK

Ruth Stückle