Online im Pausenhof - dürfen die das?

20.09.2019 | Stand 02.12.2020, 13:01 Uhr
Das Handy immer dabei: (v. l.) Cornelia Köpf, Annalena Hacker, Marie Hammer aus der 7. Klasse der Gnadenthal-Realschule −Foto: Hammer

Das Bayerische Kultusministerium hat vor einem Jahr ein ungewöhnliches Pilotprojekt gestartet: In 135 Schulen sollen Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam Regeln für die private Nutzung von Handys in den Schulen entwickeln; die ist bisher untersagt. Zwei Ingolstädter Schulen nehmen an dem Versuch teil, darunter die Ickstatt-Realschule. Sechs Schülerinnen und Schüler, eine Lehrerin und die Direktorin berichten über Hürden und Fortschritte.

Ingolstadt (DK) Die Pause hat begonnen und Dutzende kleine Bildschirme erleuchten die Gesichter ihrer jungen Besitzer. In kleinen Gruppen stehen die Schüler auf dem Pausenhof der Ickstatt-Realschule und schauen auf ihre Handys, manche vertieft, manche nur beiläufig. An bayerischen Schulen ist dies ein ungewohntes Bild. Darin steckt jedoch ein tieferer Sinn:

Seit einem Jahr läuft ein Schulversuch an 135 Schulen in ganz Bayern, bei dem Schüler, Lehrer und Eltern Lösungen finden sollen, wie die private Handynutzung an Schulen sinnvoll geregelt werden kann. Zwei Schulen aus Ingolstadt nehmen daran teil: Das Apian-Gymnasium und die Ickstatt-Realschule. Am Apian-Gymnasium ist man noch am Diskutieren, und es liegen bisher keine konkreten Ergebnisse vor.

Eine Lösung zu finden, ist alles andere als einfach. In einer Gesprächsrunde erzählt die Leiterin der Ickstatt-Realschule, Johanna Mödl, zusammen mit den Neuntklässlern Nicole Reder (14), Gilda Pilinkute (15), Marius Werfl (14), Galini Karazelidou (15) und den Sechstklässlern Tim Flade (11) und Julius Koppmeyer (12) sowie Anja Habermeyer, Lehrerin und Medientutorin, von den bisher getroffenen Maßnahmen sowie den Schwierigkeiten, mit denen sie dabei konfrontiert wurden.

Wie wichtig das Handy für die Schüler ist, wird gleich zu Beginn des Gesprächs klar, als die Schüler darüber erzählen, wie häufig sie es am Tag nutzen: "Drei bis vier Stunden benutze ich schon mein Handy", gibt Julius zu. "Aber das ist ja auch davon abhängig, ob man Ferien oder Schule hat", fügt Nicole hinzu. In der Schulzeit ist es ihr zufolge so, dass man das Handy immer ausgeschaltet hat und eher lernt, als sich mit dem Handy zu beschäftigen. In den Ferien können es bei Gilda schon auch mal sechs Stunden werden, die sie mit ihrem Smartphone verbringt. "Hauptsächlich wegen Netflix-Streaming", begründet sie. Auch die Nachrichtendienste nehmen viel Zeit der Schüler in Anspruch: "Ich bekomme ein paar Hundert WhatsApp-Nachrichten am Tag", sagt der elfjährige Tim. Das könne dann schon stressig werden. "Eigentlich würde es schon klappen, das Handy in den Schulalltag zu integrieren, aber viele nutzen das aus", sagt Marius. Er ist dafür, das Handy ganz aus der Schule zu verbannen: "Man vergisst echt alles, was man gelernt hat, wenn man danach gleich ans Handy geht."

"Die schulische Handynutzung ist ja immer schon erlaubt", sagt Mödl. Die private Nutzung in der Schule ist jedoch in Bayern gesetzlich geregelt (Artikel 56 BayEUG). "Ein Verbot, wie es da geschrieben steht, ist im Grunde keine Möglichkeit, denn wenn ich etwas verbiete, lerne ich es nicht", so Mödl. Anja Habermeyer unterrichtet seit zehn Jahren an der Ickstatt. Ihr zufolge kam es in den letzten Jahren vermehrt vor, dass sich die Schüler nicht mehr an diese Regel hielten und während der Unterrichtszeit auf ihr Handy schauten. Eine Möglichkeit bestand dann darin, dem Schüler das Handy abzunehmen und es ihm nach dem Unterricht wieder auszuhändigen. Logistisch sei das jedoch gar nicht so einfach gewesen, denn es konnte passieren, dass die Lehrkraft, die das Handy abgenommen hatte, bereits nach der vierten Stunde aus hatte - aber wo war dann das Handy? "Man hat dann überlegt, wie man das regeln kann, und dann kam der Schulversuch", berichtet Johanna Mödl.

Im September vergangenen Jahres erhielt die Ickstatt-Realschule den Zuschlag für das Pilotprojekt, nachdem sie sich dafür beworben hatte. An einem Infoabend wurden die Eltern der Schüler über das Vorhaben des Kultusministeriums aufgeklärt. "Da haben wir Strichlisten gemacht, wer wofür wäre, und das Ergebnis war quer aufgestellt", sagt die Schulleiterin. Die wenigsten seien dafür gewesen, das Handy ganz freizugeben, die meisten sprachen sich für eine klare Ordnung aus, und einige äußerten die Ansicht, das Handy dürfe gar nicht mehr mit in die Schule genommen werden. Seither gab es an der Schule vier Sitzungen des Schulforums. "Pflicht sind sie zwei Mal im Jahr: ein Treffen im ersten Halbjahr und das zweite im zweiten", sagt Mödl. Das Schulforum startete zu Beginn des Projekts mit acht Lehrkräften, darunter den zwei Medienbeauftragten Anja Habermeyer und Susanne Schneider, drei Elternbeiratsmitgliedern sowie Maria Bürkl, Leiterin des städtischen Schulverwaltungsamts.

"Die erste Vereinbarung, die wir hatten, war, dass in der großen Pause in einem abgesperrten Bereich alle das Handy verwenden dürfen." Dies sei von Seiten der Lehrer unterschiedlich aufgenommen worden. Viele warnten die Direktorin davor, dass das ausarten könnte. Es kam jedoch anders, als von einigen befürchtet: "Da waren wenige Ältere, eher Jüngere aus der 5. oder 6. Klasse", erzählt die 15-jährige Galini. Problematisch daran war laut Marius, dass die Schüler die Pause wohl ausschließlich für Handyspiele verwendeten und nicht zum Essen oder Trinken. Nachdem die Schulleiterin von den Lehrern auf dieses Problem aufmerksam gemacht worden war, musste eine neue Lösung her. "Wir haben im Schulforum reflektiert und dann mit den Jahrgangsstufensprechern gesprochen", so Habermeyer. Diese seien ebenfalls mit der Situation nicht zufrieden gewesen. "Sie forderten tatsächlich Konsequenzen, das hat uns sehr erstaunt", sagt Mödl. Im ersten Lösungsansatz gab es diese nämlich noch nicht.

Auch von Seiten der Eltern seien nicht alle mit der damaligen Regelung einverstanden gewesen. "Ein Vater kam während der Pause in die Schule und sah, dass sein Sohn am Handy war", erzählt die Schulleiterin. Das wollte der Vater des Schülers aber nicht.

Daher wurde heuer zum Schuljahresbeginn eine neue Regelung eingeführt, bei der die Eltern erst zustimmen müssen, bevor ihr Kind das Handy privat in der Pause nutzen darf (siehe den Kasten) "Dafür werden zunächst in der Klassenleiterstunde die Chat-Regeln mit den Schülern besprochen." Die weisen die Schüler unter anderem an, bei Mobbing nicht mitzumachen, keine unangebrachten Fotos und Videos zu verschicken und Kettenbriefe nicht weiterzusenden. Zur Erklärung: Kettenbriefe sind Nachrichten, die Falschmeldungen enthalten und dem Empfänger mit dramatischen Folgen drohen, sollte er den Brief nicht an Bekannte weiterleiten. "Vor allem in der 5. Klasse hat man vor Kettenbriefen mehr Angst und schickt sie weiter", erklärt Galini. Auch die Einführung von Präventionstutoren im vergangenen Jahr und Weiterbildungsmaßnahmen für die Tutoren sollen die Schüler unterstützen. "Schüler, die für Schüler da sind - auch im Bereich Social Media Mobbing - versuchen, da zu begleiten", erzählt Habermeyer.

Die Kommunikation untereinander spielt an der Ickstatt-Realschule eine wichtige Rolle: "Wir sprechen jeden zweiten Donnerstag über die Handynutzung in der Schule", sagt Marius. Dann haben die Neuntklässler Klassenleiterstunde. Im Lehrplan ist dieses Thema laut Habermeyer inzwischen fest verankert. "Die 6. Klasse hat im ersten Block Media. Da kann man das auch noch einmal aufgreifen." Es sei wichtig, dass mit den Schülern darüber gesprochen werde. "Damit die Zusammenarbeit mit den Schülern klappt, muss man aber auch die Eltern mit ins Boot holen", sagt Mödl. Ihnen gebe man eine Wahlmöglichkeit, ob ihre Kinder in der Schule das Handy privat nutzen dürfen. "Damit versuchen wir, alle zufriedenzustellen", so Habermeyer. Die Eltern müssen daher erst eine Zustimmungserklärung für die private Nutzung abgeben. Nur dann bekomme das Kind einen Handyausweis und könne abhängig von der jeweiligen Jahrgangsstufe entweder in der ersten oder zweiten Pause das Handy im Pausenhof benutzen.

"Eltern, die dagegen sind und nicht unterschreiben, wissen wahrscheinlich, wie viel ihr Kind am Handy ist", sagt Galini. Bei der Nutzung des Smartphones ohne Handyausweis oder außerhalb der festgelegten Pausenzeit, drohen den Schülern in diesem zweiten Probelauf Konsequenzen. Um Fälschungen zu verhindern, sind die Handyausweise mit Wasserzeichen versehen. "Bisher ist noch unklar, wie diese Regelung funktionieren wird, weil wir damit ja erst gestartet sind", sagt Schulleiterin Mödl.

Im vergangenen Schuljahr habe es eine Umfrage des Bayerischen Kultusministeriums an der Schule gegeben. Anhand dieses Fragebogens, der von den Schülern an den Pilotschulen ausgefüllt wird, soll nach zwei Jahren eine Regelung für die bayerischen Schulen gefunden werden. Der nächste Fragebogen wird im kommenden Dezember eintreffen. "Wir sind noch lange nicht bei irgendeiner Weisheit angelangt", gibt die Schulleiterin zu. Demnach muss noch geregelt werden, wie man es mit der privaten Handynutzung in der Zeit zwischen Unterrichtsende und Beginn des Nachmittagsunterrichts handhabt. Die Schulleitung steht jetzt noch vor der Frage, ob die Schüler dann das Handy im Schulhaus oder draußen benutzen dürfen - oder nicht. "Bestimmt wird es wieder Punkte geben, an denen wir noch arbeiten müssen." Aber auch das sei etwas, das sich entwickeln müsse.

Bei der Frage, wer von den Schülern in der Gesprächsrunde nun schon den Ausweis beantragt hat, sind die Antworten vielfältig: Aus den Reihen der Neuntklässler heißt es ohne Zögern: "Voll unnötig!" oder "Wir können darauf verzichten." Tim aus der 6. Klasse brauche den Ausweis auch nicht. Sein Klassenkamerad Julius ist in dieser Runde der Einzige, der den Ausweis erhalten wird: "Meine Mutter hat die Erklärung unterschrieben, damit ich, falls ich es doch mal brauche, die Möglichkeit habe." Bis jetzt musste laut Mödl noch keinem das Handy abgenommen werden. Bei der Kontrolle vor dem Gespräch mit dem DK hatten der Direktorin zufolge alle brav ihr Handy ausgeschaltet. "Das Handy ist mir ganz sicher keinen Verweis wert", begründet Marius.