Ingolstadt
Öffentlich-vernachlässigter Nahverkehr

Seit fast zwei Jahrzehnten kommt die INVG bei der Zahl der Fahrgäste nicht mehr recht vom Fleck

20.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:32 Uhr
  −Foto: Fotos: Hauser

Ingolstadt (DK) Öffentliche Busse, Straßen- und U-Bahnen wissen in Deutschland kaum noch, wie sie den Kundenansturm bewältigen sollen. Der Nahverkehr wächst seit zwei Jahrzehnten unaufhaltsam. Nur in Ingolstadt nicht. Dort hat die INVG 2017 nicht einmal ganz ihr eigenes Fahrgastniveau aus dem Jahr 2000 erreichen können.

Der Chef der Ingolstädter Verkehrsgesellschaft, Robert Frank, kennt nicht nur die Zahlen aus seinem Betrieb vor Ort genau, sondern weiß auch über die überregionalen Trends in der Branche gut Bescheid, denn er leitet die Landesgruppe im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Ende 2017 hatte der Interessenverband in seiner bundesweiten Bilanz gefordert, dass der ÖPNV dringend ausgebaut werden müsse, "um die steigende Nachfrage zu decken".

Der Geschäftsführer Frank, promovierter Jurist, steht seit 2007 an der Spitze der INVG und des städtischen Busbetriebs IN-Bus. Als er damals das Kommando übernahm, hatte der Nahverkehr seine stürmische Wachstumsphase und die ersten Krisen bereits hinter sich. Sperrung, Umbau und Neugestaltung der Nord-Süd-Achse in der Altstadt markierten 2000 einen Wendepunkt: "Wir haben danach etwa 75 Prozent der Busfahrten aus der Nord-Süd-Achse herausgenommen", berichtet der INVG-Chef. "Aktuell ist die Rossmühlstraße mit rund 400 Fahrten werktäglich die Hauptachse des ÖPNV." Dahinter kommen erst die Linien über die Westtangente und die Nord-Süd-Achse, in der weiterhin die Linien 10 und 11 geblieben sind.

Die Verlagerung aus dem Stadtzentrum brachte zur Jahrtausendwende den ersten Einbruch bei den INVG-Fahrgastzahlen: Während es bis dahin kontinuierlich nach oben gegangen war bis auf 55500 Kunden pro Werktag, lief es nun in die andere Richtung.

Der zweite Schlag folgte sogleich 2004/05: kommunale Finanzkrise, Spardiktat des Kämmerers ("Konsolidierung"), Serviceeinbußen der INVG. "Wir haben das gesamte Leistungspaket etwa um 20 Prozent gekürzt", erinnert Frank an die Zeit, bevor er Chef wurde. Verbunden damit: Ganze Linien fielen weg, schlechtere Bedienung am Samstag und Sonntag. Bis 2007 - also dem Start des heutigen Geschäftsführers - war die tägliche Zahl der Kunden wieder auf unter 47000 geschrumpft.

Seitdem, das ist nicht zu bestreiten, hat die Ingolstädter Verkehrsgesellschaft zumindest ihre Infrastruktur rundum modernisiert. Der Nordbahnhof ist unter Franks Regie eine "multimediale Verkehrsdrehscheibe" geworden, wie der Chef nicht müde wird zu betonen. Rechnergestütztes Betriebsleitsystem, digitale Fahrgastinformation an großen Haltestellen, neue Busse, neue Wartehäuschen mit Beleuchtung, zentrales Kundencenter in der Mauthstraße - das alles sind wichtige Schritte, die jedoch bisher nur mäßig bei potenziellen Kunden ankommen, denen jedes Jahr mehr für die Fahrkarten abverlangt wird. Auch der mühsam nach Jahrzehnten ins Werk gesetzte Regionaltarif ist offensichtlich im Alltag noch nicht angekommen.

"Aufgrund der hohen Pkw-Verfügbarkeit und der wirtschaftlichen Produktivität in Ingolstadt", weiß der INVG-Chef, "ist hier die Konkurrenz für den ÖPNV groß. Ich halte es fast für illusorisch, im Freizeitbereich Steigerungen zu erreichen." Für Frank ist klar: An den Wochenende und am Abend eine ernsthafte Konkurrenz für den Pkw aufzubauen, würde einen viel zu großen Aufwand erfordern. Familien fahren an die Badeseen entweder mit dem Auto oder mit dem Rad, nicht mit dem Bus.

"Der Schülerverkehr muss funktionieren", lautet Franks Credo. Zweiter entscheidender Schwerpunkt: der Pendlerverkehr in den klassischen Hauptverkehrszeiten - und hier wiederum allen voran Audi. "Da setzen wir viele unserer Maßnahmen an. Wir müssen dort unsere Leistungen anbieten, wo sie der Fahrgast benötigt." Der Erfolg beim Verkauf der Audi-Jobtickets zeigte in kurzer Zeit, was hier für die INVG zu holen ist.

Doch als spontanes, alltagstaugliches Verkehrsmittel, das auch gern mal ohne große Planung genutzt wird wie in vielen anderen Städten konnte sich die INVG nicht etablieren. In ihrer Analyse sehen die Verkehrsexperten von Inovaplan Ingolstadt "nicht im Agglomerationsraum einer Großstadt", sondern als eine "überwiegend ländlich geprägte Region". Mit seinem geringen Anteil am Gesamtverkehr (Modal Split) von nur 7,4 Prozent ist und bleibt der öffentliche Nahverkehr Schlusslicht. Im Mobilitätskonzept von Inovaplan wurde die Quote 1999 noch mit neun Prozent beziffert, für 2025 wurden nur noch sechs Prozent erwartet. Frank schätzt die Lage etwas anders ein als Inovaplan und erklärt, aktuell sei der Modal Split höher, da in den letzten beiden Jahren die Fahrgastzahlen stärker als die Bevölkerung gestiegen seien.

Beim Geschäftsführer der INVG herrscht ohnehin steigende Tendenz. Wie aus Kreisen des Aufsichtsrates zu erfahren war, wurde der Manager kürzlich selbst zum Beratungsthema in nichtöffentlicher Sitzung, als von einem möglichen Wechsel an andere Wirkungsstätte die Rede war. Eine Aufbesserung der Bezüge beendete offenbar alle Spekulationen. Ohne sich dazu näher äußern zu wollen, sagte Frank zum DK: "Ich freue mich, wenn ich die Geschicke des ÖPNV weiter leiten kann, die Aufgaben sind weiterhin groß."