HINTERGRUND
Museum und Priesterseminar

22.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:11 Uhr
Die Truhe der Medizinischen Fakultät der Uni Ingolstadt. Darin wurden die wichtigsten Dokumente aufbewahrt. −Foto: Pehl

München/Ingolstadt (DK) Ein Museum, in dem junge Menschen wohnen? Nur scheinbar ein Widerspruch. Unweit des Siegestores in München gelingt dies seit vielen Jahren. Es ist das Georgianum in der Landeshauptstadt. Dessen Wurzeln liegen in Ingolstadt.

 So mancher mit der Geschichte seiner Stadt vertraute Schanzer könnte erstaunt sein, dass es auch in der Landeshauptstadt ein Bauwerk dieses Namens gibt. Verbindet der Ingolstädter doch mit diesem Begriff das seit der Jahrtausendwende leer stehende Gebäude neben der Hohen Schule, bekanntlich Sitz der ersten bayerischen Landesuniversität. Ab dem kommenden Jahr soll das nach Herzog Georg dem Reichen benannte Haus saniert werden, um 2021 mit einer neuen Nutzung wieder mit Leben erfüllt zu werden. Während in Ingolstadt dann ein Ethikinstitut der Uni Eichstätt-Ingolstadt, ein kleiner, aber feiner Veranstaltungsraum, eine Ausstellung zur Uni- und Buchdruckgeschichte sowie ein Wirtshaus in der Fasshalle (ein Anbau aus dem 19. Jahrhundert) im Georgianum eine Heimat finden, stehen in München das Priesterseminar und die Kunstsammlung im Mittelpunkt.

Doch gibt es außer dem Namen noch weitere Verbindungen. Einige der in dem Bauwerk am Professor-Huber-Platz ausgestellten Kunstwerke sind Ingolstädter Provenienz, wie die Teilnehmer einer Fahrt des Historischen Vereins Ingolstadt nach München erfuhren. Claudius Stein ist der Pfleger des Archivs und der Sammlungen des Herzoglichen Georgianums und führte durch das Haus. Als Zustiftung zur Bayerischen Landesuniveristät in Ingolstadt gegründet, wohnten dort anfangs elf Stipendiaten und ein Regens. Bis zum Weggang der Uni aus Ingolstadt war deren Zahl auf fast 100 gestiegen. Mit der Hochschule wanderte auch die Stiftung des zweitältesten Priesterseminars der Welt mit in die Landeshauptstadt, in Ingolstadt blieb allein der Name für das Gebäude.

"Das 19. Jahrhundert war die große Zeit des Georgianums", erklärte Stein den Gästen aus Ingolstadt. Sebastian Kneipp ist einer der bekanntesten Namen. 1850 erhielt der berühmte Naturheilkundler einen Freiplatz und setzte dort sein Theologiestudium fort. Tägliche Wasseranwendungen waren inzwischen zum festen Bestandteil seines Lebens geworden. Am Georgianum behandelte er zum ersten Mal heimlich Kommilitonen, die an Tuberkulose erkrankt waren, und er soll in einem Wasserbecken im Garten selber eiskalte Bäder genommen haben.

Im Jahr 1939 musste das Priesterseminar schließen. Die Nationalsozialisten richteten dort zeitweise das Sven-Hedin-Institut ein, das Reichsinstitut für zentralasiatische Forschung. Im Krieg durch Bombentreffer schwer beschädigt, konnte das Haus 1950 wieder öffnen. In diesem Jahr wohnte übrigens der wohl bekannteste Seminarist im Münchner Georgianum: Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. "Heute lebt die halbe Welt im Haus", sagt Claudius Stein. In den 50 Zimmern wohnen 15 Priesteramtskandidaten und gleich viele Priester, der Rest sind "weltliche Gäste", so Claudius - darunter sogar einzelne Protestanten.

Die Priesteramtskandidaten oder Priester werden von ihrem jeweiligen Bischof zur Ausbildung oder für ein spezielles Studium nach München geschickt, bewerben kann man sich nicht. Juristisch ist das Georgianum eine rechtsfähige, staatlich verwaltete Stiftung des Öffentlichen Rechts. So wird etwa der Regens vom Staat ernannt.

Bemerkenswert ist die Verbindung zur Kunst. Denn das Georgianum in München beherbergt rund 800 Objekte kirchlicher Kunst von der Romanik bis zum 19. Jahrhundert.

Untrennbar ist damit der Name Andreas Schmid verbunden. Der Regens hat laut Stein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewusst Kunstwerke gesammelt. Der Grund: "Die Pfarrer sollten zumindest Grundkenntnisse der christlichen Kunst haben", erklärt Stein. Deshalb hat Schmid den künftigen Geistlichen die Figuren, Gemälde, Kreuze, Monstranzen und Plastiken im Georgianum ganz bewusst vor Augen geführt.

Die Kunstwerke stammen nicht nur aus Nachlässen und Stiftungen. "Schmid hat in den Pfarrhöfen am Land und in den Speichern gestöbert, aber auch auf der Auer Dult", weiß Stein.

So entstand eine Sammlung, die die Teilnehmer der Fahrt des Historischen Vereins bei der Führung durch die langen Gänge im Hochparterre an der Ludwigstraße zunächst sprachlos machte. Wohl kaum jemand vermag sich angesichts der Präsentation und des Wertes der Kunstwerke von dem Eindruck zu lösen. Kunst ist dort im wahrsten Sinne des Wortes so unmittelbar und zum Greifen nahe wie sonst kaum in einem Museum.

"Wir haben kein Depot, alles ist ausgestellt", betont Stein. Für die Aufstellung war die Chronologie nur ein Kriterium. Ein weiteres sind die unterschiedlichen Qualitäten; "Um das Auge zu schulen", wie Stein sagt. Die Objekte werden auch in unterschiedlichen Erhaltungszuständen präsentiert. Hinzu kommt, dass Schmid hat alles neu fassen lassen. Einige Heilige und Madonnen "strahlen" in derart knallbunten Ölfarben, dass es fast schon in den Augen schmerzt. Andere sind dunkel, bei manchen platzt die Farbe ab, bei anderen wurde sie entfernt. "Alles war Teil von Kirchenausstattungen, die Objekte standen nie allein", so Stein.

Die Teilnehmer waren sich einig, dass sich die Fahrt gelohnt hat. Denn wohl kaum jemand hatte geahnt, welche Kunstwerke des Münchener Georgianums einst in Ingolstadt aufbewahrt wurden. Es wurde vereinbart, die Kontakte zu vertiefen, zumal in München noch etliches Material zur Geschichte des Georgianums lagert.Das Herzogliche Georgianum gilt als zweitältestes und einziges unter staatlicher Aufsicht stehendes Priesterseminar der Welt. Es wurde Ende 1494 von Herzog Georg dem Reichen von Bayern-Landshut an der von seinem Vater, Ludwig dem Reichen, 1472 gegründeten Universität Ingolstadt gestiftet. Die bayerischen Bischöfe erkannten das Georgianum später als ihren diözesanen Priesterseminaren ebenbürtig an. Mit der Uni wurde die Stiftung 1800 nach Landshut und 1826 nach München verlegt.