Reichertshofen
Meinungsverschiedenheiten rund um die Gebietsreform

Vor 50 Jahren kommen Langenbruck, Winden am Aign und Hög zu Reichertshofen

05.04.2022 | Stand 23.09.2023, 2:03 Uhr

Langenbruck im Jahr 1925: Die Kirche wird erweitert. Anfang der 1970er-Jahre hatte der Ort 630 Einwohner, Winden am Aign kam auf 577, Hög auf 500. Reichertshofen hatte 2386 (mit Gotteshofen 2650). Foto: Markt Reichertshofen/Ortschronik

Reichertshofen – Zeitzeugen der Gebietsreform zu finden, wird immer schwieriger. Inzwischen sind 50 Jahre vergangen, Gräben zu- und Orte zusammengewachsen, als wäre es nie anders gewesen. Doch Ende der 1960er, Anfang der 1970er-Jahre gab es Meinungsverschiedenheiten, Verhandlungen und Verträge, in denen es zum Beispiel auch um den Namen der Autobahn-Ausfahrt Langenbruck ging.

Niederschriften der damaligen Gemeinderatssitzungen – im heutigen Fall sind es die aus Reichertshofen (Bürgermeister Johann Hammerl) und der Gemeinden Langenbruck (mit Stöffel und St. Kastl / Bürgermeister Georg Moosmayr), Winden am Aign (mit Au am Aign und Agelsberg / Bürgermeister Josef Hartl) sowie Hög (mit Ronnweg und Dörfl / Bürgermeister Johann Schweiger) – beweisen, dass es durchaus Diskussionen und Forderungen gab.

Ein Zeitzeuge weiß noch, wie es damals war: Georg Ritzel, vor wenigen Tagen 90 geworden und in der Zeit der Gebietsreform SPD-Gemeinderat in Reichertshofen. „Ich war von 1960 bis 1990 im Gemeinderat und kann mich noch erinnern: Da ging es hin und her bei den Diskussionen um die Eingemeindungen.“ Ritzel erinnert sich, dass einiges „unter den Bürgermeistern“ ausgemacht wurde. „Jeder wollte doch Bürgermeister bleiben. Da ist schon gekämpft worden, am Anfang wollte da keiner nachgeben.“

Es habe sich aber alles zum Guten gewendet, sagt Ritzel, in seiner Gemeinderatszeit auch vier Jahre Dritter Bürgermeister und Träger des silbernen Ehrenrings der Marktgemeinde. „Schauen sie, was seitdem alles gebaut worden ist, was sich in der Gemeinde tut, welche Betriebe sich angesiedelt haben und noch ansiedeln werden.“

Ritzel weiß auch, was eine große Gemeinde bedeutet: „Heute kannst du mit 1000 Einwohnern doch nicht viel anfangen. Da gibt es keine Zuschüsse, da kann man nicht viel bewegen.“ Alles sei so teuer. Zum Beispiel Sportplätze, Turnhallen oder Schulen. Für eine kleine Gemeine sei das fast nicht mehr machbar.

An einzelne Diskussionen erinnert sich Ritzel nicht mehr so genau. „Aber ich weiß, es gab vor dem Zusammenschluss unterschwellig schon Vorbehalte – auch wegen unterschiedlicher Interessenslagen.“ Gut erinnern kann sich Ritzel an die damalige Position des Schreibers. „Der war oft der Chef. Die Bürgermeister waren oft Landwirte, tagsüber auf dem Feld eingespannt. Bei den Sitzungen wurden sie dann von den Schreibern, die ausgebildet waren und fit in den Verwaltungsfragen, informiert, was zu tun war.“ Ritzel sagt, die Schreiber hätten damals zusammen mit dem Doktor und dem Pfarrer kleine Gemeinden gelenkt.

Meinungsverschiedenheiten gab es natürlich. „Aber keinen Ärger“, so Ritzel. „Jeder hat damals doch gewusst, dass man mit dem Reichertshofener Bürgermeister Johann Hammerl reden kann.“ Dennoch wollte niemand seine Gemeinde aufgeben. „Das schaut immer blöd aus“, so Ritzel. „Weil viele denken, dass man nach dem Zusammenschluss nichts mehr zu sagen hätte.“ Es kam alles ganz anders. Die Marktgemeinde Reichertshofen mit all seinen Ortsteilen hat jetzt „ein ganz anderes Gewicht“.

Langenbruck (mit Stöffel und St. Kastl): Noch im März 1971 wurde im Gemeinderat Langenbruck beschlossen, zeitnah den Bürgermeister von Hög einzuladen und über eine Gemeinde-Zusammenlegung zu sprechen. Schon am 9. April wurde mit 5:1 Stimmen einer Eingliederung in die Marktgemeinde Reichertshofen zugestimmt. Grund: In der Bürgerversammlung hatte sich die Mehrheit der Bürger dafür ausgesprochen. Die Gegenstimme kam übrigens von Bürgermeister Georg Moosmayr. Vor der Eingliederung wurde festgehalten, dass der bisherige Gemeindename Langenbruck erhalten bleibt, dass die gültigen Satzungen bis 1976 in Kraft bleiben, dass die Gewerbesteuer bis 1976 in Langenbruck verwendet wird, dass das Jagdrecht erhalten bleibt oder auch, dass alle Beschlüsse des Gemeinderats Langenbruck bis 1. Juli 1972 von der neuen Gemeinde auszuführen sind. Beschlossen mit 6:1 Stimmen (Gegenstimme: Moosmayr).

Am 14. März 1972 tagte der Gemeinderat Reichertshofen (im Nebenzimmer vom Gasthof Oberbräu), es gab erste Gespräche mit dem Gemeinderat Langenbruck. Laut Protokoll waren diese – im Gegensatz zu denen mit Winden am Aign und Hög – „wohl etwas problematischer“. Dem Gremium war laut Bürgermeister Hammerl „viel daran gelegen, diese Missverständnisse auszuräumen“. Öl ins Feuer gegossen hatte damals Bürgermeister Moosmayr, der in einem Flugblatt im Februar 1972 nicht haltbare Behauptungen aufgestellt hatte (Themen: Kanal-, Straßen-, Wassergebühren, Hopfensiegelbezirk, biologische Kläranlage, altes Schulhaus). Sogar die Langenbrucker Gemeinderäte griffen damals das Flugblatt ihres Bürgermeisters scharf an.

Winden am Aign (mit Au am Aign und Agelsberg): Einstimmig votierte der Gemeinderat Winden am Aign am 3. April 1971 dafür, in die Marktgemeinde Reichertshofen eingegliedert zu werden. Mit der Erwartung, dass die Marktgemeinde Reichertshofen später dem Landkreis Pfaffenhofen zugeschlagen wird. „Die Zustimmung erfolgt vorbehaltlich einer geheimen Abstimmung der Einwohner der Gemeinde.“

Am 16. Januar 1972 wurde die Eingliederung in die Gemeinde Reichertshofen einstimmig beschlossen, der Erste und Zweite Bürgermeister sollten beratende Mitglieder im Gemeinderat Reichertshofen sein. Auch hier wurde allerhand schriftlich festgesetzt, unter anderem, dass der Schulsportplatz Langenbruck „nur den Schulkindern“ zur Verfügung gestellt werden darf. Weiter dass in Winden wöchentlich ein halbtägiger Sprechtag abzuhalten ist, dass der Gemeindeschreiber als Halbtagskraft weiterbeschäftigt werden muss, dass die Pflege der öffentlichen Anlagen, der Kapelle, des Kriegerdenkmals fortzuführen ist – von der neuen Gemeinde, auf dass der Zustand ein würdiger bleibt. Außerdem „soll die neue Gemeinde Reichertshofen bemüht sein, dass auch die Kinder der Hauptschule das Schulhaus Reichertshofen benützen können“.

Hög (mit Ronnweg und Dörfl): Nach alten Sitzungs-Niederschriften hat die Gemeinde Hög am 13. April 1971 einstimmig beschlossen, einer Eingliederung in die Marktgemeinde Reichertshofen zuzustimmen. „In der Erwartung, dass bei einer Gebietsreform der Markt Reichertshofen zum Landkreis Pfaffenhofen kommt.“ Damals fixiert: „Die näheren Bedingungen werden in einem Vertrag noch festgelegt.“ Vorher wurde beschlossen, dass das Ortsrecht (gemeindliche Satzungen und Verordnungen) der Gemeinde Hög außer Kraft tritt. Ausgenommen die Haushaltssatzung 1972, die Gemeindeverordnung über die Sicherung des Verkehrs auf Gehbahnen zur Winterzeit vom Dezember 1970 oder auch die Satzung der Gemeinde Waal über den Anschluss an die öffentliche Wasserleitung und über die Abgabe von Wasser vom Mai 1967. Ganz wichtig: „Der bisherige Gemeindename Hög soll als Gemeindeteils-Name der aufnehmenden Gemeinde Reichertshofen weitergelten.“ Gleiches sollte für Ronnweg und Dörfl gelten.

In besagter Vereinbarung war ein Fest- einschließlich Kopfbetrag von 196356 Euro festgelegt. Es wurde fixiert, dass die bisherige Gemeinde in Verbesserungen und Ausstattungen nicht schlechtergestellt werden darf als der Markt Reichertshofen. Zudem sollte der in Auftrag gegebene Flächennutzungs- und Bebauungsplan fortgeführt und verwirklicht werden. Außerdem war von „gedeihlichem Zusammenwachsen“ die Rede.

Umstrukturierungen ab 1971

Die Gebietsreform rund um die Gemeinde Reichertshofen (damals Landkreis Ingolstadt) begann schon 1971: Gotteshofen, Starkertshofen und Wolnhofen (damals Landkreis Pfaffenhofen) wurden in den Markt Reichertshofen eingemeindet. Der größte Teil der Eingemeindungen passierte aber zum 1. Juli 1972. Zu diesem Tag kamen Langenbruck (plus Stöffel und St. Kastl), Winden am Aign (Foto oben, plus Au am Aign und Agelsberg) und Hög (Foto Mitte, plus Ronnweg und Dörfl) unter die Obhut von Reichertshofen. Zum selben Tag wurde der Landkreis Ingolstadt aufgelöst, Reichertshofen (Foto unten) kam nach Pfaffenhofen.

Übrigens sprachen sich damals fast 100 Prozent der Bürger der Nachbargemeinde Adelshausen (heute Karlskron) mit den Ortsteilen Aschelsried und Walding für einen Anschluss an Reichertshofen aus. Die Regierung spielte aber nicht mit und verfügte den Anschluss an Karlskron im neu gebildeten Landskreis Neuburg-Schrobenhausen.

Der Reichertshofener Gemeinderat mit Bürgermeister Hans Hammerl (1966 bis 1990) beschloss am 22. Juli 1975, Reichertshofen und die benachbarten Gemeinden Ebenhausen und Baar zusammenzuführen. Viele Gründe (unter anderem zusammengewachsene Orte, Wasserversorgung aus Reichertshofen, Kinder aus Ebenhausen und Baar gehen in Reichertshofen in die Schule) sprachen dafür. Am Ende klappte es nicht.

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